Der Klügere legt nach


Mit seinem zweiten Album lässt Anders Trentemøller die Clubtür hinter sich ins Schloss fallen. Es klingt, als könnte er als nächstes einen Konzertsaal bespielen.

Wie wollen wir das Kind nun nennen? „Chill-Out“ vielleicht? Bloß nicht. Anders Trentemøller schüttelt den Kopf. Stattdessen schlägt der Däne „Downtempo“ vor. Vielleicht sogar: „Easy Listening“. Oder: „Coffee-Table-Music“? Wenn schon der Urheber nicht weiß, wo er INTO THE GREAT WIDE YONDER einordnen soll, dann hat das seinen guten Grund. Das neue Album des Produzenten sprengt die Grenzen der elektronischen Musik. Vor allem aber ist seine Musik nicht mehr tanzbar. „Ja, ganz eindeutig nicht mehr tanzbar“, sagt Trentemøller.

Wer aufgepasst hat, hat sich schon im Lauf der Neunziger von der Vorstellung verabschiedet, elektronische Musik diene vor allem dem Zweck, Körper in Bewegung zu versetzen. Doch inzwischen ist die Musik aus dem Computer dort angekommen, wo Rock Mitte der Siebziger steckte, bevor Punk dazwischen grätschte: in der Sackgasse, aus der sie sich mit immer größerer Verfeinerung und handwerklichen Höchstleistungen zu befreien versucht. GREAT WIDE YONDER ist eines der bislang prächtigsten Ergebnisse dieser Suche nach dem Ausweg aus dem Dilemma.

Der 37-jährige Trentemøller, der Anfang der Neunziger in ruhmlosen Indie-Rockbands spielte und später Remixe für Depeche Mode und die Pet Shop Boys produzierte, hat bereits vor vier Jahren mit seinem Debüt THE LAST RESORT ein anderes, clubfernes Publikum für die elektronische Musik erschlossen. Das minimale, dubbige und zuweilen abgrundtiefe „Autorentechno“-Album wurde die Beschallung für Betriebsfeiern der Kreativwirtschaft, der Soundtrack zum Aufstieg der Bionade-Boheme in den Mainstream und schließlich von einigen Fachzeitschriften zum Album des Jahres gekürt. Es war ein kommerzieller Erfolg, den sich auch Trentemøller kaum erklären kann: „Es war wohl die richtige Platte zur richtigen Zeit.“

Über die neue sagt er: „Ich hatte den Ehrgeiz, eine Platte zu machen, an der man auch noch neue Details entdecken kann, wenn man sie zum zehnten Mal hört.“ Das Ergebnis erinnert an die mondänen Filmmusiken der frühen James-Bond-Filme, zitiert aber auch aktuelle Entwicklungen im Pop, taucht ein in die großen Zeiten der Americana, die Trentemøllers persönlichen Geschmack dominiert, adaptiert Weltmusik und Surfrock. GREAT WIDE YONDER ist viel mehr als eines dieser Produzenten-Alben, die die Akquise von Remix-Aufträge erleichtern sollen. Man möchte es fast schon „sinfonisch“ nennen. Doch da schüttelt Trentemøller den Kopf: „Das ist mir ein zu großes Wort.“

Albumkritik ME 6/10

www.anderstrentemoller.com