Die Töchter des Drachens


Ein Termin bei The 5.6.7.8's ist kein Kindergeburtstag. Die Garagenband aus dem Untergrund von Tokyo fordert nach dem Durchbruch mit "Kill Bill" den verdienten Respekt.

musikexpress – lost in translation: Zum wiederholten Mal hat eine einfache Frage eine minutenlange, auf Japanisch geführte Diskussion losgetreten, die den Schreiber dieser Zeilen in die Rolle eines stummen (und zunehmend verzweifelten) Statisten gedrängt hat. ME ist in London, tief unter der Oxford-Street, eingepfercht mit The 5.6.7.8’s in einer fensterlosen, etwa einen Meterbreiten und fünf Meterlangen Club-Garderobe. Es ist nach Mitternacht, und wir haben unser kleines Mikrophon an den Rand eines großen Spiegels geklemmt, vor dem Schlagzeugerin Sachiko Fujii und Bassistin Saki künstliche Haarteile abnehmen, die sie sorgfältig in Plastiktüten verpacken.

Sachikos jüngere Schwester, die Sängerin und Gitarristin Yoshiko „Ronnie“ Fujiyama, hat sich auf dem kahlen Betonboden niedergelassen, nachdem sie sich bei unserem Eintreffen zur Begrüßung wortlos eine schwarze Sonnenbrille und eine braune Yoko-Ono-Ballonmütze aufgesetzt hat. Das Gespräch läuft alles andere als befriedigend. Es gibt lange Pausen, Missverständnisse, Unterbrechungen, Übersetzungsprobleme. Es ist das Interview aus der Hölle. Frage für Frage geht es bergab, bis wir mitten im Durcheinander von japanischem Geschwätz und Gelächter, an dem wir nicht beteiligt sind, resigniert das Aufnahmegerät stoppen. Ein provokanter Akt des journalistischen Harakiri, doch auch der verfehlt seine Wirkung: weder beendet er das angeregte Gespräch der drei Ladys, noch scheint er Einfluss auf den Eifer zu haben, mit dem die blondierte und furchterregend tätowierte Dolmetscherin der Band, die hinter uns zwischen einer Bierbank und der Wand in der Hocke kauert, ihres Amtes waltet. Als die Damen endlich verstummt sind, fasst sie in schwer verständlichem, gebrochenem Englisch die „Antwort“ auf eine vermutlich falsch kommunizierte Frage zusammen: „They say ,No‘. Is no problem for them. Haha.“ Stille. Yoshiko, Sashiko und Saki senken den Kopf, nur die „Übersetzerin“ wartet mit der Andeutung eines höflichen Lächelns auf die nächste Frage. Zögerlich starten wir noch einmal das Aufnahmegerät. „Ihr habt Vorjahren schon Auftritte mit The White Stripes gehabt“, beginnen wir und brechen ab. Ein Autogrammjäger mit einer dicken Hornbrille hat vorsichtig die quitschende Türe geöffnet und grinst herein. „Hold on a second. We do interview „, sagt Ronnie und spricht damit gelassen aus, woran wir selbst längst unsere Zweifel haben. Letzter Ausweg: ein Zeitsprung. Wir drehen die Uhr zwei Stunden zurück.

Die Übersetzerin betreut jetzt den Merchandising-Stand, der legendäre „100 Club“ ist brechend voll. Von der Decke tropft Kondenswasser und hinten haben sich junge Briten in CBGB- und The-Cramps-T-Shirts auf Stühle gestellt, um über die Köpfe der dichtgedrängten, aufgekratzten Menge zur Bühne zu sehen, auf der The 5.6.7.8’s einen der grandiosesten Auftritte ihrer Karriere spielen. In schwarzen Stiefeln, weißen Hosen und schwarzen Hemden galoppieren sie mit wippenden, gigantischen Bienenkorbfrisuren durch die explosiven Garagenrock-, Rock’n’Roll-, Surf- und Beat-Songs ihrer knapp 17 Jahre langen Band-Geschichte. Das Trio, das man auf Fotos und bei seinem Auftritt im ersten Teil von Tarantinos „Kill Bill“ für eine niedliche Comic-Kapelle halten könnte, strahlt auf der Bühne eine Autorität aus, die unangreifbar ist. The 5.6.7.8’s sind so real wie Motörhead und musikalisch um einiges besser als ihr Ruf: Sachiko mag sich sonst in ihrer Rolle als ältere Schwester zurückhaltend und ruhig geben, am Schlagzeug ist sie bestechend souverän und locker. Die Sticks klassisch führend (in der linken Hand wie einen Löffel, in der rechten wie ein Messer), trommelt sie treibende Beat-Rhythmen mit furiosen Breaks. Hat sie Pause, weil Yoshiko ein Riff ganz alleine durch die Distortion-Pedale jagen will, reißt sie einen Arm nach oben und hält mit dem anderen den Takt, ohne die Felle ihres kleinen, glitzernden Drumsets zu berühren.

