Dylan Lebt


Er ist immer noch der alte. Bob Dylan, die lebende Rocklegende, war Zeit seines Lebens für eine Überraschung gut und hat darüberhinaus alle paar Jahre den Mythos, der ihn gerade umgab, mit Brachialgewalt zerstört. Und diese beiden Naturgesetze seiner Karriere gelten auch 1978 noch Rund 1 10.000 Zuhörer überraschte „The Zim“ jetzt in Dortmund. Berlin und Nürnberg mit einer ausgefeilten, zweieinhalbstündigen Rockshow, in deren Mittelpunkt er selbst die Rolle des mit allen musikalischen Wassern gewaschenen Entertainers spielte. Dylan ist auf dem Weg vom New Yorker Greenw ich Village nach Las Vegas, und er ist nicht mehr weit vom Ziel entfernt. In Berlin kassierte er für seine jüngste Wandlung eine Menge Pfiffe: ansonsten jedoch umbrauste ihn bei seinem ersten Deutschland-Trip überall ein Beifallsturm. Hermann Haring jubelte mit.

Kaum zu glauben, aber wahr: sogar die boring old farts von der ARD-Tagesschau kriegten spitz, daß da kern Waldund Wiesenstar anrollte. Also wurde Dylans Ankunft in Berlin um 20.12 Uhr auf den Bildschirm gebracht. Vermutlich weil er nicht bereit war, ein paar Worte ins Tagesschau-Mikrofon zu sprechen, putzten ihn die Herren TV-Redakteure dann aber auch richtig runter. Er laufe noch immer wie ein Underground-Star mit dunkler Sonnenbrille und dunklen Klamotten „rum, wurde bemängelt. Und mit Hilfe der Aussagen von zwei Konzertbesuchern, die den „alten“ Dylan sehen wollten, ihn aber nicht zu sehen bekamen, gab man der Tournee dann den Todesstoß. So einfach ist das also, sich seinen eigenen Reim von der Wahrheit zu machen. Würg!!

Ich fuhr nach Dortmund, in die fast ausverkaufte Westfalenhalle, zu Dylans erstem Konzert auf deutschem Boden. Zwei Dinge hatten mich vorgewarnt: einmal die Erzählungen von ME-Mitarbeiterin Ingeborg Schober, die vor Monaten in Japan die Generalprobe zur Welttournee zufällig miterlebt hatte. Viel Reggae und viel konfuses Zeugs war da in ihre Ohren gedrungen. Beeindruckt war sie nicht. Ein deutlicherer Hinweis hatte die ME-Redaktion allerdings einen Tag vor dem Dortmundei Auftritt erreicht: Dylans neues Album „Street Legal“ (siehe Longplayers), das in der Tat der Protestgeneration der seligen sechziger Jahre ein paar harte Nüsse zu knacken gibt.

Dylan live – das war zunächst einmal zeitgemäßer US-Showprofessionalismus. In der Westfalenhalle stand eine rollbare Bühne, die maßgeschneidert war für das historische Ereignis: genügend Bewegungsraum für alle Musiker, keine den Blick von allen Seiten verstellenden Verstärker- und Lautsprechertrürme. Der größte Teil des Platz raubenden PA (der Gesangsanlage also) hing unter der Hallendecke; ein kleiner Kniff, der auch dem Sound guttut. Keine Spur also von jener bewußten Abkehr von jeglicher Perfektion, die noch vor zwei Jahren Dylans „Rolling Thunder Revue“ in Amerika geprägt hatte.

Bruch mit der Tradition

Dieser Bruch mit der Tradition fällt allerdings kaum ins Gewicht angesichts der revolutionären Ereignisse die an diesem Abend kurz nach acht einsetzten. Bob Dylan auf der Bühne mit einer wahren Rock-Big-Band. Mit drei Chormiezen, die auch auf einem Zahnärzte-Kongreß singen könnten. Mit einer Bläsergruppe, die auch zu Boz Scaggs entschärften Soul-Verschnitt passen würde. Und mit einem Repertoire, das all die Hymnen eines ganzen Rock-Jahrzehnts enthielt und bei dem dennoch kein Ton so wie früher rüberkam.

