Die Härte


Drogen, Alkohol, Psychiatrie und sogar ein Herzinfarkt. All das konnte ihnen nichts anhaben - Black Sabbath sind die Eisenmänner des Rock. Jetzt haben sich die Veteranen um„/ "Madman" Ozzy Osbourne für eine Abschiedstournee noch einmal zusammengerauft.

SEIN GESUNDHEITSZUSTAND G BT Rätsel auf: Ozzy Osbourne ist ein Rock-I Zombie, wie er im Buche steht – die Haut ist ledern, die Gesichtsfurchen sind tiefer als der Grand Canyon, die Sprache ist ein unverständliches Kauderwelsch, und selbst den aufrechten Gang schafft er nur noch mit Mühe. Wenn der Mann gebückt durch den Raum schlurft, wirkt er wie ein Großvater, der nach seinem Gehstock sucht. Dennoch: „Mir geht’s wirklich bestens – und ich bereue überhaupt nichts“, raunzt Osbourne trotzig. „Ich habe zwar viele dumme Dinge getan, aber irgendwie haben sie mich doch erst zu dem gemacht, der ich heute bin. Lind deswegen können sie gar nicht so falsch gewesen sein. Klar, ich bin älter und weiser, aber das bleibt ja wohl nicht aus.“

Osbourne ist 52. Ein Alter, in dem andere Rock-Opas noch athletische Höchstleistungen mit 20-jährigen Freundinnen vollbringen. Nicht so der gebürtige Brite, den alle nur Ozzy nennen. Dem sind die wilden Jahre mit Alkohol, Drogen und Sex ebenso in den Körper gemeißelt wie einem Keith Richards – mit dem Unterschied, dass Richards heutzutage topfit wirkt, Ozzy hingegen reif fürs Altersheim scheint. Dennoch, auch Ozzy kann nicht genug vom lungbrunnen Rock’n’Roll kriegen. So sitzt er Ende Oktober im Büro seiner Ehefrau und Managerin Sharon Osbourne am Santa Monica Boulevard von LA, schlürft Milchkaffee, raucht Kette und sinniert über das, womit nicht einmal die treuesten Black Sabbath-Fans gerechnet hätten: die große Abschieds/Reunion-Töumee jener Band, die gemeinhin als Mutter allen Hardrocks, als Saat des Bösen und als lebende legende gilt.

Nicht schlecht für vier Arbeiterkinder aus Birmingham. Ihr Hardrock war Ende der 60er Jahre uon MHRCEL RNDERS

die logische Reaktion auf die naive Flower-Power-Bewegung und den stagnierenden britischen Beat, aber auch auf den Zynismus des Vietnam-Krieges, den Wahnsinn des Charles Manson, das Chaos von Altamont und die Morde an Robert Kennedy und Martin Luther King. Überall war die einst so friedliche Welt aus den Fugen geraten. Benannt nach einer Novelle von Dennis Wheatley, standen Black Sabbath in Opposition zu allem und jedem -vor allem aber zu ihren Wurzeln in der Arbeiterklasse. Sie wollten anders sein, nicht in der Fabrik oder in der Kohlengrube malochen.

Zunächst allerdings versucht es die 1967 gegründete Gruppe mit Blues, bevor sie sich wenig später auf Jazzrock (!) verlegt. Nach einem kurzen Gastspiel, das Tony Iommi 1969 bei lethro Tüll gibt, finden Sabbath endlich ihre Erfolgsformel: schwere Riffs, hymnische Melodien und Texte über Wahnsinn, Metaphysik und psychedelische Trips. Ein Ansatz, der nicht nur in England einschlägt wie die sprichwörtliche Bombe: Ihre ersten fünf Alben, die sie binnen 36 Monaten aufnehmen, gelten bis heute neben den epochalen Werken etwa von Led Zeppelin und Deep Purple als Klassiker und definieren das Hardrock-Genre. Sabbath-Songs wie „Paranoid“, „Iron Man“ oder „War Pigs“ werden zu Hymnen einer ganzen Generation.

