Extrabreit – On the Road


Rock 'n' Roll einmal anders. Jade Kneip, Koch und Tournee-Begleiter, zog mit Extrabreit 42 Tage lang durch Deutschland. Sein Tagebuch gibt einen Einblick in das Leben hinter den Kulissen: in täglichen Frust, nächtliche Maloche, endlose Autobahnen, in Euphorie und Katzenjammer - und nicht zuletzt in die Problematik von Extrabreit, die in dieser Form vermutlich zum letzten Mal auf der Bühne standen...

Sechs Wochen zog ich mit den „Phantastischen 5“ und 15 Helfern durch deutsche Lande und sorgte für ihr leibliches Wohl. In Dautphetal schmierte ich Stullen. In Ludwigsburg kaufte ich Bier, Cola, Wein und Sekt. In Essen schälte ich Kartoffeln und putzte Möhren. In Kaunitz guckten mir die Jungs in die Pötte und in Köln machten sie sich über den gespickten Schweinebraten mit Rotkohl her. Am Kochtopf entging mir nichts, was auf einer so groß angelegten Tournee alles passieren kann.

„Deutschland im Handstreich“ – dieses Motto bewahrheitete sich leider nicht. Probleme, Krach und Schwierigkeiten allerorten. Aber auch lustige Geschichten, interessante Begegnungen, Spaß und Humor machten die Extrabreit-Tour zu einem Erlebnis.

9. Januar.

Ich fahre nach Iserlohn, wo die Crew und die Band seit einer Woche in der Parkhalle proben. Die Anlage ist mit allen Details aufgebaut. Jeder versucht, seine Arbeit in den Griff zu kriegen. Jeder Handschlag muß später sitzen. Die Stimmung ist bestens. Die Roadies wohnen während der Proben bei den fünf Band-Mitgliedern zu Hause in Hagen. Man hat sich beschnuppert, angefreundet, das Zusammenspiel klappt. Alle warten auf den Startschuß.

10. Januar.

Für die Presse ist ein Probe-Gig angesetzt. Alle sind nervös. Die Video-Projektoren arbeiten nicht einwandfrei. Auf den zwei großen Projektions-Wänden, die im Bühnenhintergrund aufgehängt sind, gibt’s Bildstörungen. Die von zwei mobilen Video-Kameras eingefangenen Bilder erscheinen nur bruchstückhaft. Günther Jäckle, 23, Crew-Manager und Licht-Mixer, rotiert am zentralen Mischpult. Nichts klappt!

Der Heidelberger, der seit sechs Jahren im Tour-Geschäft arbeitet, sich vom Humper (Aufbau-Helfer, der beim Ein- und Ausladen der Lastwagen sowie beim Aufbauen die Einzelelemente der Anlage ranschleppt) zum „jüngsten Crew-Manager Deutschlands“ hochjobbte, sieht sein Werk zerbrechen.

Zwei Wochen hat er mit Mitsu, seinem langjährigen Kumpel, an der Licht- und Video-Show gebastelt. Tag und Nacht. Aus Archiven, TV-Sendungen, Film-Clips und Video-Filmen wählten sie Sequenzen aus, die zu einem Projektions-Band für die Extrabreit-Show zusammengestellt wurden.

„Durch die kurze Vorbereitungs-Zeit ist die Sache leider nicht optimal“, gesteht Freizeit-Musiker Jäckle.

Als zu allem Überfluß dann Gitarrist Stefan „Kleinkrieg“ Klein bei der dritten Nummer „Polizisten“ die Saiten reissen, ist der Ofen ganz aus. Alle sind total genervt. Der Gig wird abgebrochen. Die Stimmung sinkt auf Null. Dennoch, wie lautet doch eine alte Theater-Weisheit: Auf eine schlechte Generalprobe folgt (meist) eine gute Premiere. 11. Januar Ich koche das erste Mal auf meinem Tournee-Herd. Gemüse-Eintopf für alle. Die Licht/Video- und Sound-Probe ist heute besser ausgefallen. Neue Video-Projektoren wurden rangeschafft. Die Stimmung steigt. Der Koch und der Tour-Manager stürzen sich ins berüchtigte Iserlohner Nachtleben.

