Devo: De-Vo Da-Da


Kann eine weitere Devo-Geschichte das Geheimnis der Asbest-Augenklappen der fünf Devo-Prototypen lüften oder gar jenes dahinter? Wird den Fans eine Illusion geraubt, wenn man davon spricht, daß Devo Wesen mit durchaus menschlichen Zügen sind? Ist es eine Bloßstellung zu berichten, daß sich Devo-Jerry Casale unerwartet entblößte, als ihm der Hosenboden seines Bühnen-Papierdresses platzte (ein Risiko der pflegeleichten Wegwerfkleidung)? Interessiert es den Leser, daß Devo Deutschlands Discotheken für einen Anachronismus halten, aber trotzdem gerne tanzen? Und daß sie ihre Interviews nur gemeinsam machen, aber nur Jerry spricht? evo als Band, als Konzept und als Amerikaner sind ein Widerspruch; das Positiv und das Negativ, das Plus-Minus-Null und damit von einer solchen ausgewogenen Unausgewogenheit, wie sie kein deutsches Fernsehprogramm je erreichen wird. Am Tag, an dem Devo nach München kamen, tauchten mehr Devo-Schüler auf, als Mick Jagger jemals Groupies vor seiner Garderobe zählen konnte. Eine Abordnung aus Style und Design, Video-,Mode-, Technik-.Fiction-präpariert und mit Fotoapparaten bewaffnet, war rund um die Uhr auf Achse. Devomania und Devo-tismus in Munich, obwohl sich noch weitere 20 internationale Bands von Supertramp über Foreigner bis Rory Gallagher zu Fernsehaufzeichnungen dort tummelten. Nur Flying Lizards, The Specials und The Slits genossen die Sympathie der Neuen Szene, die es zum ersten Mal auf eine Image-gerechte Machtprobe mit der Alten Szene anlegten. Fünf hartnäckig schweigende und Mittagessen-kauende Devos im privaten Tarn-Look: Grau-in-Grau und Schwarz-in-Schwarz (Ausnahme: Marks rote Schuldscheinen das peinliche Schweigen, von jedem auf seine Weise ignoriert, zu genießen. Nur einmal erhebt sich Jerry zu einem 15-minütigen Referat über ,,Punk“ und „New Wave“. Eine zehn-bändige Enzyklopädie samt Fremdwörterlexikon wäre vonnöten, Jerrys scharfe, schnelle und analy tische Ausführungen wiederzugeben. Fazit:,, Bands wie The Knack sind absolut nicht neu und haben ihren Erfolg einem bereits bekannten und akzeptierten Image zu verdanken, das Band wie die Beatles verkörperten. Sie sind so ungefährlich und somit für die musikalische Weiterentwicklung so unbedeutend wie Abba oder Fleetwood Mac.“ Eine Diskussion darüber scheint nicht erwünscht, zumindest wird sie durch erneutes Schweigen unterdrückt. Ich schlage einen Raumwechsel für das Interview vor. Ungern folgen mit zuerst Bassist Jerry Casale und Sänger Mark Mothersbaugh alleine in den Nebenraum. Wenige Minuten später sind auch die Gitarristen Bob Mothersbaugh und Bob Casale und Schlagzeuger Alan Myers am Tisch versammelt zehn Augen erbarmungslos auf mich gerichtet, keine Geste des Entgegenkommens. Der Fotograf muß draußen warten -Devo ohne Uniform sind auf Fotos so undenkbar wie Kiss ohne Make-Up. Wieso die großangekündigte Herbsttournee abgesagt wurde, frage ich. Jerry antwortet höflich und präzise, läßt aber durchblicken, wie oft er diese Frage schon beantwortet hat: „Es hätte finanzielle Probleme gegeben. Wir hätten dabei soviel Geld verloren, daß uns das Defizit in Schwierigkeiten gebracht hätte. Und das aus folgenden Gründen: die Veranstalter hatten Hallen gebucht, deren Größe sich nach dem Verkauf unserer Platten gerichtet hat! Ich bin mir aber sicher, daß Devo größere Hallen füllen könnte, weil die Live-Attraktion der Band größer ist, als es die Platten vermitteln. Und aus diesem Grund hätten wir selbst bei ausverkauften Hallen nicht genug Geld verdient, um Kosten für Show und Tournee zu decken. Virgin Records hätten uns unterstützen müssen, was sie im Moment nicht wollten. Jetzt sind wir nur wegen Interviews, Fotos und Fernsehshows gekommen.