Der dramatische Zerfall beginnt Mitte der 70er Jahre: Ozzy entwickelt ein drogeninduziertes Monster-Ego, das immer unzurechnungsfähiger wird, er bricht jedwede Kommunikation zum Rest der Truppe ab und gibt sich hemmungslos dem Rock’n’Roll-Lifestyle hin. Drummer Bill Ward wiederum, ein hünenhafter Rasputin mit langem Zottelbart, schmeißt gleich mehrere schlechte Trips und landet schließlich in psychiatrischer Behandlung. Bassist Geezer Butler und Gitarrist Tony iommi sehen sich diese Entwicklung eine Weile an und ziehen dann die Konsequenzen. Ozzy, der sich obendrein gegen jegliche musikalische Weiterentwicklung des Sabbath-Sounds sperrt, wird nacheinander durch mehr oder minder illustre Aushilfsvokalisten ersetzt: Ronnie James Dio, lan Gillan, Glenn Hughes, etc. Doch ohne ihr charismatisches Front-Unikum Ozzy sind Sabbath nur noch ein Schatten ihrer selbst, eine durchschnittliche Metal-Band, die mehr schlecht als recht vom Glanz früherer Tage zehrt.

Ganz anders Mr. Osboume. Der unterschreibt einen neuen Plattenvertrag, beißt ein paar Fledermäuse und versucht sich als Solist. Mit Erfolg. Schon sein 1980er Debüt „Blizzard Of Ozz“, ein bombastisches Hardrock-Schmierentheatet, verkauft sich bestens. Als er dann noch die Tochter seines Plattenbosses, Sharon Arden, heiratet, steht er auf sicheren Beinen. Sie ist es, die ihn vom Alkohol loseist, die Qualität seiner Musik überwacht und ihn binnen weniger Jahre unter den umsatzstärksten Vertretern amerikanischen Schwermetais etabliert. Nur eines kann sie ihrem Gatten über all die Jahre bis heute nicht austreiben: die Liebe zu Black Sabbath. „Wir wollten schon seil lahren eine Reunion-Tour unternehmen“, so Ozzy. „Als ich 1991 in Irvine Meadows gespielt habe, waren auf einmal alle backstage. Wir haben die ganze Nacht getrunken und gequatscht und uns so gut verstanden, dass wir es noch einmal miteinander versuchen wollten – und sei es nur, um die Geschichte umzuschreiben und Sabbath zu einem positiven Ende zu fuhren. Aber kaum hatten wir uns mit dem Gedanken angefreundet und begonnen, konkrete Pläne zu schmieden, traten all diese Anwälte und Manager auf den Plan. Es war die Hölle, und nach sechs Monaten habe ich die Brocken hingeschmissen. Es war wie ein orientalischer Bazar, bei dem jeder jeden abzuzocken versuchte.“ Ozzy gerät bei der Erinnerung an den Frust noch heute in Rage: „Hör mal, eine Band braucht nur einen Manager – und sie muss in der Lage sein, ihre eigenen Entscheidungen zu treffen. Aber genau das war eben nicht der Fall. Diese ganze Reunion war ein einziger, großer Witz. Ein fieser Kopfschmerz – und ein Meer an Forderungen, die völlig absurd waren.“

Schließlich versprach die Originalbesetzung vor allem eines: jede Menge Kohle. Denn mit Beginn der Grunge-Invasion durch Bands wie Alice In Chains, Soundgarden oder Nirvana waren Black Sabbath plötzlich wieder en vogue. Kein Wunder, denn die Grunge-Kids waren mit der bleiernen, mystischen Sabbath-Schwere aufgewachsen und setzten den Flirt mit der Morbidität fort. Plötzlich galten Sabbath als Überväter alternativer Musikkultur. Und seitdem werden sie in schöner Regelmäßigkeit gecovert – etwa von den Cardigans („Sabbath Bloody Sabbath“), Pantera („Planet Caravan“), Butthole Surfers („Sweat Lear) sowie Kyuss oder Sepultura. Nachzuhören auf dem 1993er Tribute-Album „Nativity In Black“, dem dieser Tage ein zweiter Teil mit Beiträgen von u. a. Godsmack, Megadeth und System Of A Down folgt. Außerdem kreist die nächste Generation von Sabbath-lüngem bereits in der Warteschleife: die sogenannten New-Metal-Bands um Deftones, Korn, Limp Bizkit, Orgy und Coal Chamber. Sie alle sind absolute Sabbath-Fans, wobei letztere gar just eine Single mit Ozzy aufgenommen haben: „Shock The Monkey“, ein Remake des Peter Gabriel-Klassikers. Und weil Sharon Osbourne eine clevere Geschäftsfrau ist, die ihren Ozzy nie zur Ruhe kommen lässt, wusste sie die allgemeine Sabbath-Hysterie schon sehr früh kommerziell umzusetzen: mit dem alljährlichen Ozzfest, das die Auftritte ihres Gatten mit einem who’s who der rockenden Subkultur kombiniert und in den USA selbst die größten Arenen füllt. Beim Ozzfest 1996 fand auch eine erste sporadische Sabbath-Wiedervereinigung statt, als Iommi und Butler zum Zugabenblock auf die Bühne stiegen und ein paar ausgewählte Klassiker zum Besten gaben. Von da an war es nur noch ein kleiner Schritt bis zur endgültigen Reunion, die Anfang 1997 im Birminghamer NEC mit zwei Konzerten gefeiert wurde und später als Album unter dem Titel ,Reunion‘ veröffentlicht wurde.

