Das weisse Rauschen


Jack White wird seiner kleinen Spielchen nicht müde: Im Kölner Hilton bestellt er mit leiser Stimme „Vodka, Kahlua und Sahne“, um es höflich nickend dem Barkeeper zu überlassen, eins und eins zusammenzuzählen. Es ist ausgerechnet ein White Russian, den er sich bringen lässt, obwohl der Red/White-Aspekt im Konzept der White Stripes an diesem Freitagmorgen bereits gefährlich überstrapaziert ist: Die beiden übernächtigten Künstler sind nicht nur konsequent in Rot und Weiß gekleidet, sie dekorieren ihren Tisch außerdem mit Accessoires wie einer Schachtel Gauloises (rot) und einem Johnny Walker (Red Label). Das Duo, das seit seinem überraschenden Durchbruch mit dem explosiven, minimalistischen Garagenrock-Meisterwerk white Blood Cells zu den bedeutendsten Bands des neuen Jahrtausends zählt, hat sich einer einfachen Ideologie verschrieben: Der Rock’n’Roll soll so „kindlich wiemöglich, aber nichtl ustig“ interpretiert werden. „Als wir angefangen haben, waren wir an den Instrumenten noch ungeschickt“, erklärt Jack. „Alles musste sehr primitiv funktionieren. Dazup asste das rot-weiße Candy-Logo. Die Texte waren Kindergeschichten, die ich mir ausgedacht habe. Aber wir wollten das nicht als Witzverstanden haben.“

„‚Kindlich‘ missverstehen Erwachsene oft als ,unbeschwert'“, meint Meg. ,Aber Kind sein hat ausgesprochen wenig mit,unbeschwert sein‘ zu tun. Kind sein ist ziemlich ernst.“ Wie ernst ihre Kindheit in Detroit Ende der 70er Jahre war, ist schwer abzuschätzen. Während Meg in dem wohlhabenden Viertel Grosse Point die Winter damit verbrachte, Supermans arktische „Festung der Einsamkeit“ als Garten-Iglu nachzubauen, spielte Jack in dem südwestlichen Stadtteil „Mexicantown“ trotz der streng katholischen Eltern „mit allem, was mit Krieg zu tun hatte“. Jacks Mutter ist auf dem zweiten Album „De Snijl“ zu hören: Sie animiert ihren gerade schulpflichtig gewordenen Sohn, den Text zu dem „religious song“ „Little Red Box“ aufzusagen. Jack sieht darin heute „nichts weiter als einen ,cute moment‘: Sie wollten immer alles aufzeichnen und fotografieren, um sich später daran zu erinnern. Aber wir hatten keine besonders kreativen Eltern.“ Fragt man nach Einzelheiten aus der Jugend der beiden Wahlgeschwister, erzählt Jack recht allgemeine Dinge aus der Vergangenheit und versucht mit halbherzigen Seitenblicken, Meg in seine Schilderungen einzubeziehen. „Sobald du von zu Hause ausziehst, vermisst du das Gefühl von Sicherheit. Wahrscheinlich das ganze Leben lang. Du musst plötzlich Verantwortung übernehmen. Niemand hilft dir mehr …“ Meg, die selten von sich aus das Wort ergreift, scheint sich für das Thema zu interessieren, schweigt aber, bis ihr Jack ermutigend zunickt.“Ich wollte nur sagen, dass das Ende der Kindheit eintritt, wenn du dir anderer Menschen bewusst wirst. Bevor ich zehn war, hab ich immer nur gemacht, was ich wollte, ohne mir zu überlegen, was man von mir denken könnte. Erst wenn du spürst, dass dich andere beurteilen, passt du dich an. Das tötet den kindlichen Impuls, kreativ zu sein.“

Tatsächlich hat eines der kreativsten Interviews mit Jack White im Internet ein Fünfjähriger geführt. Er heißt Jason, kennt die White Stripes aus dem CD-Spieler im Auto seiner Mutter und schätzt Jacks Alter auf zehn. Investigative Fragen wie „Warum belästigen euch die Schattenmenschen auf dem Cover von white Blood Cells?“ belohnte Jack mit interessanten Antworten: „Vielleicht sind das Bakterien, und Meg und ich sind weiße Blutkörperchen. Vielleicht aber heißt es auch White Blood Sells, und die Schattenmenschen sind die Medien und Fans.“ „Für so was lebe ich“, freut sich Jack, als er an das kuriose Interview erinnert wird. „Neulich erst hat ein Kindergartenlehrer seinen Vier- und Fünfjährigen ‚Apple Blossom‘ beigebracht. Er hat sie beim Singen gefilmt und uns das Tape geschickt. Uns sind die Tränen gekommen, weil das so schön war. Und das Beste daran: Kinder lügen nicht. Wenn sie was nicht mögen, werden sie nicht so tun als ob. Zumindest bis du zehn bist und anfängst, nur noch das gut zu finden, was die anderen gut finden.“

