Die Rolling Stones kommen!!


Unser Korrespondent traf die 'grösste' Rock Band der Welt in Australien.

Die berühmt-berüchtigste Band der Welt, die Stones, haben angekündigt, noch vor Ende dieses Monats eine Europa-Tournee zu starten. Das langerwartete neue Stones-Album, das wahrscheinlich den Titel ‚Goat’s Head Soup‘ bekommt, dürfte inzwischen im Handel sein. Die Scheibe wurde ja bekanntlich zum grössten Teil in Jamaica aufgenommen. ‚Special Guests‘ auf der LP sind Billy Preston und Nicky Hopkins (Piano), Jim Price und Bobby Keys (Hörn & Sax) sowie der Congaspieler Pascal aus Trinidad. Vor ihrer Europa-Tournee gaben die Rolling Stones eine Pressekonferenz in Australien, auf der sie ihr zehnjähriges bestehen ‚feierten‘. Unser Korrespondent war dabei:

TV-PRESSEKONFERENZ

Gerade in einem Augenblick, in dem ich dachte, dass eigentlich kaum noch aussergewöhnliche Sachen passieren, finde ich in meinem Briefkasten eine Einladung zu einer ‚Party‘ mit den Rolling Stones. Zum ersten Mal seit vier Jahren haben die Stones beschlossen, eine TV-Pressekonferenz zu geben. Ich erinnerte mich, dass die Stones solche Presse-Meetings einmal eine Anhäufung von unfreundlichen, müden Journalisten, die für ein raufsüchtiges Publikum provozierende Fragen stellen, genannt hatten. Nun, eine gewisse Spannung lag in der Luft, als zur verabredeten Stunde alle geladenen Gäste erschienen waren und nur noch die Stones auf sich warten Messen. Würden sie überhaupt kommen? Diese Frage lag den meisten auf der Zunge bis es schliesslich soweit war. Mit zehn Minuten Verspätung erschienen ’sie‘ – zur grossen Erleichterung aller Anwesenden.

MICK JAGGER – EIN NEUER MENSCH

Als erster kommt Mick in einer rosefarbenen Jacke und mit einer schwarzen Hose bekleidet; ein lockeres Kamera-Lächeln strahlt den Reportern entgegen. Mit betont anmutigen Bewegungen setzt er sich in einen Sessel, der extra für ihn bereitgestellt worden ist. Keith Richard trägt einen Ohrring und sein Haar wirkt ungepflegt. Er scheint ein wenig verlegen zu sein, als er sich neben Mick auf einen Stuhl setzt und sich eine Zigarette dreht. Danach erscheinen Mick Taylor, schüchtern und mit roten Ohren, Charlie Watts in einem Anzug und Bill Wyman in Levi’s. Bill setzt sich etwas abseits, wartet in Ruhe auf ein Bier und ist sicher, dass ihn keiner interviewen will. Er hat Recht, die ganze Pressemannschaft versucht möglichst direkt vor Mick zu sitzen, der seine ‚Starpose‘ aufgesetzt hat, um eventuell jeden Augenblick damit zu beginnen, seine aggressiven Antworten abzufeuern bis zu dem zig Mal dagewesenen Punkt, wo er es vorzieht, sich zurückzuziehen. Gegen alle Erwartungen entsteht leichte Verwirrung und ein Raunen geht durch den Saal: Mick Jagger stellt sich als ein ganz neuer Mensch vor: ruhig, höflich, cool und hilfsbereit. Auf „Mick, Du hast deine Haare jetzt kürzer geschnitten …“ antwortet er: „Kürzer? Seit wann? Es kommt hin und wieder vor, dass ich sie schneide“. „Ist das dein neues Image?“ Er antwortet immer noch lächelnd: „Nein, ich habe es einfach nur so geschnitten.“

