Meinung

„El Camino“ auf Netflix: Warum das Ende des „Breaking Bad“-Films zu mutlos ist


Ein unbefriedigender Spaß: Der „Breaking Bad“-Film „El Camino“ zeigt mit viel Action, Blut und Gefühl die Stunden der Flucht des Jesse Pinkmans unmittelbar nach den Ereignissen des „Breaking Bad“-Finales. Da wäre aber mehr drin gewesen. ACHTUNG, SPOILER!

Erinnert Ihr Euch noch an das Ende von „Dexter“? An das Gefühl der Vorfreude, dass die einst so geniale, aber mindestens drei Staffeln zu lange Serie über einen als polizeilicher Forensiker arbeiteten Robin Hood unter Serienmördern bald endgültig vorbei sein wird? Und an die Enttäuschung darüber, dass die Showrunner selbst nach acht Staffeln nicht den Mut bewiesen, ihren Protagonisten sterben und seine Geschichte endgültig enden zu lassen? An die finale, einem sehr schlechten Witz gleichenden Folge, in der Dexter Morgan auf hoher See von Bord geht, in der letzten Szene aber als Holzfäller in einer einsamen Waldhütte gezeigt wird? Um sich bloß die Option offen zu halten, das „Dexter“-Franchise eines Tages doch wieder aufleben zu lassen? Nun: Ganz so schlimm war das Ende von „El Camino“, dem seit Freitag auf Netflix laufenden „Breaking Bad“-Film, nicht. Inkonsequent, irgendwie mutlos und dünn war es trotzdem.

„El Camino“ auf Netflix: Mehr „Breaking Bad“-Nostalgie als „Bitch“-Momente

Die Prämisse des Filmes, die im Vorspann als Rückblick gerafft wird: Chemielehrer, Familienvater und Drogenbaron Walter White aka Heisenberg (Bryan Cranston) ist tot. Es gab eine Schießerei. Polizei und Nachrichtensender rücken an. Jesse Pinkman, Whites ehemaliger Schüler und Methkoch, ist auf der Flucht. Davon wird „El Camino“ zwei Stunden lang erzählen: Kann der unfreiwillig in die Großkriminalität gerutschte Jesse seinem Peiniger Todd, den Cops und anderen Verbrechern wirklich entkommen?

„El Camino“ setzt also dort an, wo die Handlung von „Breaking Bad“ vor sechs Jahren aufhörte und erzählt nahtlos Jesses erste Stunden und Tage nach dem Serienfinale weiter. Das ist das eine Problem des Films: „El Camino“ fühlt sich an wie eine weitere Folge „Breaking Bad“, wie ein Epilog, nicht aber wie ein neuer Teil der Geschichte. Zwar hält „El Camino“ ein paar Nostalgie- und „Yeah, Bitch“-Momente für „Breaking Bad“-Fans bereit. Viel lieber würde man aber doch wissen, was mit Jesse Jahre nach der hier erzählten Handlung passiert, wie es ihm ergehen wird: Schafft er den Neuanfang in Alaska? Kann er seine kriminellen Jahre hinter sich lassen, oder holt seine Vergangenheit als Chefkoch eines neuen Meth-Imperiums ihn trotz neuer Identität ein? „Das wäre die Story“, wie auch die Kollegen von RollingStone.de befinden.

Zum „El Camino“-Start: Aaron Paul fasst „Breaking Bad“ in 2 ½ Minuten zusammen

Stattdessen, und das ist das andere Problem des Films, begleitet Erfinder und Regisseur Vince Gilligan seinen und unseren Jesse Pinkman zwei Stunden auf dem Weg zu dessen Neuanfang, bei seiner Katharsis, beim Finden eines „Happy Ends“, das es mit so einer Vita und so vielen Toten auf dem Rücksitz freilich gar nicht geben kann (wie ihm auch Mike Ehrmanntraut in einer Rückblende erklärt) – zeigt diesen Neuanfang streng genommen aber nicht. Nachdem Jesse im „Einsamer Cowboy“-Style 250.000 US-Dollar zusammensammelt, verhilft ihm der aus „Breaking Bad“ bekannte Staubsaugerverkäufer Ed (gespielt von dem am Wochenende verstorbenen Robert Forster) zur Flucht. Er besorgt ihm neue Papiere, Klamotten, eine Backgroundstory und ein Auto und schmuggelt ihn von New Mexico bis nach Kanada. Die letzten paar Meilen muss er selbst fahren. Er fährt los, denkt dabei an seine tote Freundin Jane, den verwaisten Brock, dem er noch einen Abschiedsbrief hinterließ, fährt weiter – und „El Camino“ endet. Ob Jesse wirklich über die Grenze gefahren ist und der Versuch seines Neuanfangs begann, oder ob es Probleme gab, er es sich anders überlegte und die Grenze nicht erfolgreich passierte, zeigt Vince Gilligan nicht.

Man kann nun behaupten oder empfinden, dass Jesses Fahrt gen Norden eindeutig genug in Szene gesetzt wurde, um nur den naheliegenden Schluss zuzulassen. Dass ein fader Beigeschmack bleibt, eben weil Gilligan streng genommen ein Hintertürchen offen lässt, die Handlung nochmal aufzugreifen und umzulenken (wenn auch bei Weitem nicht so billig, plump und unnötig wie bei „Dexter“), muss sich der Serien- und Filmemacher trotzdem anhören dürfen. Aber wer weiß: Vielleicht wird der Film über Jesse Pinkmans neues Leben, der „El Camino“ leider nicht geworden ist, eines Tages ja so oder so noch gedreht werden. Dann sei Gilligan das hier verziehen.

Youtube Placeholder

An dieser Stelle findest du Inhalte aus Youtube
Um mit Inhalten aus Sozialen Netzwerken zu interagieren oder diese darzustellen, brauchen wir deine Zustimmung.

„El Camino: Ein ‚Breaking Bad‘-Film“, seit 11. Oktober 2019 auf Netflix