Die Jazz-Lady Cassandra Wilson vertraut auch in der Musik auf die Kraft der Natur


Da wo der Mississippi fließt, sind die Menschen anders. Geheimnisvoller, mit Sinn für Mystik und Übersinnliches. Die Jazzsängerin Cassandra Wiison lebt zwar schon seit 15 Jahren in New York, aber wer an den Ufern des sagenumwobenen Stroms geboren wird, behält wohl das ganze Leben lang eine ganz sonderbare, eigentümliche Ausstrahlung. Wer Cassandra Wilson zum erstenmal trifft, sie zum erstenmal auf einer Bühne sieht, muß denken, einer Mischung aus Elfe und Voodoo-Königin begegnet zu sein. Wer ihr zuhört, dürfte den gleichen Eindruck gewinnen. Eine tiefe, rauchige Stimme hat sie, und doch versteht sie luftig leicht zu phrasieren. Ihre Töne schweben geradezu durch den Raum. So auch auf ihrer neuen CD ‚New Moon Daughter‘. Früher, da war Cassandra Wilson eine äußerst begabte, manchmal ungewöhnlich gute Vokalistin, die klar in der Tradition der klassischen Jazz-Divas stand. Mit ihrem aktuellen Album aber hat sie nun schon zum zweitenmal den Sprung ins Überirdische geschafft — indem sie zurückgeht zu ihren Anfängen. Wie schon auf dem gefeierten Vorgänger ‚Blue Light ‚Til Dawn‘, von dem über 250.000 Exemplare verkauft wurden, spricht aus jedem Takt von ‚New Moon Daughter‘ der Mississippi. Und das, obwohl Cassandra Wilson neben eigenen Stücken Nummern von den Monkees, von U2 oder Hank Williams interpretiert. „Das Material auf der CD hat uns ausgesucht, nicht etwa umgekehrt“, sagt die 40jährige, die mit einer fast rein akustisch instrumentierten Mischung aus Country Blues, Folk, Afrikanischem, Jazz und Pop ihre ganz eigene Nische gefunden hat. Der Titel ihrer CD kommt übrigens nicht von ungefähr. Der Mond hat es Cassandra Wilson tatsächlich angetan. „Es gibt soviel Literatur und Musik zum Thema Mond, und sein enormer Einfluß auf uns läßt sich wohl auch kaum leugnen. Der Mondzyklus ist ein natürlicher Zyklus. Und in manchen Dingen haben wir uns ihm angepaßt, ohne wirklich zu verstehen, was genau mit uns oder anderen Lebensformen, mit der Natur innerhalb dieses Zyklus‘ geschieht. Allgemein würde ich sagen, der Mensch schafft sich lieber seine eigenen Phasen. Ich aber glaube fest daran, daß es dem Menschen schadet, wenn er sich den natürlichen Zyklen widersetzt. Wenn du zu Neumond die Saat auswirfst, wirst du einen schönen Garten erhalten. Bei Vollmond weniger, weil er am Ende eines Zyklus‘ steht.“ Als Cassandra Wilson, das Wesen vom Mississippi, ihre CD ‚New Moon Daughter‘ aufnahm, war am Abendhimmel ganz bestimmt nur eine hauchdünne Sichel zu sehen.