“ Devo-Latein in verständliche Leseart zu übersetzen, erweist sich als schwer. Die Band aus Akron, Ohio, ist kopflastig, intellektuell, akademisch. Mit Absicht natürlich. Sie persiflieren verbal das Bürokratenund Technokraten-Kauderwelsch, wie sie es auch optisch und akustisch tun. „Virgin gibt uris lieber die nötige Unterstützung für das dritte Album, das bis März oder April veröffentlicht sein wird. Danach werden wir sofort eine Europatournee machen. Die Chancen stehen günstig, denn wir wollen, das die Leute unsere neue DShow sehen.“ Wer also nicht das Glück hatte, Devos letztes Konzert mitzuerleben, wird die alte Show nur noch per Fernsehkonserve und Promotionfilm nachholen können. Ist das notwendig und klug?“Wir wollen die alte Show nicht mehr machen. Die zweite Show war eine radikale Veränderung der ersten, aber sie war viel verständlicher und besaß mehr Stimmung und Bewegung. Und sie war 90 Minuten lang. Und die nächste wird, wie das neue Album, einen totalen Wechsel bringen.“ Außer einem einmütigen Kopfnicken der vier anderen Devos erfahre ich nichts über die Veränderungen. Wir sprechen über die Platten, ein heikles Thema, denn während Devos Debutalbum ARE WE NOT MEN? – WE ARE DEVO noch heute auf meiner Favoritenliste steht, habe ich mich mit dem Nachfolger DUTY NOW FOR THE FUTURE nie so recht anfreunden können. Zu konventionell und konturenlos waren mir die Songs, weil ihnen die Schärfe und Angriffslust des von Eno produzierten Erstlings fehlten. Warum wurde mit ihm nicht auch das zweite Album gemacht? “ Wir wollten nicht eine Erfahrung wiederholen. Der Sound der ersten LP war nichts Definitives, nichts, was wir fortsetzen wollten. Tatsächlich hat die Arbeit an diesem ersten Album Devo große Verluste gebracht. Wir haben versucht, uns auf eine neue Phase von Devo zu konzentrieren.“ Hat es damit zu tun, daß das erste in Deutschland und das zweite in den Staaten aufgenommen wurde? „Ja, das erste ist quälend und intensiv. Auf dem zweiten vermißt man vielleicht dieses Schmerzgefühl, unseren Gefallen an modischen Strukturen. Und das ist wahrscheinlich überhaupt der Unterschied zwischen Deutschland und Amerika.“ Mit einem /einen spöttischen Lächeln in Richtung Nebenraum, wo die avantgardistische Infrastruktur Münchens wartet, bekräftigt er seine Behauptung. Mark schaut demonstrativ auf seine roten Schuhe:,,Das intensive Gefühl, das die Umstände in Deutschland erzeugten, vermißt man auf dem zweiten Album; nicht so hart und rockig. In den Staaten ist es warm, die Einkaufszentren und unsere Freundinnen sind in der Nähe – alles degenerierende Umstände.“ Degeneration, Devolution, Devo über das normale Leben. Degenerieren Sonne, Meer, Essen, Liebe und sogar Luxus oder die von ihnen karikierte kalte Arbeitswelt? Jerry nickt. Ja, was nun? „Beides. Nur die Auswirkungen der Degeneration sind unterschiedlich. Die eine macht weich, nachgiebig, menschlich, die andere hart, engstirnig, roboterhaft.“ Devo-Alternative Nummer Eins: ARE WE NOT MEN? -WE ARE DEVO in Deutschland. Wessen Idee war das? „Es war keine Idee, kein bewußter Entschluß. David Bowie sollte das erste Album produzieren und war mit den Dreharbeiten zu „Gigolo“ in Berlin beschäftigt. Wir wählten Conny Planks Studio, um in Bowies Nähe zu sein. Dann aber wurde er durch den Film derart beansprucht, daß wir ;nit Brian Eno die Platte machten. Und Eno hatte ja mit Bowie schon bei Conny Plank gearbeitet.“ Devo in Deutschland, Devo mit Bowie, Devo mit Eno – man hat das Gefühl, daß die Band mehr mit Europa verbindet als mit Amerika. „Das hat sich wohl aus unserer zeitgenössischen Arbeit ergeben. Wir haben nie bewußt Anstrengungen in Richtung Europa unternommen. Und das ist der beste Weg, um die Dinge ins Rollen zu bringen. Die Leute aus Europa schienen wirklich hinter uns herzu sein. Es war eine Vorausbestimmung.