Die neun Leben des Iggy Pop


Vom Glück ist er gerade nicht geküßt. Der Gottvater des Punk, der auf der Bühne die Selbstzerstörung kultivierte, möchte sich nun am eigenen Schopf aus der hausgemachten Misere ziehen. David Bowie, der ihn für ein verkanntes Genie hält, produzierte sein neuntes Album BLAH BLAH BLAH -— Teddy Hoersch besuchte den alten Wilden in London, wo er sich auf seine anstehende Europa-Tournee vorbereitet.

Queen Anne Street im Westen Londons, Hausnummer 13. Dumpfe Musik dröhnt durch die Tür. Die zaghafte Klingel hört niemand, auch den schweren Türklöppel nicht. Erst nach häufigem Bummbumm wird geöffnet: Es ist Suchi, die japanische Frau von Iggy Pop. Der rettende Engel! Sie ist so fragil, wie es nur asiatische Frauen sein können. Pechschwarzes, schulterlanges Haar. Viel Lächeln. Eine schmale, warme Hand. Freundliche Begrüßungsworte.

Neben der Diele liegt das Wohnzimmer. Sofas um einen gläsernen Couchtisch, Grundig-Fernsehgerät auf einem Teewagen, Leselampen, Zeitungen, Bücher, falscher Kamin, ein paar Bilder, etwas Stuck, Pseudo-Viktorianisches. Suchi serviert Kaffee und Tee. Iggys Händedruck ist fest.

„Hast du ein bißchen Zeit mitgebracht“, fragt er und macht eine ruckartige Kopfbewegung in Richtung Fernseher. „Wir schauen uns gerade das Video von den Proben für die Europatournee im Dezember an.“

Wir —- das sind außer Iggy noch Gitarrist Kevin Armstrong, ein blonder Typ in Warrior-Montur, der Bassist und der Videofilmer, ein blondgefärbter Macho mit Schwulenkäppi und motzigem Billy-Idol-Blick.

Die Band in dem unterbelichteten 8 mm-Video spielt etwas müde und lustlos Versionen von „Raw Power“, „New Values“ und „China Girl“. Der Bassist neben mir auf dem Sofa stoppt die Zeiten, die Kevin aufschreibt. Die Liste ist lang.

Der Iggy im Video zappelt ein bißchen, zieht sein T-Shirt aus und an und sagt zwischen zwei Songs, daß das alles klingt wie die Verdauungsgeräusche in einem Schweinemagen.

Der lggy, der jetzt im Zimmer zwischen Küche und Couch hin und herwandert, beeilt sich zu betonen, daß dies nur das Ende eines langen Probentages sei. “ Der erste Teil des Sets ist wirklich gut. Da geht’s ab. Das, was du jetzt siehst, ist nur noch Geplänkel, da waren wir schon total abgeschlafft.“

Kevin bedauert, daß der Sequenzer, der auch live den LP-Sound möglich gemacht hätte, nicht zum Einsatz kommt. Aber Iggy schüttelt den Kopf: „Diese Maschinen passen vielleicht zu Kraftwerk, aber doch nicht zu mir. It ain’t rockin’…“

Iggy Pop sieht keinen Tag jünger aus als auf dem Cover seiner aktuellen LP BLAH BLAH BLAH. Die Wangen etwas eingefallen; ein Gewirr von Fältchen um den energischen Mund; die großen, etwas hervortretenden Augen, die dich durchbohren wie zwei Röntgenstrahlen.

Das Größte an Iggy sind —- neben seinem legendär großen Schwanz —- die Hände und der Kopf. Der Körper, muskulös und drahtig, steht in krassem Gegensatz zu der dunklen, sonoren Stimme. Kein Gramm Fett an dem 39jährigen, gespannt wie ein Pfeil kurz vor dem Abflug.

Das ist also der Mann, den David Bowie für ein verkanntes Genie hält und dem er angeblich sein „Jean Genie“ gewidmet hat. Das ist er also: Gottvater des Punk, Kultfigur. Wahnsinniger, Ex-Junkie, der Mann, der sich mit zerbrochenen Bieiflaschen die Brust zerschnitt, der sich auf brennenden Zigarettenkippen wälzte, mit blutenden Lippen „The Shadow Of Your Smüe“ sang, der seine Fans an den Haaren zog, auf die Bühne kotzte, sich mit kaputten Schlagzeugstöcken malträtierte, der als erster coram publico ficken und sich umbringen wollte, der Mann, der Alice Cooper, Heavy Metal und die Sex PistoLs vorwegnahm, der in einer Art öffentlichem Selbstexorzismus bis an den Rand des Erträglichen ging.

