Ewig ruft die Gruft


Frisch verheiratet, die neue Cure-Scheibe läuft prächtig an, seit einem Jahr drogenfrei - alles in allem eigentlich Grund zur Freude. Doch Robert Smith ist der Schwarzmaler des Weltschmerzes. An der Schulter von Sylvie Simmons durfte sich der Sänger ausweinen: Die neuen Leider der Heulboje

Die Haare stehen ihm zu Berge wie bei einem toten Perserkater. Der Lippenstift ist malerisch über das untere Viertel des Gesichts verteilt. Genug schwarzer Eyeliner, um den „Ich-schlafe-noch-und-dies-ist-ein-böser-Traum“-Blick mit einem Schuß“Gerade-aufgestanden“ anzureichern. Robert Smith sitzt in einem nach Rosen duftenden Zimmer auf einem geblümten Sofa und macht ein genervtes Gesicht.

Als ich ihn das letzte Mal sah, schien er sich sehr viel wohler zu fühlen – da lag er auf einem mit Spinnweben bedeckten Bett, in den Fängen von etwas, das aussah wie eine gigantisch-pelzige Spinnen-Vagina. Dies alles geschah anläßlich des Videos zu der neuen Cure-Single ,Lullaby‘.

Smith liebt Betten, wenn er nicht gerade arbeitet, schläft er in der Londoner Kellerwohnung, die er mit Nurse Mary, seiner Frau, teilt. Es überrascht daher nicht, daß die Musik von Cure, vom Elektropop auf „The Walk“, dem Trash-Discosound auf „Let’s Go To Bed“ bis zu dem trägen Liebeslied „Kiss Me Kiss Me Kiss Me“ etwas Träumerisches hat. Pop und Psyche, verwoben zu einer existentiellen Bettdecke, die man je nach Geschmack zum Reinkuscheln verwendet oder ganz unten in den Katzenkorb stopft. Auf ihrem elften Album DISINTEGRATION schlägt diese düstere, trübsinnige Traum-Seite der Cure seit langer Zeit wieder voll durch. „Zurück in die Gruft“ heißt das Motto.

Cure wechseln die musikalische Richtung so oft wie die Besetzung: Lol Tolhurst, als einziger außer Smith von Anfang an dabei, wurde kürzlich gefeuert. Smith selber hat die Band zweimal verlassen, spielte kurzzeitig Gitarre bei Siouxsie And The Banshees und denkt immer noch an Abschied: „Ich habe immer gesagt, wenn wir einen Nr. 1-Hit haben, löse ich die Band auf, und das gilt immer noch“.

Auch das Wort „unglücklich“ ist noch immer das beliebteste Adjektiv, geht es um Roberts Charaktereigenschaften. Eine Frau in den USA schrieb kürzlich eine Doktorarbeit über die Texte der Band und fand heraus, daß „ich in unseren Songs genau 74 Mal gestorben bin“. Smith meint, daß die Musik der Cure wahrscheinlich eher Selbstmord als Mord auslöst, aber „ich glaube, ich bin weder exzentrisch noch unglücklich. Ich bin wahrscheinlich sehr viel nüchterner und normaler, als die meisten Leute denken. „

Trotzdem verbreitet er eine Aura von Verletztheit und Verwundbarkeit wie ein grotesk aus den Fugen geratener kleiner Junge, der ohne seinen Teddybär und seine Schmusedecke nirgendwo hingeht. „Ich hab tatsächlich früher immer eine Stoffkatze und eine Decke dabei gehabt, aber sie sind irgendwann im Studio verbrannt.“ Er lächelt. „Ich bin eigentlich gar nicht so verletzlich, aber ich benutze das als Fassade, um anderer Leute Überschwang abzuhalten. Jemand fällt nicht sofort über dich her, wenn du so aussiehst, als würde dich das total umhauen. Bis zu einem gewissen Grad ist es also gespielt, aber es entspricht auch eher meiner Natur, als tatkräftig durch das Zimmer zu tigern. „

Mit dem tigern hat er es noch nie gehabt. Robert ist noch nicht einmal ein Party-Löwe: „Ich geh‘ überhaupt nicht mehr weg. Aber Mary geht ständig aus und ich mache mir ziemliche Sorgen, wenn sie nicht nach Hause kommt. Mittlerweile hasse ich London, es hat sich sehr verändert in den letzten zehn Jahren. Ich bin der letzte in der Band, der noch in London lebt, und Ende dieses Jahres ziehe ich auch aufs Land.“

Dort draußen, auf dem Land bei London, besucht er ab und zu auch noch seine Eltern, die seltsamerweise ihren melancholischen Jungen mit dem grell-weißen Make Up immer für absolut normal genommen haben: „Klar- weil Mom und Dad noch verrückter sind als ich. Sie benehmen sich nicht wie normale Eltern. Sie gehen aus und betrinken sich und machen diese seltsamen Ausflüge, fahren los und schauen sich das Flughafengebäude in Catwick an. Sie haben mich immer ermutigt, zu tun, wozu ich Lust habe, selbst wenn es nicht besonders gut für mich war. Wir halten sehr viel Freiheit, rauchten sogar Dope in ihrer Gegenwart.“

Und Robert hat in einer solchen Umgebung sicher auch ungestört vor dem Schlafzimmerspiegel seine ersten schrillen Outfits ausprobieren können?

