„Du kriegst nie aus einem Song die Welt erklärt“


Ihre Gesichter erscheinen Rund-um-die-30-Jährigen so vertraut wie die ehemaliger WG-Mitbewohner: Die Sterne Frank Spilker, Thomas Wenzel, Christoph Leich und Späteinsteiger Richard von der Schulenburg sind älter geworden, aber nicht zufriedener.

Die Zeiten sind wieder mal seltsam: zu viel Macht in den Händen anachronistischer Fundamentalisten, die heilige Kriege ausrufen, Karikaturisten steinigen oder so genannte „Leitkulturen“ verordnen wollen – und das womöglich auch noch dürfen.

„Und egal wie viele Päpste sterben, es ist noch nicht vollbracht. Du bist wohl immer noch nicht nah genug am Pol der Macht.“ (aus „Am Pol der Macht“) Sie sind wieder da, Die Sterne. Haben Album Nummer acht aufgenommen, in gut 15 Jahren Bandgeschichte. Eigentlich hat sich seit damals nicht viel geändert. Seit Die Sterne Musik machen – und vermutlich auch schon lange lange vorher – waren und sind die Zeiten seltsam. Sie waren es auch, als Sänger Frank Spilker Ende der Achtziger im ostwestfälischen Bad Salzuflen Musik als Mittel entdeckte, sich mitzuteilen, zu definieren, zu positionieren – und zwar weit weg vom „Pol der Macht“, den er auf RÄUBER UND GEDÄRM besingt. Auch wenn die frühen Sterne sich die vor allem dem HipHop zugrunde liegende Sample-Technik insofern zu eigen machten, als daß sie ungeniert Zitate von Sly Stone, Parliament und anderen funke(l)nden Halbgöttern in ihre Songs einbauten, so waren sie doch schon immer wesentlich mehr als nur eine zitatsichere Popversammlung – und sie sind über die Jahre nicht weniger geworden. Bewußte Zitate Sind auf dem neuen Album kaum noch vorhanden, sie waren auch schon auf das WELTALL IST ZU WEIT kein Stilwerkzeug mehr, das die Band zum Musikmachen braucht. Dafür gibt es andere Inspirationsquellen. Herangehensweisen und eine über die Zeit entstandene Selbstsicherheit, die sich aus der immer wieder bestätigten Erfahrung speist, daß man zusammen was kann. „Das achte Album ist was anderes als das zweite“, sagt Spilker: „Diese Selbstsicherheit kann eine junge Band noch nicht haben.“

Dem konsolidierten Selbstverständnis steht eine inhaltliche Konstanz gegenüber, die weit mehr noch als das rein Musikalische das Menschliche und Private umfaßt und bei der es immer noch und immer wieder ums Dasein in einer Welt geht, die nicht so ist, wie sie sein sollte. „Man kann nicht damit zufrieden sein“, sagt Spilker, „daß man verarscht wird.“ Die Inhalte sind bis hinein in die Wortwahl dieselben geblieben seit FICKT DAS SYSTEM, der ersten EP von 1992. „Man steht fassungslos da“, sagt Spilker, angesprochen auf die wiedergekäuten Forderungen der Politik nach einer neuen Leitkultur-Debatte. „Ich lebe in St. Pauli. Dort so was anfangen zu wollen, ist absurd. Wenn man es ernst meinte mit der Integration, wären manche Dinge so einfach zu realisieren – Ganztagsschulen zum Beispiel: Kinder wären in der Lage, innerhalb von einem Jahr Deutsch zu lernen. Stattdessen bleibt es bei Lippenbekenntnissen zur Integration. Die Politik hat kein Geld, im Bildungssystem wird gestrichen. Ich erlebe das durch meine Kinder sehr bewußt mit.“

Popmusik war (auch wenn ihre Protagonisten bisweilen anderes behaupteten und wir es ihnen gerne geglaubt haben) nie in der Lage, Mißstände entscheidend zu beeinflussen. Es geht höchstens um die Bildung eines anderen Bewußtseins. Auf dieser Basis hat jede neue Sterne-Platte, die wie Räuber Und Gedärm von Engagement, gedanklicher Frische und kritischem Interesse an der Welt zeugt, ihre dringende Berechtigung. Und in diesem Sinn spielt es auch keine Rolle, daß die Zeiten, in denen Sterne und Kollegen (Blumfeld, Tocotronic) auf Feuilleton-Hymnen abonniert waren, wohl vorbei sind. „Das ist ganz normal“, findet Spilker: „Mit dem achten Album kann man nie so neu sein wie die Arctic Monkeys mit ihrem ersten.“