Doch mit der flächendeckenden Umsetzung dauerte es noch bis zum Sommer ’99. Da nämlich waren Black Sabbath die Hauptattraktion des Ozzfest und starteten – unter dem Titel The Last Supper‘ – zugleich auch ihre Abschiedstournee. Warum es nach der Reunion gleich schon wieder vorbei sein soll, weiß jedoch ¿

niemand so genau, am wenigsten die Band selbst. „Wir haben keine Ahnung, ob und wie es weitergeht. Aber gerade, weil wir das nicht wissen, haben wir die Konzertreise vorsichtshalber als Abschiedstour deklariert – und ziehen sie auch als solche durch.“ Kaum zu glauben, dass die Hardrock-Fossilien jetzt, da es so gut läuft, gleich alles wieder hinwerfen. Dafür ist die Altherrenriege auf der Bühne viel zu vital und hat – ein nicht unwesentliches Argument – zudem jede Menge Spaß. Das gilt vor allem für Ozzy, der sich noch immer wie ein großes Kind aufführt, die Hosen runterlässt, die Hand zur Teufelskralle streckt oder die ganze Veranstaltung mit einem gigantischen Wasserschlauch flutet. „Es gibt nichts, für das ich mich schämen müsste. Ich weiß noch, als diese Sache mit der Fledermaus passierte, der ich versehentlich den Kopf abgebissen habe. Meiner Tochter haben sie in der Schule doch glatt erzählt, es sei ein Hund gewesen. Die kam also völlig verstört nach Hause und fragte mich, wie ich so etwas Schreckliches tun könne. Ich habe sie nur angesehen und gesagt: ‚Wie groß, glaubst du, ist mein verfluchter Mund?'“ Pädagogik ä la Ozzy – ein gesetzter Herr wird der „Madman“ in diesem Leben nicht mehr: „Scheiße, ich liebe meinen Job und bin leider nicht mehr ganz so schnell mit den Beinen. Ich habe mir aber nie die Zeit genommen und mich oder die Band analysiert. Im Grunde ist es immer noch genauso wie in unseren Anfangstagen: Wir spielen einfach und weigern uns, in die Zukunft zu blicken.“

Vier ältere Herren, denen es ein himmlisches Vergnügen bereitet, noch einmal die ollen Kamellen unters hysterische Volk zu jubeln. Überraschend, dass auch Drummer Bill Ward, der bei allen bisherigen Comeback-Testläufen gesundheitlich verhindert war, zu alter From zurückgefunden zu haben scheint. Dabei gibt sogar Ozzy zu, dass Bills Entgleisungen die seinen bei weitem übertreffen. “ Der gute Bill war wirklich verrückt“, erklärt er mit einem breiten Grinsen. „Er ist ein alter Bastard, der keine Sauerei ausgelassen hat. Lind dafür hat er teuer bezahlt: Er war ein paar Mal in der geschlossenen Anstalt, hat schon einen Herzinfarkt hinter sich, und wir haben ihn sogar mal in einer Kneipe abgefackelt. Damals waren wir alle sternhagelvoll, und Bill hatte diesen fürchterlichen Rasputin-Bart, über den wir uns ständig lustig machten. Den haben wir dann einfach angesteckt – und Bill hat es in seinem Suff zunächst gar nicht gemerkt. Erst als er richtig in Flammen stand, wachte er auf und schrie wie am Spieß. Der Barkeeper hat ihn dann mit Bier gelöscht – ein Heidenspaß.“ Jedenfalls für seine Kollegen.

