Exklusiv vorab: zwei Kapitel aus Mark Bowdens Buch „Worm“


In seinem neuen Buch "Worm" erzählt der investigative Journalist Mark Bowden ("Black Hawk Down") vom ersten digitalen Weltkrieg, den der Computerwurm "Conficker" auslöste. Musikexpress Online präsentiert exklusiv zwei Kapitel.

Als der „Erste digitale Weltkrieg“ ist der Kampf mit Conficker in die Geschichte eingegangen – der Computerwurm, der 2008 das Internet weltweit lahm zu legen drohte und Millionen Rechner infizierte. Bis heute ist unklar, welches Netzwerk hinter Conficker steht: eine kriminelle Vereinigung etwa, oder gar eine Regierung. Mark Bowden, der mit seinen Reportagebüchern „Killing Pablo“ und „Black Hawk Down“ seinen Ruf als einer der führenden investigativen Journalisten begründete, legt mit „Worm“ (Berlin Verlag), ein Reportagebuch vor, das den Kampf der Computerexperten gegen Conficker schildert. „Worm: Der erste digitale Weltkrieg“ erscheint am 25. Februar.

Musikexpress Online bildet exklusiv zwei Kapitel aus „Worm“ ab. Lesen Sie hier Teil 2.

KAPITEL 5: THE X-MEN

Aber wir greifen den Dingen vor …

Mitte Dezember 2008 stand der Chatkanal, ein privater Listserver – die Mailingliste –, auf dem diese X-Men des echten Lebens, Rick Wesson, Rodney Joffe, Andre DiMino und die anderen, Strategien ausheckten, Erkenntnisse austauschten, Maßnahmen koordinierten und einen kontinuierlichen Dialog führten. Alles, was auf die Mailingliste gestellt wurde, stand der gesamten Gruppe zur Verfügung, und der Großteil davon befasste sich mit den Einzelheiten der technischen Analyse, der Code-Entschlüsselung, der Sinkholing-Operation und dergleichen mehr. Die meisten Einträge sahen ungefähr so aus:

MD5: 38c3d2efdd47b1034b1 624 490ce1f3f2

>> SHA1: c6c1ed21ea15c8648a985dbabc8341cf1e3aa21e

>

>> Das ist die entpackte Version, und sie wurde am Montag von VirusTotal verschickt.

Oder so:

> <<ip, port, Host, time, getstring, referer, useragent, p0f>>

Ein fester src Port und Linux pOf; mehrere Dutzend GETs in weniger als 3 Sekunden … Das sieht nach einem möglichen Skript aus. Andere haben einen Python-urllib/2.6 User Agent festgestellt.

Hin und wieder aber nutzten die verschiedenen Mitglieder der Arbeitsgruppe die Liste auch als Rednerpult oder Sprachrohr, stellten Spekulationen an, warfen Vorschläge in die Runde, lobten, lamentierten, kritisierten, und das manchmal mit erstaunlicher Eloquenz. Geht man diese Wortwechsel und Erörterungen durch, erhält man eine detaillierte, zum Teil im Minutentakt aufgezeichnete Chronik des Abwehrkampfs gegen Conficker. Die Geschichte dieses bemerkenswerten technologischen Dramas, das man mit einigem Recht auch als den Ersten Internet-Weltkrieg bezeichnen könnte und das sich fast vollständig verborgen vor den Augen der Öffentlichkeit abspielte, entfaltet sich also in Form einer Abfolge von Botschaften und darin nicht unähnlich einem Briefroman aus der Feder Samuel Richardsons.

Je virulenter die Bedrohung durch Conficker wurde, desto mehr galt die Zugehörigkeit zu den X-Men als eine Art Statusbeweis. Hier war ein Trupp Krieger, die für das Internet, ja für die Zivilisation in den Kampf zogen. Das mag kitschig klingen, aber genau so war es. Die meisten Gründungsmitglieder kannten einander gut: Paul Vixie schrieb in einem seiner ersten Postings auf der Mailingliste: »Wann immer ich zu einer Sicherheitsliste eingeladen werde, halte ich Ausschau nach [den üblichen Verdächtigen] und ein paar anderen Stammgästen, und wenn ich sie nicht sehe, weiß ich, dass sie spätestens in ein paar Wochen dabei sein werden. Manchmal nominiere ich sie sogar selbst, um die Spannung herauszunehmen.« Wer aufgenommen werden wollte, brauchte jemanden auf der Liste, der sich für ihn verbürgte, und nicht alle, die dazugehören wollten, wurden auch aufgenommen. »Ich komme mir vor wie auf der Highschool«, schrieb Rick Wesson, aber in Wahrheit gab es auf der ganzen Welt nur ein paar Hundert Leute, die gut genug für diesen Job waren.

Gegen Ende Dezember 2008 machten die X-Men mehr als nur eine Nacht die Woche durch, immer bemüht, dem Botmaster einen Schritt voraus zu sein. An den meisten Abenden saß T. J. bis 22 Uhr in seinem Büro in einem der Zähne auf dem Microsoft-Campus in Redmond. Einmal schaute sein Boss herein, überrascht, ihn so spät noch bei der Arbeit anzutreffen.

»Was treibst du?«, fragte er.

»Conficker.«

»Alles in Ordnung?«

»Na ja, das Internet schmilzt. Wir versuchen zu verhindern, dass es komplett abschmilzt.«

Die bösen Jungs, die sich hinter Conficker und seinem unbekannten Botmaster verbargen, sollten sich als würdige Gegner erweisen. Sie waren Schurken im wahrsten Sinne des Wortes, extrem fähige Programmierer und entschlossen, ihre Kräfte für das Böse einzusetzen. In dem Weltkrieg, den sie führten, ging es um nicht weniger als um die Seele der Zukunft, die Seele des neuen globalen Geistes. Was die X-Men anging, was konnte cooler sein, als sich mitten in diesen Kampf zu stürzen und zu zeigen, was man auf dem Kasten hat?

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