INTERMEZZO MIT KEITH

Dem Reporter sind die Antworten nicht ergiebig genug, er wendet sich an Keith: „Du siehst aus wie das Wrack von Hesperus – mit deinen komischen Klamotten. Warum machst Du das? Ist das vielleicht mythologisch zu erklären?“ Keith fühlt sich leicht auf den Schlips getreten: „Nein absolut nicht. Es wird ja von uns sonst auch erwartet, dass wir uns aussergewöhnlicher anziehen als andere Leute – oder hat sich das noch nicht bis hier unten (in Australien) herumgesprochen?“ Allgemeines Gelächter. Der übereifrige Reporter lässt sich jedoch keinesfalls aus der Ruhe bringen: „Willst Du mit deiner Kleidung gegen irgendetwas revoltieren?“ Allmählich verliert Keith die Geduld: „Mann, warum trägst Du ’ne Armbanduhr? Willst Du damit einen Aufruhr starten? Oder soll es ein besonderes Zeichen deiner Männlichkeit sein, oder so …“ Der Reporter fängt an zu kochen: „Du trägst weibliche Sachen; das einzige was ich wissen will, ist ‚warum?‘, aber Du fängst gleich an zu lästern und greifst mich an.“ Keith ist kurz vorm Explodieren: „Wer greift hier an? Du versuchst doch die ganze Zeit…“ „Ich, wieso denn ich, nein Du …“ An dieser Stelle mischt Mick sich ein und zeigt sein garnicht zu ihm passendes Talent als Friedenstifter: „Well man, Du machst deine Sache wirklich sehr gut.“ Und zu Keith: „Reg‘ dich nicht auf, er wollte dich wirklich nicht provozieren.“ Mick, der sonst unausstehbar sein kann, wendet sich noch einmal zu dem TV-Reporter: „Weisst Du, wir haben uns extra für heute ‚was Besonderes angezogen, dass ist alles.“

DIE HÄHNCHEN-SANDWICH-AFFÄRE

Andere, meist sachliche Fragen folgen. Es geht um Gigs, Jam-Sessions, das neue Album und um Bianca. Einem Reporter fällt schliesslich wieder eine ‚Super‘-Frage ein: „Schlagt ihr euch eigentlich? Hmm, ich meine so, hmm, untereinander?“ Bevor Keith explodieren kann, greift Mick erneut ein: „Seit 1965 nicht mehr. Die Hähnchen-Sandwich-Affäre, weisst Du. Irgendeiner hatte das Butterbrot von einem anderen geklaut …“ Man kann die Stones stundenlang fragen, ohne das zu erfahren, was man wissen will. Inzwischen sind wir an die Bar gegangen und Mick fängt von selbst an von den alten Tagen zu erzählen, als er noch in England lebte: „Wir blieben dort, bis es mit den Steuern zu bunt wurde. Wir mussten viel mehr an Steuern bezahlen als wir uns erlauben konnten. Dehalb leben wir jetzt in Frankreich, Irland und manchmal auch in den Vereinigten Staaten.“

DIE ANDEREN STONES

Schliesslich schlägt Mick Jagger vor: „Ich finde, dass ihr mehr mit den anderen Stones reden solltet. Ich bin schliesslich nicht so sehr viel schöner als sie.“ Mit Charlie Watts zu reden kann sehr amüsant sein. Wenn er lacht, übertrifft er selbst die gekonntesten Zahnpasta-Reklamen. Charlie ist mittlerweile ziemlich alt geworden und findet als ‚Opa der Pop-scene‘ dieselbe nur noch langweilig. Als ihn jemand fragte, ob er Heimweh hätte, antwortet er mit einem philosophisch-entrückten Blick: „Das Leben ist komisch. Wenn ich mal Bock drauf habe, nach London zu fahren, um mal wieder über den sonnigen Picadilly spazieren zu können – was passiert dann? Es regnet. Also hat es überhaupt keinen Sinn, sich solche Gedanken zu machen.“

Mick Taylor philosphiert auch, aber fast ausschliesslich über die Musik der Stones, wie sie gemacht wird, was in Zukunft anliegt usw. Er redet in einem unheimlich seriösen Ton, fast so als schwebte er auf einer anderen Ebene und als fühlte er sich schrecklich belästigt, wenn Leute ihm ‚dumme‘ Fragen stellen. Bill Wyman ist lange nicht so auf Distanz bedacht und überhaupt ’ne ganze Ecke freundlicher. Er passt eigentlich garnicht in das Bild, das man sich von einem ‚Stone‘ macht. Bill ist der ruhige, nette Rolling Stone. Als ich ihm das sage, lächelt er und meint: „Mmmh, ja, ich bin auch derjenige, der geschieden ist. Okay, ich bin ruhiger als die anderen, aber das liegt auch wohl daran, dass ich nicht so oft gefragt werde. Weisst Du, Mick ist die Sensation, sowohl auf der Bühne wie auf einer Presse-Partv.“

INTERVIEW MIT BILL WYMAN

Bill, sind die Stones häufig zusammen?