In der Tat besteht heute quer durch alle Generationen der über Zehnjährigen ein kurioser Konsens, was den brachialen Bluesrock der White Stripes angeht: Zwar ignorierten die Grammy-Juroren auch 2003 trotz allen Erfolgs konsequent The White Stripes (siehe auch The Strokes, The Vines, The Hives), doch gewann „Fell In Love With A Girl“ gleich drei MTV Video Awards. Fast alle bedeutenden Musikmagazine in Europa und Amerika widmeten der Band mehrseitige Features, und die drei 2002 wieder veröffentlichten Alben verkaufen noch immer so beständig, dass das neue Werk Elephant über Wochen zurückgehalten wurde. Im November holte Mick Jagger die White Stripes für einige Auftritte ins Vorprogramm der Rolling Stones, was Jack und Meg im Herbst ironisch kommentierten: „Wir können kaum erwarten, endlich Brian Jones zu treffen.“ Drei Monate nach den prestigeträchtigen Auftritten resümiert Jack: „Es ist nicht unbemerkt an uns vorbeigegangen, dass es eine fantastische Leistung für ein Duo aus Detroit ist, die Menschen so zu blenden, dass sie uns für die Rolling Stones Warmup-Gigs spielen lassen. Das ist zum Totlachen.“

Noel Gallagher:Ich habe mir die White Stripes angehört und muss sagen, dass es scheiße klang. Absolut scheiße. Ich sage: „Zieht los und sucht euch einen Bassisten“…

Die Musik ist zu spartanisch?

Noel: Ich sage es ohne Ironie: „Holt euch einen Bassisten!

Aber…

Noel: „Holt. Euch. Einen. Bassisten“. So einfach ist das.

Jack und Meg hören aufmerksam zu, als wir im Januar die Gelegenheit wahrnehmen, den nett gemeinten Ratschlag zu übermitteln. „So einfach ist das?“ Jack muss ein bisschen lachen und schüttelt resigniert den Kopf. Er blickt zu Meg, die sich über die Geschichte zu amüsieren scheint. „Haben Oasis nicht eine ihrer letzten Platten mit Revolver verglichen?“, stellt sie einfach so in den Raum. „Noel lebt offensichtlich innerhalb der engen Grenzen, die er sich selbst gesteckt hat“, sagt Jack und wählt seine Worte mit Sorgfalt. „Oasis beschränken sich darauf, die Beatles zu 100 Prozent imitieren zu wollen – was nun mal ein aussichtsloses Unterfangen ist. Die Gallagher-Brüder sind sehr verwirrt. Das ganze englische, eingebildete Geprahle …“ Er überlegt, schaut auf und grinst: „Das kannst du schreiben: Erst, dass er ‚Holt euch einen Bassisten‘ gesagt hat, und dann dahinter, dass er eine seiner LPs mit Revolver verglichen hat. Jesus Christus! Was für ein ignoranter Idiot.“

Die seltene Gelegenheit, die Whitestripes mit Bass zu hören, gab es im Herbst: Steven McDonald von der Punkpop-Band Redd Cross nahm Bassparts zu White Blood Cells auf und stellte sie unter www.reddkross.com als „Redd Blood Cells“ ins Internet. Jack ist informiert: „Das ist cool. Ich glaube, so was hat es noch nie gegeben. Ist er engagiert? Nein, haha!“ Obwohl Jack und Meg für ein Gastspiel bei ein paar Yardbirds-Auftritten mit Jeff Beck mit dem Greenhornes-Bassisten Jack Lawrence geprobt haben, wurde das neue Album wieder ohne Bassgitarre eingespielt. Die tiefen Töne zu Beginn von „Seven Nation Army“ wurden über einen Gitarreneffekt generiert. „Es klingt wie ein Bass, ist aber ein Fußpedal. So kann ich das auch live spielen „, erklärt Jack, der einerseits an Traditionen hängt, sich auf der anderen Seite aber nicht einschränken will. „Wir haben von Anfang an versucht, alle Möglichkeiten auszuschöpfen, die zwei Personen mit Instrumenten haben. Auf der B-Seite unserer ersten Single war ein Marlene-Dietrich-Song.“ Elephant, das im Londoner Toe Rag Studio ausschließlich mit Equipment aus den 60er Jahren eingespielt wurde, ist mit seinen Pianoparts und mehrstimmigen Chorsätzen ohne Frage das bis dato vielfältigste White Stripes-Album. Mit „Cold Cold Night“ gibt es außerdem erstmals einen Song, bei dem Meg in bester Moe-Tucker-Unnatur die Leadvocals übernahm. Dass eine zweiköpfige Garagen-Rock- Band trotz allem schnell Gefahr läuft sich zu wiederholen, zeigt „There’s No Home For You Here“: Die Ähnlichkeit zu „Dead Leaves And The Dirty Ground“ aus White Blood Cells ist frappierend. „Die gleiche Akkord-Struktur, sagt Jack und bläst höflich den Rauch nach oben. „Das ist mir beim Komponieren aufgefallen. Aber ich hab es ignoriert, weil mir der Text und die Explosivität des Songs zu wichtig waren. Manchmal denke ich, dass wir mit dem Song zu weit gegangen sind. Uns hat der Aspekt der Schlichtheit immer viel bedeutet. Hier wollten wir ausprobieren, was wir mit einem 8-Spur-Gerät leisten können. Die Beatles haben Revolver mit vier Spuren aufgenommen – was schaffen wir mit acht? Ein Experiment. Aber vielleicht ging das zu weit.“

