Der Sound of Abschied


Die Welt hat lange auf das neue Album von Interpol gewartet – es hat sich gelohnt. Es ist noch düsterer, noch sperriger, noch lebendiger, aber auch ein letzter Gruß von Carlos Dengler. Der musikalische Kopf der New Yorker, hat die Band verlassen. Er hinterlässt als Abschiedsgeschenk das beste Interpol-Album aller Zeiten.

„Klar, ich würde lieber hier sitzen und andere Fragen beantworten als diese.“ Paul Banks zieht an seiner Zigarette und bläst den Rauch durch das kleine, schmucklose Hotelzimmer. Vor dem Fenster brennt die Sonne auf das hitzegeplättete Berlin und lässt den kollektiven Kreislauf der Stadt erlahmen. Schwer zu sagen, wo es gerade unkommoder ist: Draußen in der Gluthitze, wo sich alles nur träge schleppt – oder hier im verrauchten, engen Kämmerlein, in dem sich Paul Banks gerade anschickt, einen Haufen Interviews zu geben, die den Rahmen des üblichen Promo-Geplauders zwangsläufig sprengen müssen. Der Interpol-Sänger, bis auf seine weißen Schuhe und ein ebenfalls weißes Interpol-Arm-Schweißband ganz in schwarz gekleidet, starrt einen Moment auf seine Schuhspitzen, wischt sich dann ein paar Aschekrümel vom T-Shirt und hebt den Blick. Er sieht hinter seiner schwarzgeränderten Brille hervor, als wollte er sagen: „Ich kann dir länger in die Augen schauen als du mir“. Banks ist nicht unfreundlich, aber er ist auf der Hut. Im Grunde wirkt der etwas unterdurchblutete 32-Jährige so wie er singt; einen umherzappelnden, giggelnden Gesichtsausdrucksextremisten zu erwarten, wäre totaler Blödsinn gewesen.

Es ist wirklich nicht einfach für Banks: Man müsste die Fragen, an deren Beantwortung er sich nun abmüht, eigentlich einer anderen Person stellen, aber diese Person gibt keine Interviews mehr. Es bleibt an Banks hängen, das nervige Thema zu verwalten. Er atmet noch einmal tief durch und sagt dann: „OK. Auf diese Frage gibt es eine offizielle Antwort von uns. Sie geht so: …“ Und schließlich beginnt er nach anfänglicher Zurückhaltung doch recht ausführlich zu erzählen: von einem, der nicht da ist, der nicht mehr dabei ist. Von einem, der die Band verlassen hat. Von einem, der ein Loch hinterlassen hat, von dem die Band Interpol noch nicht ganz ermessen kann, wie groß es tatsächlich ist. Und vom neuen Interpol-Album, dem letzten mit Bassist, Songschreiber und Quasi-Frontmann Carlos Dengler, der die Band kürzlich verlassen hat. Es ist ein schweres und dunkles, seltsam paranoid klingendes Album, das auch nach mehrmaligem Hören keine offensichtlichen Hits offenbart. Man könnte es für das beste Album halten, das Interpol jemals gemacht haben.

Manchmal sind es ja Menschen, die nicht so entsetzlich viel mit Popmusik zu tun haben, die die entscheidenden Fragen stellen:

„Interpol, die gibt’s noch?“, fragt ein der Popmusik vor sieben, acht Jahren von der Schippe gefallener Freund auf die Ankündigung hin, man werde gleich Sänger Paul Banks zum Interview treffen.

„Ja, die gibt’s noch, aber der Bassist und eigentliche Star der Band ist ausgestiegen.“

„Ah, an den erinnere ich mich. Ich hab die ja zuletzt vor acht Jahren mitbekommen. Haben die sich denn irgendwie weiterentwickelt?“

„Tja, gute Frage …“

Weiterentwickelt. Wenn man Interpol für etwas mögen muss, dann sind es ja gerade der strikte Code und die enggesteckten Grenzen, innerhalb derer bei ihnen alles passiert. Bei Interpol gibt es keine falschen Quirligkeiten, kein „Auffächern des musikalischen Spektrums in fremde Klangwelten“ oder derlei Unfug. Noch schöner: Sie verweigern sich völlig jener elenden, im Para-Indie-Betrieb gang und gäbe gewordenen Mitklatsch-Animierattitüde, mittels derer sich Bands ihrem Publikum seit einigen Jahren auf so enervierende Art gemein machen. Interpol spielen, so drückte es der ausgestiegene Carlos Dengler einmal aus, wie vor der berühmten „vierten Wand“: Der Kontakt zum Publikum vor der Bühne ist praktisch nicht-existent, dabei ist man sich jedoch des Beobachtetseins ständig bewusst. Die Musiker, oft geschmäht für ihre angebliche Nachstellung uralter Joy-Division- und The-Chameleons-Posen, betreiben so eine Form der Stilisierung, die in dieser Konsequenz – und auf diesem Erfolgslevel – im Segment „Rockband“ beispiellos ist.

