Ein Sonderling als Volksheld


Der letzte starrköpfige Superstar: Auch zu seinem 70. Geburtstag verwehrte Adriano Celentano alle Interviews, ein Erklärungsversuch.

Auf Adriano Celentano können sich fast alle einigen: guter Typ, überschäumende Songs, tolle Tanztechnik, entwaffnendes Grinsen. Doch aus hiesiger Sicht, hinter der Sprachbarriere und vertraut nur mit einem Bruchteil seines Schaffens, bleibt der Mann vor allem Projektionsfläche für allerlei Zuschreibungen: Macho, Querkopf, Spinner, ja, politischer Freigeist, wie man auch gehört hat, südländischer Clown mit offenem Hemd, konservativer Anarchist. Wer aber ist dieser Mann wirklich, der angeblich noch nie ein Flugzeug bestiegen hat und früher in seinem Tourtross auch einen Geistlichen beschäftigte, als Schauspieler zig Trashkomödien und als Regisseur einige fellinieske, rauschartige Filme drehte? Der einerseits den nicht totzukriegenden Paolo-Conte-Song „Azzurro“ zum beliebtesten Italoschlager aller Zeiten machte, viel lieber jedoch in seinen Songs gegen Korruption, Umweltzerstörung, Drogenmissbrauch und Rassismus sang?

Er selbst tut – ähnlich wie Bob Dylan – nichts dafür, den eigenen Mythos zu erklären. Im Gegenteil: Seit den 9oern lehnt der zurückgezogen am Corner See lebende Sänger, den sie in Italien „il meglio“ („den Besten“) nennen, fast alle Interviews konsequent ab. Auch zu seinem 70. Geburtstag Anfang Januar schwieg er sich aus. Hinzu kommt, dass seine Managerin, Ehefrau Claudia Mori, als Chefin der Firma Clan Celentano den Volkshelden komplett abschottet.

Am besten packt man Celentano, wenn man ihn als einen der letzten kulturellen Freigeister und Dickköpfe begreift. Einen, der nicht in Kategorien wie ernst oder leicht, rechts oder links, konservativ oder modern denkt. Adriano kann nur Celentano – und dafür lieben ihn seine Landsleute. Schließlich verkörpert er so wie kein Zweiter die „Italianità“, das widersprüchliche Wesen Italiens zwischen Gottesfürchtigkeit und Lebenslust.

Schon früh stellte Celentano klar, dass er seinen eigenen Weg gehen würde: Bereits mit 23 gründete er mit Clan Celentano das inzwischen älteste Indielabel Europas. Ab da konnte Celentano machen, was er wollte – und er tut es bis heute. Seinen zentralen Hit veröffentlichte er 1966: „Il Ragazzo Della Via Gluck“, ein Lied, in dem er seine sentimentalisierte Lebensgeschichte mit ökologischen Statements verband – Jahre bevor es in der Rockmusik schick wurde, gesellschaftskritisch Stellung zu beziehen. Bis heute ist der Song, ähnlich wie „Azzurro“, in Italien eine Hymne bei Jung und Alt.

Celentano bezog immer wieder Position und lehnte sich dabei auch gerne mal zu weit aus dem Fenster: Ob Robbenmord, politischer Filz, Emanzipation, Homosexualität, Armut und Arbeitslosigkeit oder gleich das gesamte Weltelend – alles wurde von Celentano in naiv schonungsloser Manier rücksichtslos kommentiert. Seine Songs trugen Titel wie „Wer nicht arbeitet, macht auch keine Liebe“ und waren Tagesgespräch. Zwischendurch gab er immer wieder bereitwillig den selbstironischen Macho mit äußerst biegsamen Gelenken und irrem Grinsen – vor allem in seinen Filmkomödien wie „Gib dem Affen Zucker“, mit denen er in Deutschland am bekanntesten wurde.

Den Vogel schoss er im Jahr 1972 ab: Mit dem song „prisencolinensinamciusol“ veröffentlichte er einen der bizarrsten Pophits aller Zeiten. Man muss es gehört haben, um es zu glauben: Celentano krächzt in prähistorischem Rapgesang über einen stampfenden Ein-Akkord-Track einen albernen Fantasiesprache-Text, der sich anhört, als würde ein Sechsjähriger versuchen, einen englischen Text vorzutragen. Celentano nannte das Ganze „lingua celentanesca“ – eine universelle Sprache, die alle Grenzen und Bedeutungsebenen aufhöbe. Gibt man Celentanos Namen und den Songtitel bei youtube ein, findet man zwei TV-Auftritte, die den Irrsinn dieser Idee aufs Schönste vorführen.

Neben seiner Karriere als Sänger, Schauspieler und Regisseur ist Celentano in Italien auch als Fernsehmoderator eine Instanz, wobei seine Vorstellung von einem Fernseh-Gastgeber wenig mit dem zu tun hat, was man landläufig unter diesem Begriff versteht: Seine Shows tragen Namen wie „Ehrlich gesagt, ich pfeif drauf“, es sind bizarre Personality-Formate, in denen Celentano schonungslos tagespolitische Kommentare abgibt, brüske Interviews mit Weltstars wie David Bowie führt (der ihn daraufhin als „Idiot“ bezeichnete) und immer wieder in zuckende Tanzeinlagen verfällt. Zuletzt legte sich Celentano mit der Berlusconi-Regierung an, als er im Jahr 2005 in seiner Show massive Verstöße gegen die Pressefreiheit in Italien geißelte. Der Ministerpräsident schäumte, die Einschaltquote überschritt die 50-Prozent-Marke. Auch mit 70 Jahren bleibt der Mann ein nationales Heiligtum. Gerade weil er so eigensinnig und verquer ist. Das funktioniert wohl nur Italien. Und nur mit Celentano. »>

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