“ Devo und das Übernatürliche, Devo und der Glaube an eine höhere Macht? „Selbstverständlich. Für jeden Menschen existiert sie in einer anderen Form: Religion.Magie, Aberglauben, Familientradition – für uns ist es eine genetische oder eine chemische – je nachdem, ob du Devo als Mensch oder Devo als Produktbetrachtest. Das Produkt Devo lächelt sphinxhaft, der Mensch Devo nippt am Cognac. Schizophrene Gedanken machen die Runde, in der jeder ein harmloses Grinsen aufgelegt hat. Devo-Sprache und Devo-Texte: „Sie sind so wichtig wie Musik, sind ein Schlüssel. Ich meine, wir sind das, was wir tun.“ Bonmot fürs Kreuzworträtsel — ich habe ein Fragezeichen auf der Stirn. „Ich meine, wir arbeiten nicht förmlich am neuen Album, im Studio oder so. Wir hatten keine Zeit, das Material einzuüben. Wir waren die ganze Zeit schwer beschäftigt. Es gibt konkrete Ideen für das Album. Wir wollen Dinge vermeiden, die wir schon gemacht haben. Das Besondere an unserem dritten Album wird sein, daß es, wenn es eine Single darauf gibt, viele Singles darauf geben wird. Es wird ein Album voller Singles, falls jemand den Kode für die erste knacken kann. Wenn dir ein Devo-Song gefällt, werden dir viele davon gefallen.“ Ich nicke jetzt ebenso unergründlich wie die Devo-Pappkameraden. Ist Devo vielleicht ein neuer Virus, gegen den nur ein Teil der Rock’n‘-Roll-Spezies immun ist? Ist es Einfluß? Haben Leute auf Devo Einfluß, die vergleichbare Projekte machen? „Nicht bewußt. Manchmal vergleicht man uns mit X oder Y, und später stellen wir fest, daß der Vergleich stimmte. Es ist wichtig für mich festzustellen, daß andere Leute ähnlich wie wir denken. Wir sind echte Amerikaner, obwohl wir eine Menge Ideen mit europäischen und auch japanischen Künstlern teilen – vor allem Filmleuten. Die Plastics und das Yellow Magic Orchestra aus Japan sind gut. Es scheint eine Menge Neues in der Musik zu passieren. Und wir geben unser Bestes, um alte Dinge auszuradieren.“ Devo, die fünf unauffälligen Menschen, sind eine halbe Stunde später ausradiert, ausgetauscht durch Papieroverall-Androiden mit Schutzschild vor den Augen. Wie eine Mondexpedition durchschreiten sie das „Rock Pop“-Fernsehstudio. Sie verkleiden fachgemäß das Bühnenpodest mit einer schwarzen Plastikplane und stellen sich auf zum Appell, grüßen ihre fünf gelbgewandetenDiaKopien auf dem gegenüberliegenden Bildschirm. „The Day My Baby Gave Me A Surprise“, die letzte Single der Devo, wird mehrmals zum Playback gemimt. Die Verwandlung von Devo zu Computerwesen ist perfekt; Marks groteske Mimik zwischen Professor Unrat und Charlie Brown zum hektischen Trippeltanz der Gruppe ist beängstigend und komisch zugleich. Die versammelten Musiker aus der etablierten Rockwelt schauen verächtlich zu. Münchens Devo-Partei übt sich im coolen Blickduell. Devo sind diszipliniert und distanziert und besprechen den Verlauf des Abends. München: Mode-Woche, Disco-Sound und Film. Jerry:,.Wir sind mehr denn je am Film interessiert. Wir planen für’s nächste Jahr einen Spielfilm, denn die Erfahrung mit den kurzen Promotionsfilmen haben wir hinter uns. Eher einen Film, der für sich bestehen kann, mit einer Spielhandlung über 90 Minuten und einem Devo Soundtrack dazu. Für die zweite Show haben wir eine 6-Minuten-Phantasie über Devo in der Schallplattenbranche gedreht. Wie eine Fernsehdokumentation, ein Doku-Drama. Und eventuelle Ähnlichkeiten mit lebenden Personen waren völlig beabsichtigt. Eine Menge Leute machen jetzt Filme über ihre Platten: die Eagles, Kris Kristofferson etc. Es ist ein neuer Trend in Amerika und grundsätzlich gut. Aber