Mit Our Love To Admire stieß die Band dann vor gut drei Jahren in obere Chartsregionen vor, nicht zuletzt wegen beinah leichtfüßiger Hits wie „The Heinrich Maneuver“ und „No I In Threesome“. Gleichzeitig experimentierte der smarte Geck Carlos Dengler ausgiebig mit Arrangement-Ideen und Keyboard-Sounds: Our Love To Admire war die Platte einer hochgradig stilvollen Band, die mit äußerst dunklen Klangfarben teils erstaunlich lichtdurchflutete Landschaften malte. Es war vor allem Carlos Dengler, der malte.

Der Anfang September erscheinende Nachfolger, schlicht Interpol getauft, klingt fast wie die Anti-These zur Hitplatte von 2007, ist aber noch so viel mehr: Die mit Alan Moulder produzierte Platte ist das dichteste und zugleich sperrigste Werk, das die Band bislang aufgenommen hat. Es braucht lange, bis die Songs einsickern, aber dann ertappt man sich plötzlich, wie man beim Fahrradfahren diese klaustrophobischen Stücke, deren Texte sich fast allesamt wie Selbstkasteiungen nach einem zwischenmenschlichen Zerwürfnis anhören, vor sich hinsummt. Es ist das Album, auf dem Interpol endlich zu sich finden. Auf die Frage, wie es dazu kommen konnte, dass ausgerechnet dieses Werk die letzte Platte mit Carlos Dengler bleiben wird, packt Paul Banks die angekündigte offizielle Antwort aus.

Banks: Ich sage deshalb „offizielle Antwort“, weil ich finde, dass man mit der Presse deutlich zu ehrlich sein kann, verstehst du? Ich fühle mich aber relativ wohl damit, dir zu sagen, dass Carlos andere Dinge tun möchte. Und ich glaube, dass er schlicht keine andere Wahl hatte. Das Dasein in so einer Band ist extrem zeitintensiv und emotional aufreibend: Du bist ständig unterwegs und unter Leuten. Wenn du aber als Teil einer Band merkst, dass du herausfinden willst, was es sonst noch so im Leben für dich gibt, lässt sich das nicht damit vereinbaren, irgendwie doch in der Band zu bleiben. Man muss dann aufhören. Man kann nicht verheiratet sein und gleichzeitig herausfinden, wie es ist, als Single zu leben. Womöglich will man ja gar nicht ewig als Single weiterleben, aber man muss das herausfinden. Man kann nicht einen Fuß im Spielfeld lassen und sich gleichzeitig anderswo umschauen. Es ist eine Entweder-oder-Sache. Es muss hart für Carlos gewesen sein und ich respektiere ihn sehr dafür, so eine schwere Entscheidung getroffen zu haben.

Aber wann hat Carlos herausgefunden, dass er gehen wollte? War es so, dass er sich nach Fertigstellung der Aufnahmen plötzlich zu euch umgedreht und gesagt hat: „Das war’s für mich“?

Banks: Ja. (starrt)

Glauben Sie, man findet Spuren dessen, was da passiert ist, auf dem Album?

Wir ahnten zum Zeitpunkt der Aufnahmen nichts. Für Carlos kann ich nicht sprechen, keine Ahnung, was in ihm vorging. Er war extrem engagiert bei den Aufnahmen. Mehr noch als früher, und da war er schon immer derjenige, der sich am meisten in die Produktion hineingeworfen hat. Wenn man nach Spuren dessen, was da passiert ist, auf dem Album suchen will …

… und man ist bei einem so dunklen Album natürlich sehr versucht, das zu tun: Das Wissen um Carlos‘ Ausstieg verstärkt diese paranoide, beklemmende Stimmung natürlich noch.