Saki, eine Literaturstudentin, die für die im Film spielende Bassistin (und hauptberufliche Grafik-Designerin) Omo eingesprungen ist, macht vor der Show Dehnübungen und spielt entsprechend körperlich und dynamisch. Wie zwei Wochen zuvor im völlig überlaufenen Atomic Cafe in München steigt auch in London die Spannung von Song zu Song. Begeistert werden im „100 Club“ Mini-Hits wie „Woo Hoo“ – das inzwischen in einer englischen TV-Werbung für Bier zu hören ist -, „Three Cool Chicks“, „I Was A Teenage Cave Woman“ und „I Walk Like Jayne Mansfield“ bejubelt, bis die Löwinnen schweißüberströmt das Finale einläuten: Ronnie, die im Gegensatz zu früher inzwischen ihre Tesco-Gitarre beherrscht, macht auf dem Absatz kehrt, um vor ihrem Verstärker ein kreischendes Solo abzufeiern. Immer wieder rammt sie den Kopf ihres japanischen Vintage-Instruments in das graue Netz vor dem Lautsprecher, bis der Song mit einem synchronen Luftsprung, an dem sich auch Sachiko am Schlagzeug beteiligt, beendet wird. Es bricht ein Jubel aus, der so ekstatisch ist, dass die drei Frauen mit einem anhaltenden und ungewohnt gelösten Lachen ihrem Bodyguard folgen, der ihnen mühevoll einen Weg durch die Leute bahnt. Als The 5.6.7.8’s in ihrer Garderobe verschwunden sind, drängelt sich ein nassgeschwitzter Konzertveranstalter aus Freiburg durch die Traube von Fans am Merchandising-Stand, um den Verantwortlichen der Plattenfirma Cargo Records zu beknieen, die Ladys möglichst bald im nächsten Jahr zurück nach Deutschland zu bringen.

Die Tour, die The 5.6.7.8’s diesen Sommer durch ganz Europa und die USA führt, ist mit fast überall ausverkauften Konzerten im Vergleich zu früher ein Triumphzug. Zwar war die Band bereits einige Male zuvor auf Welttournee, selten aber kamen damals zu den internationalen Shows mehr Zuschauer als zu Hause in Japan. Die bisweilen in den Medien ungeprüft wiedergegebene Behauptung aus der offiziellen Presseerklärung, die Band sei „in Tokio bekannter als Mick Jagger auf der anderen Hälfte der Welt“, ist falsch – noch im September 2003, wenige Wochen vor dem Filmstart von „Kill Bill 1“, spielten The 5.6.7.8’s in dem Liveclub Nishi-Ogikubo Watts in ihrer Heimatstadt vor etwa 50 Leuten. „Wir haben vor fünf oder sechs Jahren in den USA mitWhite Stripes gespielt- vor zehn Publikum“, lassen sie ihre Dolmetscherin erzählen. Selbst als in Amerika eine Platte auf dem legendären Label Sympathy ForThe Record Industry (The White Stripes, Mudhoney, Billy Childish) erschien, hat die Welt noch keine Notitz von dem Trio genommen. Alles ändern sollte sich erst, als sich einer der bedeutendsten Filmemacher unserer Zeit in The 5.6.7.8’s verliebte.