Bobby Sommer, der Tour-Manager, blond, Wiener mit Wohnsitz Berlin, strahlt eine unerschütterliche Ruhe aus. Sammelte erste Tour-Erfahrungen in Wien, Vom Humper über sämtliche Aufstiegs-Sprossen zum Tour-Manager bei Albatros-Concert in Berlin. Spielte als Saxofonist etwa ein Jahr bei Tempo, jobbte nebenbei im Berliner Nacht-Lokal „Exil“, wo ihn die Ideal-Leute als Tour-Manager engagierten. Hat durch den Job keine Zeit mehr, mal zum Sax zu greifen. Baut auf seine eigenen Musiker-Erfahrungen: „Ich als Musiker weiß durch meine eigenen Erlebnisse ganz gut, was die Jungs von der Band brauchen und haben wollen. Das hilft ungemein.“

12. Januar Premiere: Das erste öffentliche Konzert der Extrabreit-Tour findet statt. Die Stunde der Wahrheit. Alle sind nervös. Die Atmosphäre wird ein bißchen vergiftet durch den Pleitegeier, der bereits im Raum schwebt. Die Nachrichten von den Vorverkäufen in den anderen Städten muntern nicht gerade auf. Das Genörgel über miese Kartenverkäufe soll sich in den nächsten Tagen noch verstärken. Keiner hat so noch Lust und Zeit, den gelungenen Premierenabend zu loben.

Sofort nach dem Konzert beginnt der Abbau der Anlage.

Nach knapp 2 Stunden erinnert außer dem Bühnenpodest, das in jeder Stadt angemietet und vom lokalen Veranstalter auf- und abgebaut wird, nichts mehr an Extrabreit. Mit sicheren Handgriffen, eingespieltem Team-Work und in rasender Geschwindigkeit räumen die Roadies das Feld. Licht-, Video- und Sound-Anlage werden in Einzelteile zerlegt und in entsprechende Kisten (Flight-Cases) verstaut. In genau ausgeklügelter Reihenfolge wird alles auf zwei riesige Sattelschlepper verladen. Über 130 Kisten werden verschoben. Keine Papp-Kartons, sondern truhenartige Groß-Koffer auf Rollen. Dazu Mischpulte, Kilometer von Kabel und die tonnenschweren Traversen. Harte Maloche, kein Zuckerschlecken! 14 Tonnen werden jeweils bewegt.

Die Licht-Crew ist natürlich angeschissen. Sie verladen als letzte ihre Anlage; müssen aber am nächsten Ort als erste wieder ausladen und ihre Scheinwerfer-Batterien und Spots an den Traversen hochziehen.

Nach Mitternacht besteigen wir erstmals unseren Tour-Bus, der uns in den nächsten sechs Wochen nachts durch Deutschland fahren wird. Ein großer englischer Reise-Bus mit 12 Betten plus 12 Sitzen, zwei Tischen, Toilette, Video-Gerät und einem Cassetten-Rekorder, der natürlich nicht geht.

Bei der Verteilung der Schlaf-Kojen schneide ich als Neuling schlecht ab. Ich bin zu langsam. Die guten Plätze sind weg. Mitsu hat sich die beste Nische mit dem größten Bett gesichert. Ich kann mich nur noch in die einzig freien Federn hauen – neben der Toilette, neben dem Motor. Kein Licht. Keine Vorhänge. Damit stehe ich zum Glück nicht allem da. Privatsphäre gibt’s für keinen der Mitreisenden. Der Blick ins Schlafgemach bleibt frei. Nix wichsen!

Cary, unser Busfahrer, ist eine ergraute Rock’n’Roll-Eminenz. Engländer, hartgesottener Nationalist, spricht kein Wort deutsch, grau-haarig, total fahle Gesichtsfarbe. Vom Aussehen hat er ein Alter, das er in realen Lebensjahren wohl nie erreichen wird. Seit 10 Jahren hängt er on the road. Erst fünf Jahre als Lastwagen-Fahrer, danach nur noch Rock’n‘ Roll-Busfahrer. Stones, Floyd, Zeppelin etc. Er hat sie alle über den Kontinent gekarrt. Mit Grateful Dead zog er 1978 durch Ägypten.