Klar. Keine Frage. Was man hört – solange es um Carlos geht – ist ein Musiker, der sich künstlerisch noch mal ganz reinwirft. Vielleicht hat er sich für die Platte ja so verausgabt, weil er wusste, dass es seine letzte mit Interpol sein würde. Ich lese schon lange nichts mehr über uns, aber ich glaube, Carlos wurde oft unterschätzt. Weil er so ikonografisch aussieht und diesen flamboyanten Stil hat, dachten viele sicher oft, er sei kein besonders guter Musiker. Das Gegenteil ist ja der Fall. Er ist ja schon als Musiker fast virtuos, aber als Komponist ist der Mann irre. Was der auf dem Musiktheorie-Level draufhat, ist unfassbar, und er sprengt da wirklich einige Grenzen. Wir haben früher immer diesen Witz über sein geniales Bassspiel gemacht: „Celebrated basslines of the future“. (lacht) David Pajo1, der ihn nun in der Live-Besetzung ersetzen wird, musste ja Carlos‘ gesamte Basslinien lernen, und nachdem wir sie ihm geschickt hatten, rief er an und sagte: „Was ist das denn für ein Wahnsinnszeug, da passiert wirklich nichts zweimal, keine Wiederholungen“. Er musste also alles Note für Note lernen. Carlos ist ein Genie, wirklich (lange Pause des Bedauerns). Auch die ganzen Orchestrierungen, die er für uns gemacht hat, das Zeug hat ein so hohes Niveau. Er hat ja erst auf der letzten Platte damit angefangen, aber diesmal: unfassbar!

Was wir da hören ist also nicht der Sound einer Band in der Krise?

Ein klares Nein. Ich weiß, das wäre sicher eine schöne Geschichte, um es so aufzuschreiben. Aber es ist komplizierter. Wenn es denn eine Krise gab oder gibt, dann haben wir in diesem Moment der Krise unsere bislang beste Arbeit abgeliefert. Normalerweise veröffentlichen Bands in Krisensituationen ja Platten, die etwas sehr Eklektisches haben oder ein Album, das nur die Standards dieser Band verwaltet. Ich finde, wir haben ein sehr schönes, zusammenhängendes, in sich enorm schlüssiges Band-Album gemacht. So komisch das zum jetzigen Zeitpunkt auch sein mag.

Wissen Sie schon, was Carlos‘ Abgang für die innere Dynamik der Band bedeutet?

Ich könnte darauf antworten, aber das wäre mehr Information, als ich derzeit zu diesem Thema zu geben bereit bin.

Paul Banks setzt wieder sein strenges Gesicht auf und verschwindet hinter einer Rauchwolke. Ein bisschen sieht er mit der schwarzen Brille in seinem Jungsgesicht aus wie der Komiker Simon Gosejohann, wenn der in einem Sketch einen Berliner Szene-Künstler spielen würde.

Der Abgang des Gefährten muss auch deshalb schwer für die Band sein, weil Carlos Dengler stets neben dem fast schon anti-charismatisch agierenden Paul Banks bereitwillig den Part des Blickfangs in der Band übernommen hat. „Paul fühlt sich nicht eben wohl damit, ein klassischer Frontmann zu sein“, hatte der abtrünnige Bassist vor drei Jahren zu diesem Thema noch euphemisierend gesagt. Auf die Nachfrage, was Carlos‘ Ausstieg denn wohl für Banks als neuen Bühnen-Fixpunkt bedeuten könne, gibt dieser abermals zu verstehen, zu diesem Thema noch nichts sagen zu wollen. Er ist kein bisschen unfreundlich dabei, er möchte hier bloß einfach nichts aus der Hand geben. Man kann es ihm nicht verdenken. So eine Rockband ist schließlich auch eine Firma. Zunächst aber mal ist sie – zumindest im Falle von Interpol – ein Künstlerbund.

Freimütiger zeigt sich Banks denn auch, wenn es darum geht, seine kreativen Prozesse zu beschreiben. Schon früher hatten Interpol – deutlich mehr als andere Bands – ihr Selbstverständnis als Künstler betont. Und wenn man den ehemaligen Literatur-Studenten Paul Banks über seine Arbeit als Texter sprechen hört, merkt man, dass seine Zurückhaltung heikle Band-Interna betreffend auch einem ausgeprägten Sinn für eine möglichst genaue Wortwahl und einem deutlichen Missfallen an Phrasendrescherei und Geplapper geschuldet ist. Reflexhafte „Wir sind durch die Krise mehr zusammengewachsen denn je“-Rhetorik ist jedenfalls nicht seine Sache. Sprechen wir also mit ihm über seine künstlerische Arbeit, über die oft grimmigen Texte, die er für die von Carlos Dengler und Gitarrist Daniel Kessler komponierte Musik geschrieben hat. Die Versuchung, in diesen Texten – vor allem nach der Trennung von Paul Banks und Supermodel Helena Christensen – das Autobiographische zu suchen, ist groß.

