David Stewart – And The Spiritual Cowboys


Vorschnellen Erwartungen wird dieses Solo-Projekt nicht gerecht. Dafür stellt sich ein profilierter Songwriter vor. Und das ist mehr, als man erwarten konnte.

Ist David Stewart altmodisch, ein Ewiggestriger? Die Frage drängt sich beim oberflächlichen Hören dieses Albums unweigerlich auf. Denn ein Stück wie „Diamond Ave“ könnte ohne weiteres auch als ein lange Zeit verschollenes Frühwerk von Bob Dylan (aus dem Umfeld von „Like A Rolling Stone“) durchgehen; „This Little Town“ hat mehr als flüchtige Ähnlichkeit mit den Beatles; „Hey Johnny (It’s You)“ verdankt Gary Glitter Inspiration, und ouf „On Fire“ hört sich Stewart an wie eine Kreuzung aus Leonard Cohen und Lou Reed auf Speed. Ratlosigkeit macht sich breit: Was will uns der Künstler mit solchen stilistischen Zitaten sagen?

Die Antwort gibt der spirituelle Cowboy auf Seite 90 – jetzt fragt sich nur noch, ob sein Konzept auch wirklich aufgeht. Wer nach den ersten beiden Stücken – „Soul Years“ und .King Of The Hypocrites“ – oder nach den druckvollen Bläsern von „Party Town“ urteilt, wird vorschnelle Schlüsse ziehen und dieses Album womöglich als Alternative zu den Eurythmics einstufen. Doch Stewart begibt sich in dieser Hinsicht nicht aufs Glotteis: Er zeigt zwar, daß er flotte Rocknummern allemal aus dem Ärmel schütteln kann – doch rechtzeitig kratzt er die Kurve und bekennt sich hemmungslos zur eigenen musikalischen Vergangenheit. Die 60er Jahre haben ihn geprägt, und das kann jeder hören.

Aber diese Platte ist deshalb noch lange kein alter Hut. Denn abgesehen von der vollmundigen und detailreichen Produktion, die ganz auf der Höhe der Zeit ist, gibt sich Stewart als aufrechter Rocker zu erkennen. Wenn’s sein muß, im Titelsong beispielsweise, predigt er dann auch mal höhere Werte – selbst auf die Gefahr hin, als Moralist mißverstanden zu werden. Aber das grundlegende Feeling dieser Platte ist zeitlos: Es heißt Rock ’n‘ Roll. „In den meisten Songs“, sagt Stewart, „herrscht ein gewisses psychedelisches Flair. Denn die Wirkung von Acid läßt nie ganz nach – vor allem dann nicht, wenn man mal eine ganze Menge davon genommen hat. Ich meine diese besondere Form der intensivierten Wahrnehmung. Und genau darin liegt das auf lange Sicht unerschöpfliche Potential dieser Platte: Dave Stewart, den man bisher immer als versierten Produzenten und feurigen Gitarristen schätzte, entpuppt sich hier als vielschichtigere Persönlichkeit.

„Im Grunde bin ich ein Songwriter“, sagt er. Genau das ist es.

TALENTE

„Als ich mich entschloß, ins Studio zu gehen, kostete es mich lediglich drei Anrufe, um meine Freunde zusammenzutrommeln, mit denen ich die Platte aufnehmen wollte.“ Obwohl Größen wie George Harrison, Bob Dylan und Leonard Cohen am Projekt indirekt beteiligt waren (was man manchen Songs deutlich anhört), zog es Dave Stewart vor, überwiegend mit unverbrauchten Talenten zu arbeiten. Daß diese Musiker in den Credits mit seltsamen Pseudonymen auftauchen, hat wohl was mit Spiritualität zu tun.

So verbirgt sich hinter dem Namen Zac Barteil der Schlagzeuger Olle Roma, mit dem Dave seit Jahren bei den Eurythmics zusammenarbeitet. Als zweiten Drummer verpflichtete der Projektierter Martin Chambers von den Pretenders, der sich hier Martin O’Dale nennt. Bassist Chris D. James, der sich kein Pseudonym zulegte, spielte früher in einer kurzlebigen Gruppe namens JoBoxers. Und der Keyboarder Wild Mondo ist eigentlich Sänger und heißt Jonathan Perkins. Ihn entdeckte Stewart für sein eigenes Plattenlabel Anxious, mit dem er junge Talente fördern will und in das er viel Geld investiert.

Das fünfte Mitglied der Band ist ein Cowgirl, das sich Izzy Mae Doorite nennt: Die Amerikanerin singt im Background und spielt Gitarre. „Für Nancy Claire – so heißt sie wirklich ist diese Platte eine Premiere. Ich traf sie in Tijuana, als ich mit Bob Dylan ziemlich viel Mescal getrunken hatte. Wir hatten uns deswegen ein bißchen verlaufen, und sie zeigte uns freundlicherweise den Weg zum Busbahnhof.“ Für Nancy war’s vielleicht der Weg zum Ruhm.

PROMINENZ

Als Teenager verehrte er die Beatles und Bob Dylan – heute gehören George Harrison, Dylan und viele andere Größen zum Freundeskreis des Kids aus Sunderland. .Im Grunde bin ich auch heute noch ein Fan‘, meint Dave Stewart, und aus dieser Haltung erklärt es sich wohl auch, daß er in den vergangenen zehn Jahren mit vielen berühmten Kollegen zusammenarbeitete – sei es, um Kooperationen mit den Eurythmics unter Dach und Fach zu bringen, oder weil man sein gutes Händchen im Studio immer mehr zu schätzen lernte. Als er nach einer kurzen Karriere als Mitglied der Tourists Anfang der 80er Jahre zusammen mit Annie Lennox die Eurythmics ins Leben rief, hielt man ihn allerdings in erster Linie für einen schrägen Vogel, der sich lediglich durch einen guten Riecher für Hitsongs auszeichnete. Aber nach und nach sprach es sich herum, daß es sich mit diesem Exzentriker aus der englischen Provinz gut arbeiten ließ. „Leute wie Bob Dylan oder George Harrison fühlten sich vermutlich von mir angezogen, weil ich es noch nicht verlernt habe, mich von der Musik begeistern zu lassen. Außerdem sind die Eurythmks-Platten wohl nicht allzu weit von dem entfernt, was sie selbst machen. Die musikalische Entwicklung in den früen 80er Jahren hatte sie ziemlich verunsichert.“ So erklärt es sich, daß Dave Stewart mittlerweile einen illustren Freundeskreis hat: Bob Dylan, George Harrison, Tom Petty, Jeff Lynne und den verstorbenen Roy Orbison traf er als Mitglieder der Traveling Wilburys; mit Dylan nahm er 23 Tracks auf, und er produzierte außerdem Tom Pettys Album SOUTHERN ACCENT. Mick Jagger fand er zu ambitioniert, als er ihm half, das Soloalbum PRIMITIVE COOL zu produzieren. Mit den Neville Brothers stand er kürzlich im Studio, um deren letzte Single „Bird On A Wire“ aufzunehmen, und auch mit Lou Reed und Leonard Cohen verbindet ihn eine Freundschaft. Für die Eurythmics überredete Stewart den Soul-Reverend AI Green zum Platten-Comeback, und Aretha Franklin bat er mit „Sisters Are Doing It For Themselves“ zum Duett mit Annie Lennox: .Diese Session war der reinste Wahnsinn. Arethas Bruder hielt mich für Annies Manager und kam dauernd mit irgendwelchen Ideen an, damit wir mehr Kohle machen.‘