Entartete Kunst 2.0


Wie freemuse.org dokumentiert, wird immer und überall Kunst zensiert. Bands wie The Cure und die Gallows können ein Lied davon singen - wenn man sie lässt.

Es passiert heute, es passiert in „freien“ Ländern, und es kann jeden treffen: Die Gallows, die grandiose britische Punkband, die zu den bemerkenswertesten Newcomern des letzten Jahres gehört, ist in den USA im Januar Opfer von Zensur geworden. Ein Auftritt im Vorprogramm von Social Distortion, der im House Of Blues in Anaheim in Kalifornien hätte stattfinden sollen, wurde von den Veranstaltern, dem Walt-Disney-Konzern, abgesagt. Die Begründung: Die Texte der Songs auf ihrem Debüt-Album orchestra of wolves seien nicht familienfreundlich.

Bei einem von dem Telekommunikations-Unternehmen AT&T durchgeführten Webcast eines Pearl-Jam-Konzerts gab es 2007 genau dann einen (angeblich „unabsichtlichen“) Tonausfall, als Eddie Vedder auf die Melodie von „Another Brick In The Wall“ die Zeile „George Bush, leave this world alone“ sang. Ähnliche Fälle von „technischen Problemen“ an inhaltlich brisanten Stellen hatte es bereits bei Übertragungen von The-Flaming-Lips-, John-Butler-Trio- und Tom-Morello-Auftritten gegeben.

Nicht in jedem Fall von Zensur sind die Rollen von Gut und Böse klar verteilt: Im Dezember 2007 sprach die Stadt Brighton einen generellen Bann für jegliche Art von Minderheiten diskriminierender „Hass-Musik“ aus. Im Zentrum der Debatte stand ein geplantes – letztendlich aber nicht genehmigtes – Konzert des homophoben jamaikanischen Dancehall-Künstlers Buju Banton. „Brighton und Hovegelten als die Schwulenhauptstädte Englands“, sagte Stadtrat Simon Williams. „Das Recht auf freie Meinungsäußerung greift fast immer, nicht aber wenn es um Aufhetzung zum Mord geht.“

All diese Beispiele – und viele mehr, vor allem aus Ländern wie Nord-Korea, China und Myanmar -, sammeln die Betreiber der Website www.freemuse.org . Die internationale Organisation, die ihren Sitz in Dänemark hat, sammelt Nachrichten aus aller Welt und archiviert in der Rubrik „Artists on Cencorship“ Berichte aus erster Hand. „Als wir angefangen haben, waren wir nicht Opfer von offensichtlicher Zensur – das lief mehr unter der Hand“, erzählt beispielsweise Robert Smith von The Cure. „Und das passiert noch immer im Bereich der Popkultur: Sachen werden marginalisiert. Die Zensur erfolgt auf sehr effektive Weise: Man gibt bestimmten Stimmen einfach kein Forum, keine Sendezeit. Die Sex Pistols wurden tatsächlich zensiert, bei uns war das anders. Und Mitte der 80er durften wir plötzlich in einigen osteuropäischen Ländern nicht mehr spielen – weil wir als subversiv galten.“

Auch Country-Legende Kris Knstofferson spricht aus eigener Erfahrung: „Letztendlich steckt vielleicht die Regierung dahinter, direkt gehen solche Maßnahmen aber zunächst mal von Leuten aus, die wirtschaftliche Interessen verfolgen. Die erste Ausrede, die ich zu hören bekam, war, dass ich ,unvermarktbar‘ sei – weil ich Songs wie ,They Killed Him‘ über Ghandi und Martin Luther King geschrieben habe.“

Da die Inhalte von freemuse.org nach Ländern sortiert werden können, lassen sich bequem auch Informationen über Zensur in Deutschland recherchieren – von den Fällen der sogenannten „entarteten Kunst“ im Dritten Reich über Die Ärzte bis hin zu Sido. Ein zeitloses Thema, bei dem, wenn es nach Kris Kristofferson geht, auch die Musiker in der Pflicht stehen: „Wenn du das Herz erreichst folgt der Verstand von allein. Musik ist die Kunstform, mit der du vielleicht am schnellsten eine emotionale Reaktion hervorrufen kannst. Deshalb haben Künstler die Verantwortung, die Wahrheit, wie sie sich ihnen präsentiert, aufrichtig zu vermitteln.“