Es ist ein Break-up-Album, stimmt’s?

Banks: Na ja, Carlos ist weg. Insofern gab es da ja eine Trennung.

Ich meine aber jetzt vor allem Ihre Texte. So ein Song wie „Always Malaise“ zum Beispiel. Das klingt, als seien Sie ziemlich paranoid, was das Konzept von Liebesbeziehungen angeht.

(ohne eine Miene zu verziehen) Ich bin ja auch völlig paranoid, was das Konzept von Liebesbeziehungen angeht. Ich glaube, gerade gegen Ende der Platte gibt es einige Post-Break-up-Songs, Stücke über dieses Stadium, wo man nicht weiß, ob man sich traurig oder lächerlich fühlen soll. Ich hatte früher viel Spaß damit, in den Texten den arroganten Typen raushängen zu lassen. Diesmal gefiel es mir mehr, aus der Perspektive eines verletzten Charakters zu schreiben, das habe ich so noch nicht gemacht. Ich bin das ja beides. Ich habe in einigen Songs schon Charaktere gespielt, die schlichtweg sexistisch waren. Ein Teil von mir ist so, aber ich bin nicht zwingend zu hundert Prozent so. Genau so ist es mit der Verletzbarkeit. Ich laufe gerade nicht mit gebrochenem Herzen herum, aber ich habe diese Erfahrung natürlich schon oft gemacht, also kann ich darüber schreiben. Ich habe mich diesmal auf diese Seite konzentriert.

Das heißt, das lyrische Ich in Ihren Texten sollte keinesfalls mit Ihnen verwechselt werden?

Nein, nicht zwingenderweise. Wenn das in den Songs immer deckungsgleich mit meiner Person wäre, dann wäre ich dem Text von „Hands Away“ zufolge wohl ein homosexueller Sadist. Bei „Always Malaise“ allerdings ist einfach etwas passiert, was mir noch nie passiert ist. Ich habe da etwas sehr Reines geschrieben, das mir direkt aus dem Herzen floss. Es war kathartisch, es zu schreiben, und es war kathartisch, es zu singen. Normalerweise muss bei mir alles immer erst durch lange Kanäle sickern, bis etwas davon in einem Text ans Tageslicht kommt. Wirklich direkt ist nie etwas, ich sehe die Dinge auch nicht direkt. Ich sehe sie gebrochen, so bin ich einfach.

In „Memory Serves“ singen Sie: „You don’t have to say that you’d love to / But, baby, please that you’d want to someday“. Das ist eine der traurigsten Songzeilen, die ich je gehört habe.

(lacht) Ja, oder? Das kam sehr spontan. Das ist am Schluss im Studio passiert. Wir hatten den Song fast fertig, ich machte gerade noch ein Gitarren-Overdub. Und über diese Gitarre fiel mir eben diese Melodie und dieser Satz ein. Es ist wie eine klärende Erkenntnis: Ich werde von einer Beziehung nie bekommen, was ich will, aber wenigstens habe ich noch meine Illusionen.

Am Schluss, in „The Undoing“, heißt es: „I’m chasing my damage“. Gehen Sie zum Psychoanalytiker?

Das bin dann mal wirklich nicht ich. Vielleicht ein bisschen, aber auch wieder nicht. Als Künstler muss man sein Trauma finden, traurigen Momenten seines Lebens künstlerisch nachspüren, man muss das in sich selbst finden. Das ist der Treibstoff von Kunst. Aber es besteht die Gefahr, seine eigenen Probleme zu fetischisieren. Ich sah kürzlich eine Dokumentation, in der ein Professor sagte: Der größte Mythos in Amerika ist der der glücklichen Kindheit. Ich glaube, das stimmt. Wir alle rennen zum Psychoanalytiker, um herauszufinden, was in unserer Kindheit falsch gelaufen ist. Aber es gibt keine Kindheit ohne sehr eindrückliche traurige Momente, die bis in alle Ewigkeit prägen. Was ich sagen will: Ich glaube einfach, man kann zu genau hinsehen. Als Künstler besteht die Gefahr ständig. Ich will an diesen Orten nicht zu lange verweilen.