Sein inzwischen neuntes Soloalbum BLAH BLAH BLAH – von den einen als kommerzieller Kompromiß verschmäht, von den anderen als Ende einer kreativen Pubertät gewertet — kommt zu einer Zeit, wo die allermeisten Iggy Pop schon totgeschrieben hatten, vier Jahre nach seinem von „Blondie“ Chris Stein produzierten ZOMB1E BIRDHOUSE.

Und noch eine Überraschung: Pop, der mit Medien und Industrie meistens auf Kriegsfuß stand, der Plattenbosse beleidigte und alle goldenen Regeln der Branche mißachtete, gibt Interviews. „BLAH BLAH BLAH ist eine gute LP“, sagt er zwischen langen Sprech- und Denkpausen, „ich will dieses Produkt nicht — wie das im Branchenjargon heißt -— promoten, aber ich will die Leute darauf aufmerksam machen, daß es sie gibt. Ich will keinen zum Kauf zwingen! Mein Sinneswandel gründet auf die Tatsache, daß ich seit einigen Jahren sauber bin, bei klarem Verstand Tag und Nacht. Ich habe gelernt, in normalen Situationen mit normalen Leuten zu sprechen.

Dazu kam folgendes: Alle Plattenfirmen und alle Executives haben immer gesagt: Danke für die Platte, Iggy, aber davon wirst du nichts verkaufen. Und meine trotzige Reaktion war: Alright, motherfucker, wenn das so ist, dann sorge ich dafür, daß die Scheibe nichts verkauft. Irgendwann auf diesem langen Weg hatte ich mich fast damit abgefunden, im Untergrund bleiben zu müssen.“

Von der Mär, daß ihm dieses Leben am finanziellen und existenziellen Abgrund gefallen habe, will Pop heute nichts mehr wissen. „Im Grunde habe ich damals trotzig und aggressiv reagiert. Die Stooges lebten doch wie die Tiere. Wir hatten nie, wirklich nie Geld. Das einzige, was wir uns leisten konnten, waren Drogen. Natürlich hat uns das keinen Spaß gemacht, selbst wenn wir damals so taten als ob. Aber schlimmer als das war die Tatsache, daß man uns und mich musikalisch nicht ernstgenommen hat. Stell dir vor: Heute gehe ich als Begründer der Punk- und New Wave-Musik, damals lachten die DJs, wenn ich ins Studio kam: ,Sag mal, hahaha, nennst du das, was du da fabrizierst, wirklich Musik, Iggy?‘ Und wenn mich einer so anmacht, kriegt er’s in gleicher Münze zurück.

Iggy Pops Persönlichkeit scheint nur aus Extremen zu bestehen. Auf der einen Seite Madmann, Wertezertrümmerer, nihilistischer Clown, auf der anderen ein um Liebe winselndes Kind. Auf der einen Seite das hämische „Blah Blah Blah“, auf der anderen „Cry For Love“. Hier der wildgewordene Selbstquäler, dort der

freundliche Gesprächspartner. „Widersprüche“, lacht er, „gehören zum Leben, oder etwa nicht?!“

Iggy Pop ist Jahrgang 1947, geboren als James Newell Osterberg in Ypsilanti, Michigan. Die Osterbergs lebten in einem Wohnwagen auf einem sogenannten „trailer“ oder „mobile home camp“. Bezeichnender Name des elterlichen Wohnwagens: „Vagabond“. „Vielleicht“, so Iggy Pop später in seiner Biografie „I Need More“, „eine mystische Vorankündigung meines zukünftigen Lebens. „

Den Namen Iggy handelte sich Jim 1964 ein. Er war damals Schlagzeuger bei den Iguanas. Die Bands wechselten — The Prime Movers, The Dirty Shames, The Stooges, der komische und ungeliebte Name blieb bis zum heutigen Tag.