Trotzdem wird der Song Beachtung finden, denn Jim Jarmusch wird das Video drehen. Der Regisseur von „Ghost Dog“ und „Night On Earth“, der bereits Clips für die Talking Heads, Tom Waits und Neil Young verantwortete, hatte Meg und Jack im Winter für eine neue Episode seiner Kurzfilm-Reihe „Coffee &. Cigarettes“ eingesetzt, nachdem die Hauptrollen in der Vergangenheit u.a. mit Tom Waits, Iggy Pop und Steve Buscemi besetzt wurden. Jack White, der von dem englischen NME zur „Coolest person in rock“ gewählt wurde, ist derzeit gezwungen, sehr genau zu prüfen, was seiner Karriere dienlich ist. So musste er zum Beispiel für den reichlich verkitschten Mickey-Mouse-Auftritt bei den MTV Video Awards Kritik einstecken. „Das war billig. Wir kamen als Popkultur-Ikonen rüber, nicht als Musiker. Man müsste sich das in ein paar Jahren nochmal anschauen – das könnte interessant sein „, sagt er rückblickend. Vielleicht gilt das auch für Jacks Auftritt als Folksänger in dem Hollywood-Film „Cold Mountain“, der kürzlich in Rumänien mit Nicole Kidman und Renee Zellweger abgedreht wurde. „Das war etwas ganz anderes. Ich wurde wegen der Musik gefragt“, verteidigt er sich, denn er weiß, was jetzt kommt: Ausgerechnet Ryan Adams hatte sich lautstark über Jacks Schauspiel-Debüt erregt. „Man hat mich zuerst gefragt. Aber ich habe abgelehnt. Weißt du, warum? Ich konnte Schauspielerei nirgendwo auf meinem Bewerbungsschreiben für eine Stelle als Rock Fuckin‘ Star finden“, lästerte der Alt.Country-Star in einem bissigen Statement: „Hat Jack White ein Problem mit mir? Dieser Scheiß-Zuhälter. Was für ein toller fucking Filmstar!“ Adams‘ Ungnade überrascht, verkündete er doch einst noch, dass er beim Hören von White Blood Cells vor Begeisterung „Crackpfeifen essen und mit Voodoo-Knochen der Toten tanzen“ wollte. „Das kaufe ich ihm nicht ab“, kommentiert Jack verächtlich. „Ich kann mich jetzt auch super-interessant machen, wenn ich dir erzähle, dass ich Johnny Cash, Willie Nelson, Ike Turner und den Wu-Tang Clan mag. Jetzt findest du mich cool, oder?“ Kurz lässt er sich von Megs Lachen anstecken, bevor die beiden das Thema beenden. „Er will nur öffentlichen Streit mit uns. Wir sagen da nichts mehr dazu.“

„Man muss in unserer Situation täglich Entscheidungen darüber treffen, wie wir auftreten wollen. Wir spielen jetzt in einer ganz anderen Liga als vor fünf Jahren“, philosophiert Jack, der es als „Klaps auf die Schulter – oder eher als Tritt in den Arsch“ empfindet, dass ihm David Bowie, Beck, Bob Dylan und Tom Waits lobende Worte gesagt haben. „Ich denke, dass Elephant ein tolles Beispiel dafür ist, wie uns die öffentliche Meinung unberührt gelassen hat. Wir sind ins Studio gegangen, ohne dass wir über uns oder unser Image nachgedacht haben. Und wir haben es auf dem Höhepunkt (von all dem Trubel) geschafft – unter diesen Umständen haben wir Elephant geschaffen. Darauf sind wir verdammt stolz.“