Würden Sie sagen, dass sich ein Thema durch die Texte der Platte zieht?

Hm, nicht mehr als sonst. Ich sehe auf mein Leben und ich bemerke, dass ich doch nur wie ein Kind bin. Je älter ich werde, desto mehr begreife ich, dass alle wie Kinder sind. Man muss anerkennen: Die Liste der Dinge, die uns motivieren, ist sehr kurz. Es gibt da nicht so schrecklich viel, was uns antreibt, zu tun, was wir tun. Meine Themen sind: Angst, Einsamkeit, Verlust, Lust, Libido. Und dann kommen ein paar existenzielle Themen dazu. Das sind die Themen meines Lebens.

Welche Texter mögen Sie?

Die Arctic Monkeys, Spoon, ich mochte einige Texte des letzten The-National-Albums. Und MGMT.

Oha, MGMT. Tatsächlich?

Diese erste Single, wo sie ihre ganze Karriere entwerfen: „Let’s make some music, make some money, find some models for wives“. Das ist so fucking cool. Erster Song auf dem Album, erste Single: super. Mein wirklicher Held ist natürlich Leonard Cohen, aber so gute Texte braucht man in der Rockmusik eigentlich nicht. Ich höre viel Hip-Hop, weil es da mehr auf die Qualität von Texten ankommt. Ich verehre Nas sehr und Talib Kweli und Mos Def. Bei Rockmusik geht es aber nicht um Texte: In der Rockmusik kannst du totalen Scheiß singen und trotzdem einen guten Song daraus machen, wenn die Melodie der Hammer ist. „Hey Ya!“ hat keinen tollen Text, aber was für ein Song das ist!

Sie haben im letzten Jahr als Julian Plenti ein Solo-Album gemacht. Würde das neue Interpol-Album heute anders klingen, wenn es dieses Solo-Album nicht gegeben hätte?

Ich glaube, ich habe mich durch die Platte mehr geöffnet. Ich habe da Seiten entdeckt und gezeigt, die bei Interpol niemals rausgekommen wären. Ich glaube, das hat mich offener und gelöster gemacht. Bei den Aufnahmen zum neuen Interpol-Album ist mir beispielsweise das Singen viel leichter gefallen, und das liegt definitiv an dem, was ich mit der Julian-Plenti-Platte ausprobiert habe. Ich habe jetzt auch keine Angst mehr vor Kritik oder mangelnder Wertschätzung. Ich hab das mit der Soloplatte überwunden. Mir geht’s darum, was ich tun will. Wenn man will, dann ist Interpol das Album einer unvollständigen Ankunft: Die Band hat sich innerhalb ihres selbstgesteckten Rahmens so sehr weiterentwickelt, dass sie, all den öden wie berechtigten Post-Punk-Referenzen zum Trotz, doch noch zu sich selbst gefunden hat. Und zu der ihr schon vorher oft zugeschriebenen Größe, der aber, wenngleich sie stets erahnbar war, immer die – offensichtlichen und angeblichen – Bezüge und Referenzen im Weg herumstanden. Dass dabei ein Mann über Bord gehen musste, verwundert fast nicht.

Sie haben die Platte schlicht Interpol genannt. Ist das ein Statement, um zu sagen: Auch wenn einer weg ist – so sehr Interpol waren wir noch nie?

Ja, vielleicht. Früher war der Albumtitel für uns eine letzte Möglichkeit, nach Beendigung der Aufnahmen, mit den Hörern zu kommunizieren, ihnen quasi einen Rahmen zu geben, der alles in den richtigen Kontext rückte. Das war diesmal nicht nötig, wir mussten nichts mehr erklären oder mehr sagen, als in der Musik bereits da war. Jeder weitere Text hätte weniger Information bedeutet. Was man diesmal hört, ist Interpol, sonst nichts.

Albumkritik S. 91

www.interpolnyc.com

1David Pajo war unter anderem in der Backingband von Will Oldham, Mitglied bei Tortoise, The For Carnation, Stereolab, Zwan. Mit seiner Band Slint und deren zwei Platten und einer EP beeinflusste er das Post-Rock-Genre wie kaum ein anderer. Solo tritt Pajo als Papa M oder Arial M auf.