“ Quatsch: Ich hatte nie einen Schlafzimmerspiegel. Wir hatten nicht einmal einen im Badezimmer. Es gab einen im Flur, das war alles. Ich habe immer noch keinen.“ Vielleicht haben wir soeben den Grund entdeckt, warum Smiths Lippenstift nie an der richtigen Stelle sitzt und meist über das halbe Gesicht verschmiert ist? „Mary hat einen kleinen Handspiegel für ihr Make-Up. Aber weil ich nie einen besaß, hatte ich keine Ahnung, wie schrecklich ich aussah und deswegen auch keine Komplexe. „

Doch Smith wußte auch nicht, wie die Leute, deren Musik er bewunderte, aussahen, denn sein großer Bruder bewahrte seine Platten immer nur im Innencover auf. Aus Ermangelung an optischen Star-Vorbildern entwickelte sich zwanglos das – damals ungewöhnliche – Cure-Outfit. „Zu Beginn spielten wir nur für ein paar Bier in den umliegenden Pubs und zum Schluß verkauften wir zwei Millionen Platten. Sogar mit dem Singen war es so – unsere Sänger waren alle solche Wichser, daß ich mich schließlich entschloß, selbst zu singen. Es war schrecklich, ich hasse unsere erste Platte, ich hasse meine Stimme darauf.“

Die Stimme ist geblieben, das aktuelle Cure-Album geht wieder zurück zu den Cure-Ursprüngen, der

Erfolg ist ungebrochen. Alles in allem also eher Grund zur Freude. Doch Smith ist von Beruf Pessimist:

„Im Moment verspüre ich keinen besonderen Drang aufzutreten. Ich hatte eine Phase, in der es nichts Wichtigeres gab, als auf die Bühne zu gehen und loszulegen, aber das geht langsam zurück. Ich sehe das Ende der Band kommen. “ Die nächste Welt-Tournee, falls sie in diesem Umfang zustande kommt, soll durch Länder führen, in denen sie noch nie waren, aber immer nochmal hin wollten – „Ungarn und Bulgarien zum Beispiel – bevor sich die Band auflöst.“

Während der letzten Tour hatten sie angefangen, das Publikum beim Reinkommen auf Video zu filmen. Die Band wollte wissen, wer ihre Fans sind „und was sie von uns wollen. Es war echt ziemlich erschreckend. Wir hörten mittendrin wieder auf, weil es alle fertigmachte zu sehen, für wen wir eigentlich spielen – eine seltsam abgeschlossene Gruppe etwas verrückter Leute. Die Konzerte waren wie jährliche Stammestreffen, zu der wir nur das Rahmen Programm lieferten. „

Trotz dieser Frustration hat Robert inzwischen das Trinken aufgegeben, „und die Drogen schon vor langer Zeit. Du brauchst keine Drogen, um psychedelisch zu sein!“

Die drei wichtigsten Traumata und Meilensteine der letzten Zeit haben ihn noch nicht wieder zur Flasche greifen lassen: seine Heirat mit Mary, seine Trennung von Lol Tolhurst und sein Solo-Album.

„Blödsinn“, wiegelt Robert ab, „es war nicht gerade ein traumatisches Erlebnis zu heiraten. Die Ehe ist doch ohnehin eine bedeutungslose Institution.“ Dann bleibt für die Smith-Heirat eigentlich nur noch ein Grund: Nachwuchs. „Hihi – Alle schauen ihr auf den Bauch und werfen mir wissende Blicke zu – weil Mary in die Kirche geht, denken sie, wir würden keine Kinder kriegen, ohne verheiratet zu sein – aber tatsächlich haben wir nicht die Absicht, überhaupt Kinder in die Welt zu setzen. Ich habe nicht genug Verantwortungsgefühl, um Vater zu sein. Am liebsten würde ich allen erzählen, daß ich sterilisiert bin, damit sie mich endlich in Ruhe lassen! Die Leute können es nicht akzeptieren, daß wir nur geheiratet haben, um einen schönen Tag zu haben, damit Mary im weißen Kleid das Kirchenschiff hinunter schreiten kann und ich warte am Ende auf sie, und alle meine Tanten und Onkels sind da – ziemlich blöde, aber ich war tatsächlich gerührt. „

„Aber wenigstens haben wir solange gewartet, bis es keinen Unterschied mehr machte, ob wir verheiratet sind oder nicht. Wir wollten nicht auf einmal erwachsen werden.“

Traumata Nummer zwei – die Trennung von seinem langjährigen musikalischen Partners Lol. Hier gibt sich der heute ausgeprochen redselige Smith plötzlich völlig zugeknöpft: „Ich möchte keine Einzelheiten publik machen – das sind größtenteils persönliche Angelegenheiten zwischen mir. Simon und Lol. Er trank. Es wurde gefährlich für ihn und auch für die Band. Er heiratet jetzt – vielleicht rettet ihn das.“

Bleibt eigentlich nur noch das dritte und letzte einschneidende Thema für Herrn Smith – die Solo-Platte. Wie viele Gruppen-Sänger vor ihm hat auch Robert etliche musikalische Vorstellungen, die er nicht mit seiner Band, sehr wohl aber im Alleingang im heimischen 16-Spur-Studio verwirklichen kann.

Doch ob die Smith-Platte jemals erscheint, weiß noch nicht einmal der Sänger selbst. Vielleicht hat er Angst, damit das Ende von Cure vinylmäßig zu zementieren: „Es ist fertig eingespielt und gemischt – diese Qualen habe ich schon hinter mir. Aber ich weiß nicht, ob es jemals veröffentlicht wird. Ich weiß auch nicht, ob es irgend etwas wert ist und was die Leute davon halten werden. Es ist so ruhig. Allerdings ist die Platte von den Cowboy Junkies auch so, und die gefällt mir. Ich muß vielleicht noch verzweifelter werden. Wenn ich irgendwann einmal denke, ‚Das war’s, dies ist die letzte Sache, die ich machen werde‘, vielleicht ist es dann egal, vielleicht kann ich dann verschwinden, mir die Haare färben oder abschneiden.“