Die Frau in mir


Sollte er uns alle getäuscht haben? Steckt hinter dem Bild von einem Mann in Wahrheit ein Zwitterwesen? Nichts davon: Sting veröffentlicht seine zweite Solo-LP und die handelt ausschließlich von Frauen. Der ehemalige Polive-Sänger macht sich Gedanken über seine feminine Seite. Sting bleibt Sting. Warum allerdings hat ihn sein Bruder dann kürzlich einen „Schlappschwanz“ genannt?

Ich bin vorgestern Nacht mit meinem Bruder ausgegangen und hab das erste Mal seit Jahren wieder Bier getrunken, Sieben Halbe. Am nächsten Tag war mir speiübel. Ich hab meinen Bruder angerufen und ihm’s erzählt. Er meinte bloß: „Schlappschwanz!“

Sting sitzt auf dem Rücksitz eines Mercedes, auf dem Weg von seinem Hotel runter zum Ufer des Tyne. Der Fluß schlängelt sich durch das Zentrum von Newcastle, einer Stadt ganz oben an der trüben Nordost-Küste Englands, gleich unter der schottischen Grenze.

In einer heruntergekommenen Hafengegend hat man den Set für „Stormy Monday“ aufgebaut, jenen Film, in dem Sting neben Melanie Griffith und Tommy Lee Jones eine Hauptrolle spielt. Für diesen Film ist er zum ersten Mal, seit er vor zehn Jahren bei The Police einstieg, wieder längere Zeit in der Stadt, in der er aufgewachsen ist. Nachdem er sich von der Qualität des Skripts überzeugt hatte, nahm er die Rolle sofort an. „Es ist, als ob der Film auf mich zugeschnitten wäre. Der Typ, den ich in dem Film spiele, ist jemand, der — wie alle Rollen, die ich spiele — nicht unbedingt gut oder böse ist. Im Grunde seines Herzens ist er ein ehrbarer Mann, dem ein Jazz-Club gehört und der Musik liebt. Gleichzeitig ist er an Geld und Macht interessiert. Der Film gibt mir die Möglichkeit, nach Newcastle zurückzukommen und mir darüber im Klaren zu werden, wie weit ich’s gebracht habe. Ich habe Leute und Plätze gesehen, die ich seit Ewigkeiten nicht mehr gesehen hatte. Aber eigentlich dürfte ich gar nicht hier sein, sondern sollte in New York mein neues Album abmischen.“

Es gibt Dinge im Leben, die wichtiger sind als das zweite Solo-Album. Und ein weiterer wichtiger Grund für Sting, in seine Geburtsstadt zurückzukehren, war der Tod seiner Mutter. Sie war im Sommer nach zweijährigem Kampf gegen Krebs gestorben, bereue nicht, materiell erfolgreich oder reich zu sein“, überlegt er. „Aber nach ihrem Tod bekommt das für mich ein ganz anderes Gewicht — Reichtum ist etwas, das man buchstäblich nicht mitnehmen kann.

Doch, es tut mir gut, jetzt nach Newcastle zurückzukommen.“

Aus Newcastle zu fliehen, war sinnigerweise früher sein Ziel. „Ich war der festen Überzeugung, daß es in dieser Gegendßr mich keine Möglichkeiten gab. Man ist hier nicht so beweglich wie in London. In London kann man zur Arbeiterklasse gehören und es trotzdem schaffen.“

Als er mit 11 Jahren in das katholische Gymnasium der Stadt eingeschult wiarde, wurde ihm erstmals bewußt, daß es noch eine andere Welt gab. „Ich fing damals an, Jungs aus betuchteren Familien zu besuchen und mir ihre Häuser anzusehen. Und ich traf die Entscheidung, später einmal auch so etwas haben zu wollen.

Ich glaube, diese Erfahrung hat immer mein Leben bestimmt — nicht unbedingt der Materialismus, aber die Möglichkeit, Sachen zu machen, die nicht zwingend auf meinem vorprogrammierten Weg lagen. Denn bis dahin hatte ich wirklich keine große Auswahl: Man arbeitete entweder in der Grube oder in der Werft — oder man lebte gleich von der Sozialhilfe.