Die Jahre im Schnelldurchgang: 1966 verläßt er nach einer Stippvisite die University Of Michigan. Er geht nach Chicago und lernt bei Sam Lay von der Paul Butterfield Band den Blues. Nachdem er ein Doors-Konzert erlebte, wußte er, was er schon in Chicago geahnt hatte. „Der schwarze Rhythmus und Groove waren nicht der meine. Irgendeiner hatte mir einen Joint gegeben und ich rauchte ihn am Chicago River, in der Nähe jenes Parkhauses, aus dem Steve McQueen bei einer Verfolgungsjagd in den Fluß rast — und plötzlich war’s da. Mein Sound waren Industriegeräusche, Explosionen. Maschinen, white noise …“

Zurück in Ann Arbor gründet Pop die Stooges, die 1968 einen Vertrag bei Elektra bekamen. Mit nur drei Alben THE STOOGES, FUN HOUSE und RAW POWER, mit Songs wie „I Wanna Be Your Dog“. „Funhouse“, „Dirt“, „Gimme Danger“, mit unzähligen Auftritten wird Pop legendär. Die Stooges sind schmutzig, laut und primitiv, böse und brillant.

1970 brechen die Stooges auseinander. Pop zieht sich zurück, um seine Heroinsucht zu heilen und lernt -— im Backstage-Bereich von „Max Kansas City“ -— David Bowie kennen.

„Auch wenn viele glauben, wir seien ein Pärchen -— totaler Quatsch. Wir unterhalten eine sehr intakte Arbeitsbeziehung, aber wir sitzen nicht zusammen und halten Händchen. Es geht immer um irgendeinen Song, einen Text, ein Projekt. „

Das erste gemeinsame Ding hieß RAW POWER und war genau das. Bowie-Manager Tony de Fries hatte die reformierten Stooges in ein Londoner Studio gepackt, um diese bahnbrechende Platte aufzunehmen. Aber Iggy, der vorher zur Tarnung seiner Sucht golfspielend und rasenmähend bei den Eltern untergekrochen war, wurde wieder von seinen Dämonen heimgesucht: Drogen.

Der Versuch, in Los Angeles mit dem ehemaligen Doors-Keyboarder Ray Manazarek zu kooperieren, schlägt fehl. Vertragliche Probleme verschlechtern den miserablen Allgemeinzustand. Pop weiß nicht mehr weiter und klopft von selbst an die Tür der Nervenheilanstalt. Erst als er sich 1976 mit Freund und Mentor Bowie in Berlin („tolle Stadt, damals genau das Richtige, 24 Stunden lang action…“) niederläßt, zeichnet sich ein Aufwärtstrend ab.

Zumindest enthalten die im mauernahen Hansa-Studio gestaltnehmenden Alben THE IDIOT und LUST FOR LIFE allein drei Songs, die Pop eine dünne Tantiemendecke geben: „Nightclubbing“, „China Girl“, „Neighborhood Threat“. „Reich bin ich nicht. Wie du vielleicht bemerkt hast, haben wir uns heute abend unser Essen selbst gemacht. Bis vor kurzem konnte ich nie mit Geld umgehen. Es war“, lautes Lachen, „auch nie genug da, mit dem man hätte umgehen können. Heute verhalte ich mich in punkto Geld ähnlich wie ein Student: vorsichtig, sparsam. An irgendwelchen Statussymbolen bin ich gar nicht interessiert. Es muß reichen, damit ich gut arbeiten kann. „

Sorgen hatte er aber auch in musikalischer Hinsicht. Während die beiden LP-Werke, die mit dem „sehr zielstrebigen und sehr organisierten Arbeiter“ Bowie entstanden, den strengen Qualitätskriterien Pops genügten, hatte er an fast jedem folgenden Album etwas auszusetzen.

Bei NEW VALUES findet er die Produktion seines ehemaligen Stooges-Kollegen James Williamson „beschissen“. Für PARTY verschleuderte er soviel Geld, daß seine Firma ob des Hunderttausend-Dollar-Budgets den definitiven Nummer-Eins-Hit verlangte.

So in die Enge gedrängt, von seinem seinerzeitigen Manager Dennis Sheehan und dem Arista-Präsidenten Charles Levison, läßt er sich zu Songs wie „Bang Bang“ überreden.