Vielleicht liegt ja im gegenwärtigen Status als respektierte, aber nicht mehr flächendeckend präsente Band eine besondere Spannung. Schließlich scheint dieser Status dem Ausgangspunkt der Sterne in der Provinz viel mehr zu entsprechen als die zwischenzeitlichen Höhenflüge in Charts und Trendbarometern: nämlich ein anders denkender und handelnder, positiv widerständiger Teil einer Umgebung zu sein, die nicht eben bekannt ist für Weltoffenheit, Menschlichkeit und Toleranz. „Wir leben nicht an dem Punkt, an dem Werte definiert werden „, sagt Spilker. Der Spilker von 1989 hat das wohl kaum anders gesehen.

Das Bewußtsein, sich beschweren zu müssen, steht als Fels in der Brandung stürmischer Zeiten. Mag sich also ihre Musik über die Jahre wandeln, mag sie die Fans begeistern oder mitunter gar „enttäuschen wie bei das Weltall ist zu weit“ (Spilker) so lange den Sternen ihre Überzeugungen nicht abhanden kommen, werden sie weiter Song um Song schreiben. Auch wenn diese Art zu arbeiten und zu leben bisweilen ganz schön anstrengend ist. Spilker: „Es ist viel einfacher, im Mainstream zu schwimmen. Man muß weniger kämpfen, man ist immer in der Mehrheit und man hätte vielleicht sogar die Chance, das Fernsehprogramm gut zu finden.“

Es ist wohl doch besser, sein Programm selbst zusammenzustellen, so wie es Die Sterne während ihrer Aufnahme-Reisen ins tschechische Tabor und ins nordfriesische Fresenhagen getan haben. „Wir haben DVDs geguckt, vielgeredet, gefrühstückt, eingekauft… Es war wichtig, daß wir das zusammen gemacht haben, wie im Trainingslager“, erzählt Spilker. Ein Magnetband zeichnete die Sessions analog auf. Mit Ton, Steine, Scherben, die in Fresenhagen wohnten, und deren Sänger, der der heutigen Tagungsstätte seinen Namen gab, hat diese Verfahrensweise nur zufällig zu tun: „Unsere Beziehung zu den Scherben war für unsere Arbeit nicht so wichtig“, sagt Spilker. „Es stand im Vordergrund, daß man da Krach machen kann.“ Dennoch erinnert Räuber … mitunter an die Scherben. Und weder Spilker noch von der Schulenburg wollen abstreiten, daß der Ort und die Gespräche mit ehemaligen Scherben wenigstens unterbewußt ihre Wirkung auf die Songs gehabt haben könnte.

Reiser freilich litt offensichtlich mehr an der Welt, als es Spilker zu tun scheint, wenn man ihn im Gespräch oder auf der Bühne erlebt. Von der Auseinandersetzung jedenfalls mit den Dingen, die stinken, läßt er sich seine Lebensfreude nicht vermiesen. Vielleicht auch, weil er sich mit der doch eingeschränkten Rolle als Popmusiker fernab medialer Superstar-Aufmerksamkeit arrangiert hat – auch und gerade in Bezug auf das Medium Popsong als solches: „Du kriegst nie aus einem Song die Welt erklärt. Bestimmte Sätze oder Parolen wie ‚Keine Macht für niemand‘ passen super auf bestimmte Situationen, aber sie erklären nicht viel.“

Die Welt mit ihren Verwerfungen und Katastrophen für einen glücklichen Augenblick ganz einfach und verstehbar erscheinen zu lassen, das vermag gute Popmusik. Ohne ihren Standpunkt abseits des Mainstreams je zu verraten, sind auch Die Sterne meisterliche Illusionisten. Das beweist nicht zuletzt ein Blick aufs Cover von Räuber Und Gedärm: Was wir zu sehen glauben, sind niedliche Wolkenkratzer, gezeichnet von Kinderhand. Es sind aber Fahrradgumminoppengriffabdrücke.

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