Eine Starke Truppe


Die Expedition führte diesmal auf den Balkan. Dort, wo Lightshow und Laser noch Fremdworte sind, ölte Preußens Rock-Elite ihre Präzisionsmaschine. ME/Sounds traf die Scorpions in Sofia.

Hallo Sotiaaa, kräht Heldentenor Klaus

Meine ins Mikro, bevor Deutschlands starke Truppe ihren Eröffnungskracher „Coming Home“ über die Bühnenrampe schickt. Die Hannoveraner mögen sich überall „zuhause“ fühlen, doch genau betrachtet trifft der Songtitel nicht zu: Dies ist der erste Scorps-Gig in Bulgarien. Dies ist überhaupt der erste Auftritt einer Stadion-Rockband in diesem Teil der Welt.

Wieder einmal betreten die Niedersachsen Neuland, und das mit stolz erhobenen Stacheln. Immerhin gut 20.000 Anhänger haben sich in Sofias „Vassil Levsky-Stadion eingefunden — und staunen entgeistert, mit welcher Wucht die Brecher aus den monströsen Boxen rollen. Die Refrains allerdings werden gleich lauthals mitgegrölt — auch wenn’s nur phonetisch ist. Die bulgarischen Live-Novizen haben schnell gelernt. Genau wie Veranstalter, Polizei, Ordner und Sanitäter — und so geht das Spektakel reibungslos über die Bühne.

Man mag die Musik der deutschen Parade-Rocker mögen oder nicht — vor ihren Tour-Expeditionen muß man einlieh der Soundcheck beginnt. Zwei Stunden lang wird hart gearbeitet, dann geht’s schnurstracks zur Pressekonferenz. Anschließend wird ohne Pause zum „Meet and Greet“ mit Fans gebeten, die ein Preisausschreiben des Sponsoren gewonnen haben. Ein namhafter Hersteller brauner Brause schoß eine Million Dollar zur laufenden Tour zu und sorgte dafür, daß der Eintrittspreis in Sofia umgerechnet nur sechs Mark beträgt.

Verdienen wird die Band auf dem Balkan wohl nichts, schätzt Gitarrist Matthias Jabs, im günstigsten Fall ende sie bei Plus Minus Null. Auf ihrer letzten Rock-Reise durch Rußland leisteten sich die nicht gerade unvermögenden Mucker gar einen Verlust von 600.000 DM. wie Rudolf Schenker nicht ohne Stolz bilanziert.

Nach dem Treffen mit den glücklichen Preisrätsel-Gewinnern stehen die Scorps dem ME/Sounds-Gesandten für ein Stündchen Rede und Antwort. 30 Minuten reservieren sie sich anschließend zum Warmspielen, und pünktlich um 9 Uhr 15 geht es geradewegs auf die Rampe. Mitten im Konzert gibt’s eine faustdicke Überraschung: Klaus Meine bittet Michael Schenker auf die Bühne. Rudolfs Bruder, früher selbst Mitglied der Scorpions und nach seinem Höhenflug mit UFO und MSG leicht abgestürzt, spielt mit der Band einen Akustik-Set, der hauptsächlich aus bejubelten Balladen besteht. Herman Rarebell. Minimalist unter den Rock-Trommlern, klettert für diesen Teil hinter ein eigens aufgebautes, zweites Schlagzeug. Dann wird wieder Gas gegeben, wobei der Höhepunkt ohne Zweifel die zweite Zugabe ist: „Wind Of Change“. Er trifft die Bulgaren mitten ins Herz — nicht wenigen stehen Tränen in den Augen.

„Wind Of Change“ läßt sich auch als Wind des Wechselgelds übersetzen. Allein die Single verkaufte sieben Millionen Stück und dürfte den alleinigen Autoren Klaus Meine zum mehrfachen Millionär gemacht haben. „Ich bin nicht der Typ, der wie Dagobert Duck über seinem Bankkonto hockt, deshalb kann ich keine konkreten Zahlen nennen. Doch alleine die Cover-Versionen, die es weltweit gibt, bringen die Kasse weit nach vorne“, frohlockt Klaus beim Gespräch in den Katakomben des Stadions. Obendrein wurde der Bestseller auch als Werbe-Jingle einer Limousinen-Firma eingesetzt — was vielen Fans sauer aufstieß.