Bill ist wieder dabei und kredenzt mit den Kollegen nun also „The Last Supper“. Die Tour ist denn audi weit mehr als eine dürftige Ozztalgie-Veranstaltung für grenzdebile Altmetaller. Beim Ozzfest in Chicago stehen Altfreaks neben Metalheads, und ganze Familien sind mit Kind und Kegel angereist – sie alle tummeln sich in trauter Eintracht und Schulter an Schulter vor der Bühne. Ozzy: „Ist das nicht großartig? Ich sag dir was: Wenn ich auf die Bühne gehe und ins Publikum schaue, habe ich das Gefühl, dass ich derjenige sein sollte, der dafür bezahlt. Es gibt nichts Schöneres als all diese Kids, die dir erzählen, wie sehr sie auf die Musik aus einer Zeit stehen, in der sie nicht einmal geboren waren. Und sie dabei zu beobachten, dass sie wirklich jeden Song mitsingen können, ist einfach das Größte.“

Sabbath als sauberes amerikanisches Familienentertainment? Frau Osbourne macht’s möglich. Schließlich ist es ihr nicht nur gelungen, mit dem kleinen Trick der mal wieder „letzten Tour“ bis zu 140 Mark pro Ticket aus den Fans herauszukitzeln, sie hat auch sonst in Sachen Vermarktung die I losen an. Während ihr Göttergatte sich weigert, auch nur ans Geschäftliche zu denken, hat die Angetraute nicht nur eine VHS/DVD-Version der gesammelten Tour-Impressionen zusammengestellt („The Last Supper“, erscheint im Januar bei Epic/Sony), sondern auch gleich noch eine umfangreiche Kollektion von Fanartikeln entworfen, die nicht nurT- und Sweat-Shirts umfasst, sondern auch Yo-Yos, Wanduhren, Sammlermünzen, Damenunterwäsche und vieles mehr – zu deftigen Preisen, versteht sich. „Was soll ich dazu sagen?“, fragt Ozzy und schüttelt sich vor Lachen. „Natürlich habe ich den ganzen Scheiß persönlich ausprobiert – auch die Hotpants. Das Nächste wird dann der Ozzy-Vibrator sein – lecker!“

Der Abschied ist verkündet, was kommt danach? Geezer richtet sich ein Studio ein, in dem er demnächst ein weiteres Soloalbum aufzunehmen gedenkt, Bill hat seine alten Soloplatten aus den 70ern neu aufgelegt („Remembering“), und Tony wartet mit einem ganz besonderen Schachzug auf. Er versteckt sich nicht länger hinter Sabbath, sondern tritt erstmals als Solist in Erscheinung. Sein Solodebüt erscheint bereits im Februar und präsentiert so illustre Gäste wie Matt Cameron (Pearl Jam), lan Astbury (The Cult) und Pete Steele (Type O Negative).

Nur einer weigert sich standhaft, in die Zukunft zu blicken: Ozzy. „Ich lasse das einfach auf mich zukommen. Ich weiß, dass ich immer irgendwie Musik machen werde. Ich bin jetzt 52 – zu spät, um noch in der Fabrik anzufangen. Ich habe mich ohnehin nie um die Zukunft gekümmert. Schon ganz am Anfang meiner Karriere war das Motto, es einfach immer nur zu tun. Ohne Rücksicht auf Verluste. Insofern werde ich auch immer weitermachen. Zumindest so lange das meine Fans wollen.“ Vorerst will Ozzy erst einmal den Winter in Los Angeles genießen – bei seiner geliebten Waffensammlung, Frau Sharon und den drei Kindern. Auch die sind nach Bekunden des Meisters sehr musikalisch. „Ich sage das jetzt nicht nur, weil es meine Töchter sind, aber vor allem die 16-jährige hat eine ganz tolle Stimme. Sie hat gerade ein Demo aufgenommen. Es war großartig. Mein Sohn ist übrigens ein DJ. Nicht, dass ich diese verfluchte Musik verstehen würde – die geht mir total am Arsch vorbei. Aber angeblich macht er seine Sache sehr gut. Ach ja, und meine jüngste Tochter ist natürlich eifersüchtig auf ihre Geschwister – die will jetzt auch ein Demo produzieren. Keine Ahnung, ob sie überhaupt einen Song oder zumindest eine Idee hat.“

Da ist sie wie ihr Erzeuger. Ozzy pokert noch, wartet die Europa-Tournee ab und überlegt sich dann die weiteren Schritte. Ausgeschlossen ist beim launischen Madman des Rock gar nichts. Seine anfängliche Weigerung, sich für die Rock’n’Roll Hall Of Farne nominieren zu lassen, hat Osbourne inzwischen auch schon zurückgezogen. „Das war doch klar“, grinst lommi, „Ozzy reißt gerne die Klappe auf und stößt die Leute vor den Kopf. Aber wenn man ihn dann ganz lieb bittet, kann er gar nicht anders als klein beigeben.“ ¿