QuentinTarantino war in Tokio, um für „Kill Bill“ zu recherchieren, als er erstmals auf die Band aufmerksam wurde. „Er hat in einem Second-Hand-Laden in Ebisu gestöbert“, erzählte Ronnie einem Journalisten der Japan Times. „Die Verkäuferin ist ein Fan von uns und hat im Geschäft unser Album laufen lassen. Tarantino hat sie gefragt, ob er ihr die Platte abkaufen kann.“Jrd auch wenn das fast zu romantisch klingt, um wahr zu sein: Die Verkäuferin lehnte das Angebot offenbar ab und empfahl Tarantino, sich die Platte doch in einem Laden zu kaufen. „Wirklich. Sie hat ihn nicht erkannt“, lässt Ronnie dem ME ausrichten. „Da kamen ja ganz oft Leute an, die die Musik in dem Geschäft gut fanden. Sie hat immer gesagt: Geh halt zu Tower Records und kauf Wir. „Tarantino machte sich artig auf die Suche, geriet aber kurz vor seiner Rückkehr in die USA in Zeitnot, weshalb er zu dem Second-Hand-Store zurückkehrte. „Er hat die Verkäuferin angefleht, ihm das Album doch zu verkaufen. Sie hat nachgegeben, aber den doppelten Preis berechnet“, sagt Sachiko.

Im April 2002 flogen The 5.6.7.8’s für zehn Tage nach Peking zu den Dreharbeiten von „Kill Bill“. Als ihnen Tarantino am Filmset erstmals die Hände schüttelte, sprach er von „Schicksal“, das sie zusammengeführt habe. Er bat die Band, die Coverversionen „Woo Hoo“ und „I’m Blue“ sowie die Eigenkomposition „I Walk Like layne Mansfield“ mehrmals zu performen, abwechselnd live und playback. Kein Wunder, dass Ronnie 2003 berichtete, es sei „sehr interessant“ gewesen, „bei all den verschiedenen Takes dabei zu sein“-die Szene mit The 5.6.7.8’s im „House Of Blue Leaves“ zählt zu den anspruchsvollsten und interessantesten, die Tarantino je gedreht hat: Ohne Storyboard entwickelte er mit Kameramann Larry McConkey am Modell den Ablauf der Szene, die vier Minuten ohne Schnitt auskommt. Das Procedere war so komplex, dass das Team einen ganzen Drehtag mit verpatzten Proben vergeudete, bis um 18 Uhr der erste Durchlauf klappte. „Um 21 Uhrwaren wirdann wirklich bereit, und am Ende war es Take 13, den wirbenutzen konnten „, erinnert sich Tarantino. Die Logistik, die erforderlich war, um die Szene den Wünschen des Regisseurs entsprechend auf Film zu bannen, war so anspruchsvoll, dass einige der Beteiligten zunächst nicht an die Machbarkeit geglaubt hatten. „Die Aufnahme beginnt hinter der Girl-Band, und der wackelnde Po führt uns zu der Treppe, wo wir Uma Thurmans Füße runterkommen sehen“, erläutert Tarantino. „Wenn Uma um die Ecke geht, wird ein Sessel wie bei einem Skilift herabgelassen, in den [Kameramann] Larry gesetzt und festgeschnallt wird. Dann wird er angehoben und gekippt, so dass er über Uma hängt, bevor er in den Toiletten wieder runtergelassen und abgeschnallt wird, damit er ihr in die Kabine folgen kann. Lichtwechsel-es gibt ein bisschen Coppola-Baumwollstojf-Action -, und Statisten führen uns wieder nach draußen und eine Rampe rauf für die Nahaufnahme der Schlagzeugerin. Während des Close- Ups [von Sachikoj senkt sich eineWand, und an dieTanzflächefährt ein Kran, auf den sich Larry setzt. Auf Kommando schwenkt er auf Sophie, schwebt ihr langsam nach oben entgegen und folgt ihr dann runter durch die Tänzer. In der Zwischenzeit müssen wir die Schlagzeugerin versetzen, damit sie wieder da ist, wo sie am Anfang war. Dann steigt Larry vom Kran und folgt Sophie auf die Toilette -was die Szene beendet.“

The 5.6.7.8 s beteuern, dass sich durch den Film in ihrem Leben nicht viel verändert hat. „Sie haben nicht das Gefiihl, dass sie sehr berühmt sind“, berichtet die Dolmetscherin., Jetzt kommen nur mehr Leute auf

die Konzerte und interessieren sich für Garagenrock, auch wenn sie früher vielleicht Pop gehört haben. Das ist doch schön.“ Wirklich neu ist lediglich das Medieninteresse, auf das Yoshiko, Sachiko und Saki inzwischen mit einer gehörigen Portion Misstrauen reagieren. Es ist nicht nur die Sprachbarriere, die ihnen zu schaffen macht – als vermeintlich naive „.Kill Bill‘-Band“ wurden sie häufig unterschätzt und mussten herablassende, bisweilen rassistische Fragen erdulden. So groß wurde der Frust in den letzten Monaten, dass die Frauen reihenweise Leute versetzten und Interviews platzen ließen: Unser Fotografin München wartete drei Stunden auf eine dreiminütige Session. Ein Journalist, der in Nürnberg vor einem Konzert bei einer „Kill Bill“-NightmitThe 5.6.7.8’s verabredet war, bekam sie gar nicht zu Gesicht. Ein anderer Kollege wurde nach einem Auftritt in die Garderobe und gleich wieder hinausgeleitet, da es die Damen satt hatten, „immer nur von Männern interviewt“ zu werden.