„Es gibt halt Angebote, denen kannst du nicht widerstehen“, entschuldigt sich Meine achselzuckend. Doch daß die CDU die Wende-Hymne auf ihrem Parteitag einsetzte, ging dem Kompromißbereiten dann doch über die Hutschnur: Er setzte seine Anwälte in Bewegung.

Während sich der Vorsänger in Finanzfragen bedeckt hält, gibt sich Hermann Rarebell verblüffend offen. „An Lizenzen vom Album ,Crazy World‘, das , Wind OfChange‘ beinhaltet, erhält die Band einen Dollar und 35 Cents pro Stück. Bei 7,5 Millionen verkaufter Einheiten bleibt für jeden eine halbe Million“, rechnet er vor. Kommen noch die Einnahmen aus dem Merchandising, den Verlagsrechten (nur für die Autoren der Songs) und den Tourneen — falls etwas übrigbleibt. Rarebell hat gut lachen: Als einziges Mitglied hat er Hannover, für ihn nur „Hangover“, den Rücken gekehrt und lebt längst im steuergünstigen Monaco.

Überhaupt war viel von Geld die Rede, wenn es in letzter Zeit um die Scorpions ging. Das Finanzamt Hannover forderte Steuern für angebliche Einnahmen von elf Millionen Mark. Dieses Thema bringt Scorps-Gründer Rudolf, ein Mann mit dem Temperament einer überhitzten Sektflasche, vollends auf die Palme. „Wir sind die einzige weltweit operierende Band Deutschlands. Die Finanzbeamten haben überhaupt keine Ahnung von den Kosten eines derartigen Unternehmens. Wir bezahlen jetzt deren Erfahrung. Die glauben uns nicht, daß wir eine Agentur, einen Manager, eine Lichtund eine Soundfirma sowie eine Trucking Company brauchen. Die meinen wohl, wir sollten unsere Anlage mit dem Fahrradtramportieren. „DerFiskus habe einfach nur die Einnahmen zusammengerechnet, ohne die immensen Kosten zu berücksichtigen. „Wir haben sicherlich gut verdient, doch gehst du als Bandfinanziell immer auchenorme Risiken ein. Für die laufende Tour haben wir, die Musiker, eineinhalb Millionen Mark an Vorauszahlungen leisten müssen, fiir Trucking, Anlage, Licht. Und überhaupt“, empört sich Schenker, „glaubst du, der Staat hätte uns am Anfang auch nur mit einer müden Mark unterstützt? Die Oper bekommt Millionen, doch kaum verdient eine Rockband n bißchen Geld, riecht der Fiskus Lunte. „

Schluß mit der menschlichen und steuerlichen Tragödie. Es gibt auch Erfreuliches zu berichten. Da wäre ihr neues Album „Face The Heat“. mit dem die Scorpszu „den Wurzeln“ zurückkehren wollen. „Der Erfolg von, Wind Of Change ‚ hat uns zur Band fiir die ganze Familie gemacht. Dem wollten wir entgegentreten, indem wirein hartes, zeitgemäßes Album aufnahmen“, erklärt Meine. Die Gruppe ist sich des Zwiespalts wohl bewußt: Während ihre Balladen Millionen rühren, finden ihre Hardrock-Nummern weit weniger Freunde. „Wir haben die Platte fiir unseren Fan-Stamm gemacht. Das sind halt die Leute, die sowohl unsere Balladen als auch die Rocker mögen“, erläutert Matthias Jabs die Strategie. Und Meine verrät: „Wirhaben noch mindestens ßnf Balladen in der Schublade, darunter ein Dingmit absoluter Hitqualität. Doch wir wollten auf Risiko setzen und uns nicht ans breite Publikum anbiedern. Mit Musik, zu der wir stehen können, sind wir immer am besten gefahren. „