„Nein, recht selten. Ich bin meistens nur mit Charlie zusammen, weil wir beide in Frankreich wohnen, die beiden Micks leben in Irland und Keith wohnt überall und nirgendwo. Charie ist der einzige, den ich auch ‚privat‘ sehe. Wir wollen alle mehr oder weniger eigene Wege gehen, wenn wir nicht arbeiten. Ich glaube, deshalb haben wir es überhaupt wohl zehn Jahre lang zusammen ausgehalten.“

Wird es die Rolling Stones noch lange geben?

„Ich kann drauflosraten und sagen, wir bleiben noch zwei oder drei Jahre zusammen. Vielleicht auch nicht. Wenn es aber eines Tages zur Trennung kommt, wird jeder seine eigenen Wege gehen. Mick wird Filme drehen, Keith LPs produzieren, Mick Taylor würde irgendwas Kommerzielles anfangen und ich … ich weiss noch nicht genau, was ich machen werde. Produzieren vielleicht, Sessions veranstalten … keine Ahnung.“

Wo würdest Du leben wollen, wenn Du die freie Wahl hättest?

„In England – ich liebe es. Dort hab‘ ich ein duftes Haus mit einem Garten an einem Fluss … in Suffolk … es ist fantastisch da. In 15 Monaten werde ich entgültig dorthin ziehen, jedenfalls steht es mir dann offen … waouh, ich liebe die Atmosphäre Englands, die Ruhe auf dem Land, die Entspannung und die Schönheit der Natur… das ist das einzig Wahre.“

Wenn Du zurückblickst auf die letzten Jahre, was gefiel dir dann am Besten?

„Nun, wenn wir in kleinen Clubs gespielt haben, in denen nur zwei- oder dreihundert Leute waren, denn dann kann man mit dem Publikum am Besten in Kommunikation treten. Es ist natürlich auch dufte, wenn Du vor 45 000 Zuschauern spielst und Du dich wohl fühlst, weil Du weisst, dass es den Fans auch gut geht. Aber die intime Atmosphäre in kleineren Clubs liegt mir persönlich eigentlich mehr.“

Ist es ein Problem für dich, dass Du ein bisschen im Hintergrund stehst?

„Das liegt ganz dran, ob ich unerkannt bleiben will oder nicht. Es macht mir nichts, wenn jemand mich auf der Strasse anspricht und ein Autogramm haben will, aber man kann sie meistens nicht wieder loswerden, und hinterher läuft dir eine‘ Traube von Leuten nach, von einem Geschäft ins andere. Oder wenn du ins Kino gehst und dich plötzlich umzingelt siehst von tausend Leuten, die dann nicht wegen des Films, sondern wegen dir reingegangen sind. Aber es hat sich schon bedeutend gebessert gegenüber den frühen 60 er Jahren. Die Fans sind heute bedeutend gemässigter; sie kommen, um die Shows zu sehen und nicht, um von Anfang bis Ende zu schreien, und allmählich scheinen sie zu akzeptieren, dass man auch mal privat sein möchte. Aber ich kann sie gut verstehen; ich glaube, dass ich Chuck Berry auch nachliefe, wenn ich ihn auf der Strasse sehen würde. Es ist oft die einzige Möglichkeit, jemanden kennenzulernen, den man bewundert.

Chuck Berry ist ein wunder Punkt von Dir, nicht wahr?

Ja, ich habe ihn immer bewundert, und es war eins meiner grössten Erlebnisse, als ich ihn das erste Mal getroffen habe. Er ist ein sehr introvertierter Mensch, weisst du, man kann nicht einfach hingehen „Hallo Chuck, wie gehts?“ ohne dass er glaubt, dass man irgendetwas von ihm will. Das ist zwar irgendwie eine lustige Reaktion von einem ‚Star‘ gegenüber einem anderen, aber Chuck ist für mich ein echtes Idol“.

Was hielt euch eigentlich die ganzen Jahre zusammen?

„Unsere Musik, wirklich, dass ist das einzige. Ich meine, wir denken ansonsten nicht alle dasselbe. Aber man kann sich ja anpassen. Man weiss im Laufe der Zeit, was die anderen wollen,wenn sie irgendwelche Ideen vorbringen und ich weiss inzwischen, wie ich mich am besten verhalte. Ich könnte natürlich auch zu Steven Stills gehen, oder irgend einem anderen, aber es würde mir lange nicht den Spass machen wie mit den Stones. Ich glaube, es gibt keine einzige andere Gruppe, die Musik macht wie wir es tun – egal wie gut oder schlecht wir sind. Es kommt noch hinzu, dass bei uns der Stage-act eine grosse Rolle spielt.“ Nach diesen Fragen kommt Bill’s Freundin und fragt ein bisschen schüchtern, ob er Zeit für sie hätte.