Ich hatte – wie die übrigen 15.000 wohl auch – Probleme, die Songs zu identifizieren. „Love Minus Zero“ erkannte ich erst im Verlauf der letzten Strophe, und selbst bei „Mr. Tambourine Mari“ hakte die Erinnerung. Der Soundtrack einer – meiner – Generation hatte eine Gesohlechtsumwandlung hinter sich: alles total umarrangiert, eingepaßt in das Klanguniversum der späten siebziger Jahre. Mit Ausnahme von Punk und Classic-Rock fehlte nichts bei diesem Auftritt. „Don’t Think Twice“ – ein Reggae. „Maggie’s Farm“ – kraftvoller, vorwärtstreibender, in den Unterleib zuckender Rock. „All I Really Want To Do“ – eine Sternstunde für soulige Bläserspots. „Just Like A Woman“ – ein sehi flockiger, beinahe schon romantischer Popsong mit einem bemerkenswerten Saxophon-Solo. „Blowin‘ In The Wind“ – sanfter Softrock, fast schon eine Spur zu seicht. „AU Along The Watchtower“, Jimi Hendrix gewidmet – hart und stellenweise heavy. Die Songs vom neuen Album, „Changing Of The Guaids“, „Baby Stop Crying“ oder „Senor“ – getragen von der geballten Kraft der großen und großartigen Band. Und „Like A Rolline Stone“. vielleicht der wichtigste Song, der überhaupt je in der Rockmusik komponiert wurde – hier geriet er zu einem Vulkanausbruch mit einem Sänger Dylan, der über sich selbst hinauswuchs, der die Worte ins Publikum peitschte und am Ende erschöpft nach Luft schnappte.

Jawohl, dieser Mann kann singen. Vorbei sind die Zeiten, da sich seine Ausdrucksmöglichkeiten in seinem näselnden Sprechgesang erschöpften. Jetzt wandelt sich seine Stimme mit der Stimmung der einzelnen Songs, ist nicht mehr unverwechselbares Markenzeichen allein, sondern zugleich ein Instrument. Und Dylan selbst besitzt zwar noch immer Charisma, aber er ist nicht mehr ein unnahbarer Mythos, da hat er gründlich aufgeräumt. Er machte An- und Absagen, redete mit dem Publikum, wagte Tanzschritte, ließ seinen Körper zuweilen fom Rhythmus mitreißen, zeigte echte Freude, wenn der Jubel zu ihm heraufschäumte – the times, they are a-changin‘. Bloß beim deutschen Fernsehen, da werden sie das erst in zwanzig Jahren merken.

Pfiffe in Berlin

Warum die Pfiffe in Berlin, warum die bösen Kommentare in einigen wenigen Zeitungen und Rundfunkprogrammen? Dylan habe den kommerziellen Ausverkauf seiner wegweisenden Songs betrieben, hieß es da. Ach du liebe Güte: dieser Mann hat zwölf, dreizehn Jahre die Spitzenpositionen der Hitlisten erreicht. War das etwa nicht kommerziell? Dylan hat in seinem Leben etliche musikalische Trends eingeleitet, mit denen dann alle möglichen Leute –er selbst eingeschlossen – einen Haufen Geld verdient haben. Und auch im Augenblick braucht er Kohle. Sein aufwendiger Kinofilm „Renaldo und Clara“ entwickelt sich zur Riesenpleite, seine bisherige Frau Sarah wird sich über die Scheidung mit etlichen Millionen hinwegtrösten können.

Aber was soll’s: Dylan hat mit einer erstklassigen Band (mit der er auch „Street Legal“ einspielte) Konzerte gegeben, deren Klasse unbestreitbar ist. Es wäre peinlich geworden, hätte er irgendeine Phase seiner Karriere sozusagen als historisches Theaterstück inszeniert. Denn die Zeiten, die sind eben nicht mehr dieselben. Ein 37jähriger, der mit quäkender Stimme zur akustischen Gitarre „Masters Of War“ singt, könnte wohl kaum die Wut im Bauch 17jähriger Punks lindern. Und die, die damals 17 waren, zornig waren und von der Überzeugung lebten, alles ändern zu können (ich gehöre auch dazu), die würden 1978 höchstens vor Rührung heulen, wenn die alten Bilder lebendig würden. Bob Dylan hat sein schönes Stück „Forever Young“ wörtlich genommen und seine Musik im Sound der späten Siebziger wiederauferstehen lassen. Und er hat triumphiert über diese Zeit und ihre künstlerischen Ausdrucksmittel. Das ist entscheidend: Dylan lebt.