Die Sarah-Kuttner-Kolumne im ME


Die Niederschrift dieses Textes und sein Erscheinen trennen mehrere Wochen. In diesen Wochen werde ich mich hoffentlich vom Jahr 2004 erholt, viele bewusstseinsausbuchtende Dinge erlebt und Carl Barat von den Libertines geheiratet haben. Vielleicht werde ich unser Verhältnis auch schon zur Wiederzusammenführung der Libertines genutzt haben. Ja, vielleicht sitze ich bei Erscheinen schon auf unserem Cottage in England, im Wohnzimmer neue Libertines-Bühnenoutfits schneidernd, während sich nebenan in der Küche Carl und der auf mein Anraten wieder in die Band geholte Pete Doherty fröhlich miteinander herumkabbelnd „Einmal ein Libertine, immer einer“-Tätowierungen in die Stirn schnitzen. Vielleicht ist die Welt aber auch eine noch doofere geworden, Ihr werdet’s wissen …

Jedenfalls dürfte bei Erscheinen dieses Textes das Phänomen „Sex & The City – die ewige letzte Staffel“ tief in der 2004er Truhe verbuddelt worden sein. Dort, wo hoffentlich auch die ganzen 70er/8oer-Hit-Shows versenkt wurden und gemeinsam mit diversen Dschungelalm-Absolventen tun, was sie schon zu aktiven Zeiten taten: vor sich hin muffen und stinken. Ich möchte das „Sex & The City‘-Phänomen aber, alle thematische Edgyness und Progressivst in den Wind schlagend, noch mal kurz hervorkramen, um es gegen seine Massenwahrnehmung zu verteidigen.

Ich glaube, ich habe mich noch nie in schlechterer Gesellschaft gefühlt als während meiner Begeisterung für „Sex & The City“. Irgendwie scheint diese Serie für die meisten meiner Geschlechtsgenossinnen vor allem Anlass gewesen zu sein, ihre nervige doof-tussige Shopping-Mentalität von einer TV-Serie zur proseecobeschwipsten Kult-Tätigkeit hochorgasmieren zu lassen. Als wäre „Sex & The City“ ein einziger Witz über weibliche Schuhkauf sucht gewesen. Was mich Anfang des Jahres in einer Phase tiefsten Liebeskummers dazu brachte, die ersten vier Staffeln am Stück zu verschlingen, war. wie sich hier vier toll gebastelte, extrem fragile Charaktere aus tiefstem, sympathischstem Lebensbewältigungswahn zum Löffel machten, wieder aufrappelten, all ihre Zerbrechlichkeiten und Zerbrechungen mit härtestem Ab-jetztläuffs-so-Geschnodder überspielten. Ich weiß, das klingt sehr nach Auf-der-guten-Seite-Sein und großem Rugbyturnier: „Nette Leute gegen doofe Leute, letztere ohne Gesichtsschutz“. Aber erstens sind die anderen eh in der Überzahl, und zweitens gibt es auch unter jenen, die „Sex & The City“ aus den richtigen Gründen mochten, genug nervende Untergruppierungen. Nun war „Sex & The City“ eigentlich kein 2004er-Phänomen, auch hierzulande nicht. „Six Feet Under“ wiederum ist absolut hiesiges 2004. Wahrscheinlich hat nichts – selbst kein Moneybrother, kein Libertine (sorry!) mein popkulturelles Jahr so geprägt wie dieser heilige Gral unter den TV-Serien. Seit Sommer schlappt die Bestatterfamilie Fisher und ihr Umfeld durch mein Leben; die Charaktere sitzen bei mir im Wohnzimmer auf dem Sofa. Es verstört mich ernsthaft, wenn wohlmeinende Freunde mir in letzter Zeit immer wieder einzureden versuchen, dies sei nur eine TV-Serie und mein Plan, Brenda zu meinem Geburtstag einzuladen, eher schwachsinnig. Ich bin durch gezielte Einschüchterung und Erpressung an die raubkopierte vierte Staffel gelangt. Die fünfte und letzte ist gerade in den USA angelaufen; keine Ahnung, wann ich die sehen dürfen werde. Ich habe panische Angst vor dem tiefen Loch, in das ich also demnächst plumpsen werde. Ob Carl mitplumpst? Vom Boden dieses Loches werde ich mich im nächsten Heft wieder melden und Bericht erstatten.

„Sarah Kuttner-Die Show“ mittwochs und donnerstags 21.15 Uhr (Wh. jeweils am Folgetag um 15 Uhr) auf VIVA