GESPRÄCH MIT KEITH RICHARD

Sie kommt passend, denn mir fällt ein, dass ich noch nicht mit Keith gesprochen habe. Als ich mich nach ihm umschaue, entdecke ich ihn an einer Ecke mit einem reichlich aufdringlichen Mädchen, dass sich mit ihm Nase an Nase unterhält, um jedes Wort mitzukriegen. Ich denke, dass ich Keith wohl willkommen bin und gehe zu ihm. Sie sprechen gerade über das Publikum.

Keith: „Vor acht Jahren haben sie immer geschrien, heute nicht. Das ist der einzige Unterschied, den ich feststellen kann. Es scheint mir, dass Rock-Musik jetzt nicht mehr ausschliesslich für kleine Mädchen ist, wie früher, da brauchten wir uns nur auf die Bühne zu stellen, und die Mädchen spielten verrückt. Das ist heute nicht mehr so; irgendwie ist die Scene grösser geworden. Leute, die sich früher nur Jazz oder Klassik anhörten, stehen jetzt auch auf Rock. Ausserdem ist die Kommunikation mit dem Publikum besser geworden. Wenn wir heute auf die Bühne gehen und unsere Show abziehen, lassen sie uns merken, ob wir gut sind und ob sie uns verstehen. Wir fühlen, ob das Publikum eine Beziehung zu uns will, oder ob es sich nur unterhalten lassen will. Jedes Publikum ist anders, es besteht aus vielen verschiedenen Menschen und von denen hängt es ab, in welcher Stimmung alle sind. Es ist ziemlich wichtig, wie man die Show beginnt und wie schnell man rausbekommt, was das Publikum will.

GERÜCHTE ÜBER EINEN NEUEN STAGE-ACT

Im Laufe des Abends habe ich oft davon reden hören, dass die Stones eine neue theatralische Bühnenshow hätten, mit qrosser Liqhtshow usw. Keith findet nicht. dass es wichtig ist: „Ach, weisst du, es hat sich nichts Besonderes getan, wir haben nur ein paar Lampen mehr. Der Trouble mit Rock ist. dass man immer an den Plätzen spielen muss, die gerade gegeben sind. Hockey-Spieler haben Stadien, Fussballspieler haben ihre Plätze, Opernsänger haben ihre Theater, aber wir, wir müssen in den letzten Scheunen spielen, manchmal, darum haben wir noch ein paar mehr von unseren Lampen aufgestellt, damit die Leute sich nicht langweilen. Aber Jagger macht noch dasselbe wie vor 10 Jahres, genau wie Bill, der immer noch bewegungslos auf einem Punkt steht, wenn er spielt. Es hat sich also wirklich nicht so besonders viel getan.“

KEITH UND MICK SIND NOCH IMMER DIE LEADER DER GRUPPE.

„Mick und ich treffen wohl die meisten Entscheidungen, aber wir würden nie was ohne die Zustimmung der anderen machen. Wir komponieren auch zusammen; ich glaube, dass ich Mick genauso inspiriere wie er mich. Wir arbeiten unheimlich gut zusammen, wir sind so auf einer Ebene und uns bestimmt näher als viele Brüder. Der Grund, weshalb ich nicht für andere Bands schreibe, ist ganz einfach ein Zeitfaktor. Weisst Du, wenn ich einen guten Song schreibe, dann möchte ich ihn auch gern selber spielen, mit den Stones, und ihn nicht an sagen wir mal Deep Purple oder so verkaufen.“

Vermisst Du England?

„Nein, kein Stück. Alles was für mich wertvoll ist, trage ich in mir.“ Ich werde etwas ruhiger, ich hatte mir nämlich das Gespräch mit ihm weitaus schwieriger vorgestellt. Er ist meistens gespannt, sehr nervös und scheint mit den Gedanken weit weg zu sein, auf höherer Ebene. Er lächelt nicht viel, und wenn, dann ist es weniger lustig, eher zynisch oder sarkastisch. Wir fangen an, über andere Gruppen zu reden, die zur gleichen Zeit mit den Stones angefangen haben und jetzt von der Bildfläche verschwunden sind. Keith: „Yeah, sie gerieten auf Abwege, und zwar auf politische. Ich verstehe sowieso nicht, was Politik und Musik miteinander zu tun haben.“ Zum Schluss verriet mir Keith noch: „Im Oktober kommen wir nach Deutschland.“