„lgitt, wenn ich nur daran denke, fürchterlich! Eines morgens schaute ich in den Spiegel und mochte das, was mir da entgegenblickte, überhaupt nicht. Für ein, zwei gute Songs war ich zwar immer gut, aber mit PARTY erreichte ich einen Tiefpunkt. Man wollte mich mit der Brechstange in die Charts befördern — und was kam dabei heraus? Partygewäsch, Songs darüber, wie man Weibern hinterherjagt, sich besäuft und rumbumst. Mir war klar, daß sich da etwas ändern mußte!“

Iggy krempelte sich vollkommen um. „Als ich mein wildes Leben aufgab, war ich mir nicht sicher, ob das meiner Musik gut tun würde. Aber in dem Moment, wo ich mich dazu entschloß, war mir alles scheißegal. Und siehe da: In den drei Jahren, in denen ich zurückgezogen und sauber lebte, hatte ich mehr Spaß als die letzten zehn Jahre zuvor. Es war einfach gut, in einer festen Beziehung zu leben, zu wachsen, erwachsen zu werden. Ich ging und gehe früh zu Bett, arbeite bevor der Tag Unruhe verbreitet, archiviere meine Ideen, organisiere mein Leben, achte auf das, was ich esse.

Ich bin trotz der Drogen, die ich mir im Laufe meines Lebens in den Körper gejagt habe, in verdammt guter Form. Ich schwimme viel und bin als Naturfreak viel in der frischen Luft. Es gibt für mich nichts Schöneres als zu sehen, wie die Sonne aufund untergeht.

Schon früher bestand diese Diskrepanz zwischen meinem Beruf Rock ’n Roll und meiner Liebe zur Natur. Die Musik, die ich mache, hat ein sehr urbanes Image: Lederjacke, chromblitzende Motorräder, Beton, rauchgeschwängerte Zimmer… Meine Vorstellung von einer tollen Zeit: rausgehen. Wann immer ich Zeit habe, fahre ich nach Baja, Mexiko, in die Wüste. Da gibt’s nichts: Keine Häuser, keine Leute. Nur Geier, Esel, Wildpferde.

Das war ursprünglich für mich auch ein Grund, Musik zu machen. Ich dachte mir: Mein Gott, wenn ich einen normalen Job annehme, bin ich den ganzen lieben Tag eingesperrt, wie im Gefängnis …“

Obwohl er den Erfolg sucht („Ich hab ihn auch ein bißchen verdient!“) und sich mit fast 40 darüber freut, erstmals im Radio gespielt zu werden, ist BLAH BLAH BLAH nicht, wie manche bösartig vermuten, Torschlußpanik. Altersrente eines vormals zornigen jungen Mannes. Sicher auch das. Es ist viel einfacher: Freund und Feind und Fan müssen sich daran gewöhnen, daß sich lggy Pop verändert hat. Im Verlaufe unseres Gesprächs wird klar, daß er ein workaholic ist, einer, der durch Arbeit seinen Sinnhunger stillt.

Pop betont immer wieder, daß jede Beziehung, die er eingeht, etwas mit seiner Arbeit als Songwriter zu tun haben muß. „So etwas wie Liebe habe ich ganz spät entdeckt. Früher fand ich die Erfahrung und Vorstellung entsetzlich, daß mich jemand nicht lieben könnte. Selbst heute gilt: Liebe geht nur, wenn sie mir weiterhilft. Letztlich bin ich Menschmaschine, die Musik produziert. Jedesmal, wenn ich diese selbstauferlegte Regel durchbrochen habe, habe ich es später bedauert. Das war immer so: mit den Groupies, den Downers, den Drogen…“

Eine Schlüsselfigur in dem Verwandlungsprozeß des lggy Pop spielt ohne jeden Zweifel seine Frau Suchi. Er traf sie in Tokio bei einem Konzert und ist mit ihr —- nach einer frühen Ehe und vielen Beziehungen -— glücklich verheiratet. „Großartige Person, Kraftquelle, Freude. Mit ihr lebe ich sehr zurückgezogen, nur wenige Freunde. Wenn ich mal einem Idioten begegne, rase ich nach Hause und trete gegen die Möbel, bis ich mich wieder beruhigt habe. „

lggy Pop ist angenehmer geworden. Er möchte daran glauben, daß man als Rock ’n‘ Roller erwachsen werden kann. Was immer er erzählt — über seine Qualitäten als Performer, über seine Möglichkeiten als Gitarrist, über seine Pläne, ein Buch zu schreiben, über seine Liebe zur Literatur, seine konzentrierte Arbeitsweise, seine Sturheit — stets hat man den Eindruck: Er will’s jetzt wissen!

Wie würde er sich mit zehn Adjektiven charakterisieren. „Oh.“ Lange Pause. „Ehrlich.“ Lange Pause. „Bestimmt. “ Pause. „Sexuell, zornig, entsetzt, erfreut, körperlich, beeindruckbar, manisch und magisch.“