Deep Purple: More Smoke on the Water


Ist’s nur die Kohle, die lockt? Oder waren wirklich musikalische Ambitionen der Grund für das überraschende Comeback? Fast neun Jahre und vergleichsweise bescheidene Solo-Versuche mußten vergehen, bis sich die ergrauten Hardrock-Helden wieder an einen Tisch setzten. Gitti Gülden spielte Mäuschen bei der Elefanten-Hochzeit in einem Hamburger Studio.

Der Himmel war morgens schon so merkwürdig violett. Verschlafen blättert man durchs Tagesblatt, da:

„Deep Purple in Hamburg … wohnen im Hotel soundso …. mischen ihr Album ab…“

Ist ja unglaublich. Klirrewach ans Telefon – doch nein, an ein Interview mit der Band sei nicht zu denken: „Die Dimensionen sehen eher so aus: eine Pressekonferenz in New York, die per Satellit weltweit übertragen wird.“

Himmel, da hatte man doch glatt vergessen, daß hier BIG BUSINESS mit großen Buchstaben geschrieben wird. Na ja, und vielleicht auch, daß sie ein bißchen älter geworden sind; ist schließlich 11 Jahre her. seit der besten Hardrock-Besetzung ever. Kurz und grün: Es ging doch mit dem Interview!

Natürlich muß man da ein paar Stündchen Warten in Kauf nehmen, aber die Herren sind letztendlich wohlgelaunt wie nie, höflich, freundlich und lustig Kollege Kraatz und ich dürfen ohne Trara mit ins Studio, können sogar erste Mischergebnisse hören – und wahrlich, ich sage Euch: Die Ohren werden Euch wegfliegen, die Haare zu Berge stehen, Ihr werdet es aus ganzem Herzen lieben. Natürlich nur, wenn Ihr Euch den Luxus leisten könnt, auf Rock zu stehen. Rock pure.

Und Fragen über Fragen türmen sich auf. Die nächstliegende natürlich: Warum seid Ihr überhaupt wieder zusammen?

lan Paice: “ Warum nicht?“ Jon Lord: „Wir haben immer draut warten müssen.“

Roger Gover:“Wir hatten die Sache noch nicht zu Ende gebracht. Da machen wir jetzt weiter. „

Und Ritchie „Enfant ternble“ Blackmore: „Ich wollte Purple einfach wieder. Es gab nichts Besseres.“

(lan Gillan weilte in England bei Frau und nagelneuem Baby.) Nach dem großen Bruch der glorreichen fünf 1973 begab man sich auf verschiedenste und verschlungenste Wege; immer war man irgendwie anderweitig beschäftigt, engagiert und durch Verträge gebunden. Ddch immer wieder traf man sich, redete über früher, wollte wieder zusammenkommen, litt wie die Königskinder aus dem Märchen. Bis es die Zeit und der Zufall «rgaben, daß alle gleichzeitig ohne Bindung dastanden. Endlich.

Unabhängig voneinander sagen alle, daß sie auch endlich wieder den Spaß haben wollten. den sie hatten. Sie hatten immer eine Wellenlänge, auch wenn’s manchmal nicht so aussah.

Paice: „Das änderte sich, als aus der Band ein Unternehmen wurde. Wir blickten überhaupt nicht mehr durch, hatten eine endlose Kette von Gigs und Studioterminen. Jeder trampelte jedem auf den Nerven rum. Dann kam noch die musikalische Experimentier-Phase dazu. Ich möchte die Band sehen, die das durchsteht. Aber auch die, die sich so wieder zusammenfinden kann.“

Roger Glover: “ Wenn jemand damals dafür gesorgt hätte, daß wir einfach mal ein Jahr Pause machen, mal Abstand kriegen wir wären vermutlich nie auseinandergegangen. So war’s der reine Irrsinn.“ Jon Lord: „Ich hab‘ mir bei allen anderen Bands immer ausgebeten, jederzeit aufhören zu können, falls es wieder zu Deep Purple kommen sollte. „

Ritchie Blackmore: „Die Spannung bei uns ist immer noch da Daher mußte auch genau diese Besetzung wieder her. So wie mit uns war s mit keinen anderen Musikern. Es ist eine wahnsinnige Erleichterung, daß es zwischen uns tatsächlich nach all der Zeit noch klappt. Wir wußten ja nicht, was draus wird, besonders bei lan (Gillan). Dauernd gab’s diese Gerüchte, er hätte seine Stimme verloren, lan singt jetzt auf die fertigen Instrumental-Bänder, allein. Und es hat geklappt. „

Greifbare Rockgeschichte hat man da vor sich, und es ist plötzlich überhaupt nicht mehr so unglaublich, daß die Herren sich wieder zusammentaten, auch bei einem Durchschnittsalter von 39 Jahren. Paice: “ Wir spielten Rock n Roll zum ersten Mal sehr aggressiv, aber immer mit Emotion, immer musikalisch.