leider sitzen die falschen Leute am Hebel. Doch sie haben den Namen und das Geld dazu. Vom ästhetischen Standpunkt aus betrachtet sind sie indiskutabel. Von Devo werden die Leute etwas Besonderes bekommen. Wir sind nicht daran interessiert, uns Instrumente-schmeißend und schwitzend auf der Bühne in Szene zu setzen. Aber die Idee, einen Musiker vollkommen zu präsentieren, an Stelle seiner den Film auf Tour zu schicken, zeugt sicher von einem höheren humanen Level, als Energien auf Mammut-Tourneen unmenschlich zu vergeuden, bei denen die Musiker total ausbrennen. Die meisten Live-Konzerte sind doch menschliche Energieverschwendung. Und die Umstände, unter denen Besucher Live-Musik konsumieren müssen, sind unerfreulich. Mit Video und Kabelfernsehen und eines Tages vielleicht auch Holograms könnte eine Band in einer Halle auftreten, die speziell auf Klang und Optik zugeschnitten ist. Gleichzeitig könnte man die Aufzeichnung mit Holograms in Millionen Haushalte ausstrahlen, so daß 40 Großstädte gleichzeitig ein Konzert als Heimunterhaltung anbieten. Damit hätte jeder die Kontrolle über das Original. Musik ist eine komplexe Kunstform, weil Vinyl wie eine Kunst-Creme ist, die ewig hält. Aber auf der anderen Seite hat sie noch die Verbindung zum Theater, denn das Live-Erlebnis kann nur durch Auftritte erreicht werden. Deshalb muß ein Musiker gleichzeitig ein Plattenkünstler, ein Schauspieler, ein Objekt, ein Tänzer und Dramaturg sein — das ist sehr kompliziert und inhuman.“ Devo-Konzept und Zukunftsvision als Mittel für mehr Humanität? „Natürlich. Es wäre ein Mißverständnis zu glauben, daß wir die Welt in lauter Imitationen verwandeln wollen die Welt ist voller Imitationen, auf die wir hinweisen wollen. Und das geht nur mit unmißverständlicher Klarheit in Sprache, Optik und Sound und auch in den Medien. Es gibt nur eine Realität, und die Medien können nur so real sein, wie ein Buch oder ein Film es ist – als Kopie.“ Devo am Abend. Sie haben Kopien in München hinterlassen, Fotos, Papierjacken, die sie verschenkten, Zeichnungen, eine Fernsehaufzeichnung. Sie haben mit Gleichgesinnten diskutiert, in der Kantine, auf der Straße, beim Essen, in der Disco. Devo privat: angenehm und immer Ironie zwischen den Zeilen. Ihre Musikwunsche, Ramones, Iggy Pop oder David Bowie, wurden vom Disco-Jockey ignoriert, sein Blick war auf Supertramp, Foreigner und Gary Wright gerichtet, die in der Ecke saßen. Devo tanzte zu M’s „Pop Muzik“.Dr. Hook Ray Sawyer drückte ihnen überschwenglich die Hand:“Mann, ich steh auf eure Musik!“Und schob dabei verlegen den Texaner-Hut noch tiefer ins Gesicht.“Dieser Club hinkt entweder zehn Jahre zurück oder voraus“, urteilt Jerry mit einem Blick auf Modepuppen, Schaufensterpuppen, Musikerpuppen. „In Los Angeles könnten diese Leute allein mit Marotten und Posen nicht existieren. Los Angeles verlangt von dir Erfolg, Ansehen. Leistung. Dort würden diese Leute als lebensuntüchtige Dekadenz zugrunde gehen. Deutschland ist ein Devo-Widerspruch: Disziplin und Dekadenz.“ Devo leben seit drei Jahren in Los Angeles. Man mag sie dort nicht. „Aber das ist für unsere Arbeit gut. Der Druck erzeugt Aggression, die Aggression Aktivität.“ Deborah, Sängerin der Flying Lizards steht vor Jerry:,,Oh, ihr seid Devo? Ich wollte schon immer mit euch reden.“ Und geht, ohne noch ein Wort mehr zu sagen, puppenhaft weiter. Ich habe schon als Kind Puppen und Marionetten geliebt. Devo sind ein amüsantes Spielzeug. Ein betrunkener Bayer sagt zu Bob Casale: „Ich komme aus Beverly Hills, München“, und trinkt sein Champagnerglas leer. Devo sind müde und gehen. In der Münchner Devo-Hochburg, dem Filmtreff „Die Klappe“, steht zu lesen:ARE WE NOT DISCO? – NO WE ARE DEAD