Die Reklamation


Aufmerksame Leser der Rubrik „Flurfunk“ im Musikmagazin Ihres Vertrauens wissen längst, daß wir vom ME uns ein Stockwerk mit den Kollegen vom Metal Hammer teilen. Das ist nun schon seit Jahren eine entspannt-freundliche Koexistenz, die nichtsdestotrotz gewisse Anforderungen an die Toleranz beider Seiten stellt. Direkt gegenüber von meinem Büro beispielsweise teilen sich drei Hammer-Leute nicht nur ein schuhschachtelkleines Zimmer, sondern auch die Vorliebe für eine Metal-Spielart, bei der die Vokalisten für meine unkundigen Ohren ausnahmslos und beständig so klingen, als ob sie sich erbrächen. Meine selige Großmutter hätte ob solcher Klänge gewiß vermutet, dort steckten ganz böse, aggressive Menschen die Köpfe zusammen. Natürlich stimmt das nicht und das würden ihr zwei Wissenschaftler von den Universitäten in Cambridge und Austin, Texas nun sogar schriftlich geben: Peter Rentfrow und Samuel Gosling haben amerikanische Studenten nach ihren musikalischen Vorlieben befragt und glauben nun zu wissen: Rap- und Metal-Fans seien in Wahrheit schüchtern. Toll, wie man Anhänger zweier nicht gerade eng verwandter Musikrichtungen mal ebenso über einen Kamm schert. Und es kommt noch besser: Mozart-Fans schätzen das Landleben, Country-Freunde sind „emotional besonders stabil“, Dolly Parton-Bewunderer „ehrlich“, Bach-Verehrer „pedantisch“. Jazz-Gourmets natürlich „intelektuell“ und ausgerechnet Paul McCartney-Fans, oha, „rebellisch“. Die beiden Herren wollen all diese tiefgründigen Erkenntnisse gewonnen haben, in dem sie die Studenten ihre zehn Lieblingssongs aufschreiben ließen, gleichzeitig Persönlichkeitsprofile jedes Probanten erstellten und anschließend die Top-iD-Listen der Studiosi acht weiteren Testpersonen vorspielten. Die sollten dann von den Musikstücken auf die Persönlichkeitsmerkmale der Studenten schließen. Nicht nur. daß mir diese Erhebungsmethode reichlich windig vorkommt – mich stört schon der Ansatz des Ganzen: „Sage mir was du hörst, und ich sage dir wer du bist“ – da steckt das Schubladendenken bereits in der Fragestellung. Stille Tage im Klischee. Was ist denn dann z.B. mit jemandem wie mir? Klar habe ich auch meine Vorlieben und Abneigungen, aber die lassen sich nicht unbedingt in Genre-Grenzen fassen. Je nach Anlaß und Stimmung können mich z.B. Bob Marley, Charlie Parker. Wilco, Bach, die Strokes oder Massive Attack packen. In welche Schublade gehör ich also? Freunde und Kollegen hätten mich vermutlich trotz Pedanterieverdächtiger Bach-Vorliebe gern etwas weniger chaotisch. Hab‘ ich vielleicht eine gefährliche Multiple-Persönlichkeitsstörung? Ach ja: Die Drei aus dem Hammer-Zimmer sind keineswegs alle schüchtern ……