Ausbildung, ein guter Schüler und Athlet zu sein, meinen Akzent zu ändern — all das waren Wege, nicht unbedingt aus Newcastle rauszukommen, aber mir wenigstens eine gewisse Entscheidungsfreiheit zu sichern.“

Newcastle hatte natürlich auch seine positiven Seiten. Mitte der 60er war es ein blühendes Zentrum der Mod-Kultur, beherrscht vom Hohetempel eines der legendärsten britischen Clubs, dem „Club A-Gogo“. Hier sah Sting oft eine Gruppe namens The Gas Board, deren Frontmann ein Sänger war, der aus ähnlich ärmlichen Verhältnissen stammte: Bryan Ferry.

Doch die ersten drei Bands, die Sting je sah, hinterließen deutlichere Spuren: The Graham Bond Organisation, dann Cream und dann The Jimi Hendrix Experience. Hendrix entpuppte sich als das bei weitem eindrucksvollste Erlebnis. „Er kam mir vor wie ein Marsmensch. Es gab so gut wie keine Schwarzen in Newcastle — ich glaube, er war sogar der erste schwarze Mensch, den ich je gesehen habe. Ich war elektrisiert und konnte das Erlebnis kaum verdauen.

Das gab für mich den Ausschlag, Musiker zu werden — auch wenn das vorher schon irgendwie unterbewußt klar war. Ich hatte davor schon die Beatles gehört, aber das warfir mich der Beginn der Rockmusik. Es war heavy — ganz anders als heute!“

„Das ist nun fast 20 Jahre her“, überlegt Sting. „Ich werde in diesem Oktober 36, und natürlich präsentiere ich mich heute ganz anders als noch vor fünf Jahren. Rock’n’Roll hat grundsätzlich etwas Kriegerisches an sich, es geht um Frisuren, es ist sexuell und macho. Aber mit zunehmendem Alter finde ich das alles nicht mehr so bedeutungsvoll wie früher. Ich fühle, daß ich tatsächlich 36 sein will, ein bißchen gesetzter. Aber heißt das, daß ich disqualifiziert bin, Rock’n-‚Roll zu machen? Irgendwann kommt man zu der Erkenntnis, daß eine Menge von dem Zeug, das als Teenage-Musik verpackt wird, einfach Pseudo-Rebellion ist.

„Andererseits glaube ich“, sinniert er, „daß es einen Platz für Sänger und Musiker mittleren Alters gibt. Ich werde trotzdem keine Hymnen mehr für eine Generation schreiben — Tatsache ist, daß ich nur noch über meine persönlichen Belange schreibe.

Wenn ich mich aber umschaue und mir die Leute ansehe, die neue Musik machen und eine Wende herbeiführen sollen, muß ich sagen, daß das nicht sehr hoffnungsvoll aussieht. Alles ist zu sehr vorprogrammiert. Eine ganze Menge Leute sehen so aus, als ob sie rebellisch und bedeutsam wären. Dabei sind sie es nicht.

Mir ist auch klar, warum das so abläuft: Meine Generation wuchs in einer stabilen Gesellschaft auf und fühlte sich entfremdet. Heute ist die Gesellschaft selbst entfremdet. Das Problem ist heule also, innerhalb einer entfremdeten Gesellschaft in sich selbst stabil zu sein. Meiner Meinung nach drückt sich das aber nicht in der Musik aus.

Musik war das Aushängeschild für das, wofür wir standen. Ich glaube, das ist sie jetzt nicht mehr. Was mich persönlich betrifft, so werde ich nur noch Statements über mein Leben machen.“

Nie wieder Digital

Rechnet man The Police zu Stings Jugendjahren, dann war sein erstes Solo-Album The Dream Of The Blue Turtles in der Tat ein Statement persönlicher Reife. Ebenso wichtig für ihn war es aber auch, daß die Musiker, die sowohl auf Platte als auch bei der nachfolgenden Tournee mitspielten, allesamt schwarze Jazzer waren.

„Ich war ein erfolgreicher weißer Popstar, dem man einen gewissen Respekt als Songwriter entgegenbrachte, der aber als Musiker nicht sehr anerkannt war. Und diese Musiker — die alle zehn Jahre jünger waren als ich und aus dem schwarzen Mittelstand stammten — haben alles so natürlich und mit links gemacht. Ich fand das unglaublich stimulierend.

Es hat meinen Horizont erheblich geöffnet. Bei Police war ich immer die Kontrollperson — ich mußte alles unter Kontrolle haben. Es war eine sehr geschlossene kleine Band — was ihr zuerst viel Energie gab, die Produktivität aber bald lähmte.