Obwohl sich die Plattenfirma sehnlichst Promotion für die neue Single „I’m Blue“ (in England aus dem Album teenage MOJO workout ausgekoppelt) wünscht, bekam auch ein britischer TV-Sender den Laufpass. Wie man hört, empfanden The 5.6 7.8’s den Vorschlag, das Interview in einer Karaoke-Bar zu führen, als Beleidigung. Als wir in der tristen Garderobe in London die Frage stellen, ob sie tatsächlich einem großen Sender einen Korb gegeben haben, bricht die Dolmetscherin in hämisches Gelächter aus. „Wir haben nicht einfach abgesagt“, meint sie dann recht unverbindlich, nachdem sich die Schwestern ausgiebig auf Japanisch ausgetauscht haben. „Wir sind nur eben von anderen Voraussetzungen ausgegangen. Wir kannten die Details nicht, bis wir dort ankamen.“ Als wir nachhaken und das Wort „Karaoke-Bar“ fallt, wird das Gelächter fast hysterisch. „Sie hatten gefragt, ob sie die Band beim Shoppenfilmen dürfen. Dann war es plötzlich eineganz andere Geschichte. Deshalb haben wir gecancelt. Und das Karaoke-Ding, ha ha 1 , ja. das kommt überhaupt nicht in Frage.“

Die Band wird den Hype überleben, denn sie hat eine Vergangenheit. Zusammen mit zahlreichen ähnlichen Gruppen haben sich The 5.6.7.8’s während des Sixties-Revivals Mitte der 80er in Tokio gegründet. Die anderen Bands verloren meist nach einer Platte das Interesse, doch Yoshiko und Sachiko arbeiteten unbeirrt weiter. „Viele Bands haben bloß den Cramps-Stil kopiert. Wir haben uns entwickelt und uns deshalb nie gelangweilt“, meint Ronnie. Der Bandname verweist auf vier Jahrzehnte – The 50s (Elvis), 60s (Surf), 70s (Punk) und 80s (The 5.6.7.8’s) – und steht symbolisch für ihre Vielseitigkeit. Vor allem aber sind Yoshiko, Sachiko, Saki und Omo, die wohl in Japan an den Bass zurückkehren wird, immens starke Persönlichkeiten, die einiges in Kauf nahmen, um ihren Weg zu gehen. In einer Gesellschaft, in der in gewissen Schichten bis heute eine Frau einen anständigen Beruf zu erlernen und vor 30 zu heiraten hat, um nicht als Schande für die Familie zu gelten, haben sich die beiden Schwestern über zahlreiche Konventionen hinweggesetzt, um ihren Punkband-Traum zu verwirklichen. So weit hat sie ihr Rebellentum an den Rand der Gesellschaft gedrängt, dass sie auf diesbezügliche Fragen nur noch mit Zynismus reagieren. „Ob man es als Frau im Musikbusiness schwer hat? Oh ja! Man muss ständig Verstärker schleppen „, spottet Ronnie. Als wir fragen, ob sie sich als Vorbild für junge Frauen in Japan sieht, brechen alle in Gelächter aus. „Unbedingt“, meint sie sarkastisch. Wenig später beschließt ME, das anstrengende G espräch zu beenden, und bietet an, einen Teil der Last, die das Leben als Frau im Musikbusiness so beschwerlich macht, zum Hinterausgang zu schleppen. Als wir Ronnies Gitarrenkoffer in den Van gepackt haben, bedankt sie sich mit einem Brummen und müht sich plötzlich auf Englisch: „Ob ich einVorbild für Mädchen in Japan bin? Ja. Ich koche und ich putze das Haus- perfekt.“ Nach einer kurzen Pause setzt sie mit einem Schulterzucken überraschend ernsthaft hinzu: “ Und ich spiele Gitarre. Das ist doch cool, oder?“