Eros Ramazotti


Dio mio! Wie der schon aussieht: kahlgeschorener Schädel, weißes Schlabberhemd mit Schlips, dunkler Anzug mit einer Hose, die oben viel zu weit und auf den klobigen Tretern viel zu lang wirkt. Kurz: der Rock’n’Roll in Person. Doch gemach. Erstens hat Eros Ramazzotti, der Frauenliebling aus Bella Italia, nie behauptet, den Rock’n’Roll erfunden zu haben. Und zweitens ist der 32jährige Megaseller aus Milano — seine Platten gehen weg wie warme Gnocchi — zehnmal besser als der fragwürdige Ruf, den er in aufrechten Rockerkreisen genießt. Wohl wahr: Eros verdient sein Geld mit Songs zum Mitsingen. Bloß, was zum Teufel soll daran schlecht sein? Etwa, daß man anders als in so vielen coolen Konzerten bei einem Lied sogar die Melodie erkennen kann? Wohl kaum. An den bösen Medienmenschen kann es auch nicht liegen, daß Ramazzotti von der Rockfraktion als besserer Schlagersänger abgetan wird. In Hamburg nämlich, wo der gebürtige Römer vor vergleichsweise kleinem Publikum, aber vielen Medienleuten mit einer veritablen Bigband seine neue Platte präsentiert, applaudieren erstaunlich viele Mitarbeiter von Presse, Funk und Fernsehen zwischen handlichen Häppchen und kühlen Drinks erstaunlich heftig. Ja, bis auf ein paar notorische Querulanten ist man sich sogar annähernd einig: Ramazzotti kann nicht nur was, er ist sogar richtig gut und wird viel zu oft unterschätzt. Daß die Eros-Euphorie nicht auf die Gratisgetränke der Plattenfirma zurückzuführen ist, davon darf man an diesem Abend in der Großen Freiheit getrost ausgehen. Ramazzotti erweist sich als ein liebenswert schüchterner Scharmbolzen, der nicht durch Papagallo-Palaver, sondern einzig durch musikalische Potenz überzeugt. Er singt Songs wie ‚Stella Gemella‘ oder ‚L’Aurora‘ und löst damit jede Menge Emozioni aus. Vor allem, als er sich seines Armani-Jacketts entledigt und nur noch mit weißem Hemd und einer Hose über die Bühne spaziert, deren Bund knapp über dem Schamhaar sitzt. Doch, auch das bringt das Publikum zum Toben. Viel mehr aber ist es Ramazzottis musikalische Leistung. Die neuen Songs sind so gut wie die alten, und heutzutage ist das ja schon mal eine ganze Menge. Außerdem ist Eros mit einer erstklassigen Band angereist, deren Musiker er der Reihe nach vorstellt — Chorsänger und Gitarristen, Keyboarder und Bläser, Bassisten und Perkussionisten. Auch sonst scheint Ramazzotti in Plauderlaune zu sein. Er erzählt von seinen Songs, spricht über das Leben auf der Bühne und sucht den Dialog mit dem Publikum. Ja, viele Italiener sind da, oder zumindest viele, die Italienisch verstehen. Für jene, die mit diesem Idiom weniger vertraut sind, hat der smarte Mann aus Mailand eine Übersetzerin mitgebracht. Für alles ist also gesorgt. Sogar für die gute Tat. Das Eintrittsgeld, das die zahlenden Gäste in der restlos ausverkauften Großen Freiheit lassen, spendet Ramazzotti für soziale Zwecke. Er kann es sich leisten. Was er sich jedoch nicht leisten sollte, ist ein Set, der nicht mal eine Stunde dauert und das Publikum glauben läßt, der Künstler habe sich nach seinem Abgang von der Bühne nur zu einer Pause verzogen. Dabei ist die Show in Wirklichkeit schon vorbei. So fehlt am Ende dieses Abend tatsächlich nur eins: mehr Eros.