Und gerade in diesem Bereich hat sich nichts weiterentwickelt. Die Heavy Metal-Bands der sogenannten zweiten Generation leisten sich ja noch nicht mal ne richtige Ballade. Man kopiert fast nur noch voneinander, folglich sind die

Bands kaum noch zu unterscheiden. Als wir anfingen, klang noch jede Band anders „

Viele andere Projekte sind in den 11 Jahren für die einzelnen Purples gelaufen. Roger Glover tat sich hauptsächlich durchs Produzieren hervor, u. a. Status Quo, Elf, Nazareth. Judas Priest. „Aber jetzt ist das ein Gefühl, als ob man wieder das Richtige macht. Alles andere war eben nicht Purple.“

Für alle Beteiligten scheint Deep Purple ein Fixpunkt in ihrem Leben zu sein. Eine Grundlage – und gleichzeitig das Größte, was überhaupt passieren konnte.

Beeindruckt und geradezu aufgekratzt verlassen wir nach drei Stunden Marathon-Interviews das Studio. Ritchie, der zwar schon zitiert wurde, erst aber wesentlich später auftauchen soll, ist nicht erschienen. Wir gehen essen Lange nicht mehr so gelacht, wir liegen fast unterm Tisch.

..Weißt du noch?“

Einmal, so Jon Lord, hatte man sich mal wieder tierisch verkracht. Ein Gig in Blackpool war angesagt, und während der gesamten Busfahrt sagte keiner ein Wort. Als schließlich das Ortsschild Blackpool auftauchte, kam’s endlich von Blackmore: „Oh! Blackpool.“

Das war auch das einzige, was anschließend in allen Variationen gesagt wurde: Blackpool, Blackpool, Blackpool.

Über deutschen Streuselkuchen weiß man ebenso Bescheid wie über deutschen Fußball. Am Wochenende will man zum HSV-Spiel, und nett böse Witze erzählt man am laufenden Meter.

Das Tolle ist, daß alle dankbar, fasziniert, glücklich sind, daß es Purple wieder so gibt, wies am besten war. Sie können alle nicht genau beschreiben, was die Faszination ausmachte und ausmacht. Roger Gloverversuchts: „DieNächte, die wirklich gut waren, waren phantastisch, das war vielleicht eins von 15 Konzerten. Urplötzlich waren wir auf einer Wellenlänge. Das waren nicht mehr fünf Leute, sondern das war so, als ob ein riesiger Ballon aus Gefühl und Musik über der Halle schwebte. Das ist das Größte, besser als jede Droge, Suff, besser als alles, was man fühlen kann. „

Wir kommen zurück ins Studio, es ist spät in der Nacht, und auf dem Flur rauscht plötzlich Mr. Blackmore samt Gefolge an uns vorbei: „Nett, dich kennengelernt zu haben. “ Weg ist er.

Ein Adlatus kehrt zurück:

„Ritchie möchte sich im .Sounds‘ mit euch unterhalten.“

Das „Sounds“, müßt Ihr wissen, ist eine im fünften Geschoß eines Hinterhofgebäudes gelegene Discothek mit entsprechend lauter Musik. Das Studio liegt genau gegenüber.

„Ich mag keine Interviews“. sagt Meister Blackmore, „weil ich keine vorgefertigten Antworten habe. Für manches gibt es einfach keine Erklärungen, und das meiste ist sowieso ganz simpel. Jedenfalls will ich nichts Graues im Rock, keine Seitensprünge mehr, nur noch Schwarzweiß.“

„Du bist jetzt 39“. schreieich gegen Helen Schneiders Gesang an, „bleibt man durch Rock n‘ Roll wirklich jung?“

“ Wer will schon älter werden ? Kann man zwar nicht vermeiden, aber mit Rock kannst du älter werden, ohne erwachsen werden zu müssen. Über mich oder Musik kann ich aber nicht diskutieren, ist zu selbstbezogen, langweilig. Ich spreche durch die Gitarre. Ein Interview ist so, als ob man zum Zahnarzt geht.“

Nun jubelt Nick Kershaw laut aus den Boxen, und man plaudert über Zeppelin und Robert Plant. Ritchie bescheinigt in diesem Zusammenhang dem HM-Kollegen Kraatz schlechten Musikgeschmack und will sich eigentlich sowieso nicht mit ihm unterhalten.

Statt dessen fragt er mich plötzlich: „Spielst du Klavier?“

Oh, wie peinlich: „Ja, wieso? Hab‘ lange nicht mehr geübt.“ „Welchen Klassiker magst du am liebsten‘?“- „Bach.“

Feuerprobe bestanden.

Ritchie Blackmore steht auf. gratuliert mir zu meinem guten Geschmack und will, daß ich ihm im Studio was vorspiele. Was mach ich nur? Wie aufs Stichwort steht plötzlich lan Paice vorm Tisch und sagt zu meiner größten Erleichterung: „Ritchie. komm‘ mal runter ins Studio und hör dir den Mix an.“

Alles, was ich und vermutlich auch Ihr jetzt hören wollt, ist ganz sicher das Album; PER-FECT STRANGERS soll s heißen. Vor allem aber die Band, aber die ist vor Frühjahr 85 nicht zu erwarten.

Bis dahin, so versichern uns die Herren Purple, will man’s ruhig angehen lassen. („Höchstens zwei Gigs nacheinander, dann zwei Tage Pause.“) Man will wie früher „hauptsächlich nur Spaß haben“.