Und was die Band mit den schwarzen Musikern angeht — die habe ich in eine Position gehievt, in der sie nie zuvor waren: in einer Rockband vor einem Stadium voller Leute zu spielen. Keiner von ihnen hatte jemals vor mehr als fünf Leuten gespielt. Es war eine sehr interessante Erfahrung — und eine Menge dieser Jungs sind jetzt gute Freunde.“

Und so hat Sting ein weiteres Solo-Album gemacht. Unter den Musikern finden sich Branford Marsalis und Kenny Kirkland, die schon auf Blue Turtles mitgespielt haben. Ansonsten sind dabei: Andy Summers, Mark Knopfler, Eric Clapton, Rüben Blades und Jazzmeister Gil Evans.

Die Technologie sorgte dafür, daß diese Platte eine schwerere Geburt war als die erste Solo-LP. Nothing Lire The Sun, so der Titel, war die erste Digitalaufnahme, die Sting je gemacht hat; und, glaubt man seinen Worten, bestimmt die letzte. „Das werde ich nie wieder machen. Es ist eine fürchterlich wissenschaftliche und methodische Angelegenheit, und wenn du dich nicht dagegen wehrst — so wie ich das machen mußte — kann es einer Platte die ganze Vitalität nehmen.“

Vier Monate hat die Arbeit an dieser Platte gedauert — für alle anderen Platten hat Sting bisher höchstens zwei gebraucht. Es war gegen Ende des vierten Monats, als seine Mutter starb. „Ich blicke zurück auf dieses Album“, sagt Sting wehmütig, „undich weiß, daß diese Platte von meiner Mutter handelt. Auch wenn ich das zu dem Zeitpunkt noch gar nicht wußte. Es wurde mir erst klar, als ich anfing, den Covertext zu schreiben.

Und als ich damit fertig war, fiel mir auf, daß dieses Album eigentlich nur von Frauen handelte. Von Müttern und Töchtern, Geliebten und Ehefrauen, Schwestern… jedes Lied behandelt eins von diesen Themen. Es geht nur um Frauen.

Es gibt dann noch ein Lied über Chile namens ‚They Dance Ahne‘. Ein Erlebnis, das ich hatte, als ich mit The Police in Chile war: Die Mütter und Frauen von Vermißten befestigen sich die Fotografien ihrer Liebsten an den Kleidern und tanzen mit ihren unsichtbaren Partnern vor dem Polizeipräsidium — ein unglaublicher Ausdruck von Kummer und Protest.

Aber es ist die weibliche Art, gegen Unterdrückung zu kämpfen. Die männliche Art ist, Autos in Brand zu setzen und Steine zu werfen. Aber die weibliche Art ist so viel mächtiger und überlegener, weil: Was kann die Polizei schon machen – diese Frauen tanzen ja nur.

Was ich auf der Platte ausdrücken will, ist, daß Frauen letzten Endes den Männern überlegen sind. Wir sind nutzlos — jedesmal, wenn wir gegen Unterdrückung kämpfen, beschwören wir noch mehr Gewalt herauf und können aus diesem Kreislauf nicht mehr raus. Frauen dagegen haben eine viel sensiblere Art, damit umzugehen. „

Aber geht es denn in diesem auf Weiblichkeit basierenden Album nicht auch um Sting, der seine feminine Seite entdeckt hat?

„Absolut, ja. Ich glaube, es ist ein Zeichen von Reife, wenn ein Mann akzeptiert, daß ein Teil von ihm eine Frau ist. Eine Mutter gibt dir Sensibilität, Kreativität und einen Sinn fürs Geben mit. Dagegen ist das, was du von deinem Vater mitkriegst, ein Sinn für Herausforderung, Kampf und die Notwendigkeit, zu gewinnen.

Die weibliche Seite ist ein Teil von dir, den du nicht verleugnen solltest. Ich sage nicht, daß man zur Tunte oder zum Schwächling werden sollte. Aber ich glaube, um eine intakte Person zu werden, muß man mehr und mehr beides akzeptieren. Insofern handelt dieses Album auch von der Frau in mir. Männer beherrschen die Welt. Und das ist der Grund, warum es so ein beschissenes Durcheinander ist.“