Cary hat den langweiligsten Job auf der Tour. Den lieben langen Tag und Abend muß er warten, bis es in die nächste Stadt weitergeht. So irrt der deutschunkundige Engländer zum Zeit-Totschlagen durch sämtliche Journale und Zeitungen, angefangen von der lokalen Tagespresse bis hin zum „Stern“. Stundenlang sitzt er am Tisch, liest und trink‘ Bier. Seine Lichter gehen erst an, wenn sie bei anderen schon längst ausgeblasen sind.

13. Januar.

Wir wachen im Tour-Bus vor der Stadthalle in Osnabrück auf. 9.30 Uhr. Die Licht-Crew muß als erste raus aus den Federn: Günther, Mitsu, Ulli, Peter, Harry und der Licht-Truck-Fahrer. Natürlich auch der Koch. Die anderen können noch zwei Stunden weiterpoofen. Nach Morgen-Toilette und Kurz-Frühstück (Kaffee, Milch, Brot) entladen sie zusammen mit einigen örtlichen Helfern den Licht-Truck. Etwa 160 Lampen müssen an den Stahl Traversen hochgezogen und allesamt verkabelt werden, bevor mit dem Aufbau der PA begonnen werden kann.

Ich mache den Einkauf fürs große Frühstück um 13 Uhr: Joghurt, Milch, Käse, Eier, Aufschnitt (Kassler, Schinken, „keine schlimme Augen-Wurst“). So bekomme ich als einziger einen Eindruck von der jeweiligen Stadt, in der wir sind. Die Crew sieht meist nur die Halle, ich immerhin Supermärkte, Schlachter und Bäcker.

Um 12 Uhr wälzt sich die Ton-Crew aus den „Komfort‘-Betten: Robert, Alu, Lame, Klaus, Günther, Eberhard und der Ton-Truck-Fahrer. Die Bühne und die Licht-Anlage stehen bereits, so daß die Ton-Crew nach dem gemeinsamen Frühstück mit dem Aufbau beginnen kann. Alle packen mit an. Pünktlich zum Sound-Check gegen 16 Uhr steht die Anlage.

Nach dem Frühstück starte ich den zweiten, diesmal größeren Einkauf. Die Liste für die tägliche Verpflegung von 15 bis 20 Mann ist lang. 20 extrabreite Mäuler sind zu stopfen: fünf Kisten Bier, vier Kisten Granini-Säfte, zwei Flaschen Sekt (Metternich), eine Flasche Bourbon (Jim Beam), zwei Flaschen Wein, drei x 24 Dosen Cola, plus fünf Kilo Fleisch, dreieinhalb Kilo Gemüse und fünf Kilo Kartoffeln (was mir von den Heidelberger Roadies, den Spätzle-Kennern, schon bald den Spitz-Namen „Potato-Jade“

Ab 14.30 Uhr beginne ich mit den Vorbereitungen fürs Kochen: Kartoffeln schälen, Gemüse putzen, Fleisch säubern. Immer schaut einer der Road’ies vorbei, um mit mir einen Plausch zu halten, einen Kaffee oder Tee j zu trinken oder sich nach der Rocknummer zu erkundigen, die I gerade aus meiner riesigen „Türken-Disco“ dröhnt.

Gegen 15.30 Uhr erschüttert ein orkanartiges Tosen und Brummen die Halle. Die Phonstärke erreicht ohne Schwierigkeiten den Maximum-Pegel, der bei einem Düsen-Jet-Start von der Turbine abgestoßen wird. Alle verlassen fluchtartig die Halle – außer Robert, dem Sound-Mixer. Er hat die dankenswerte Aufgabe, die Anlage „einzurauschen“.

Um 16 Uhr trudeln Kai, Stefan, Hunter, Rolf, Ulli und Saxofonist Gerd Posny, genannt Appel oder Roastbeef (Mau Mau), ein. Sound-Check. Erst Schlagzeug, dann Baß, danach die Gitarren und Saxofon und zum Schluß Kai am Mikro. Einige aus der Crew, die zuerst mit der Arbeit fertig sind, kreisen neugierig-vorsichtig um die Kochtöpfe. – Was gibt’s denn heute, Jade?“ Das leibliche Wohl ist wichtig. Liebe geht auch hier durch den Magen! Nicht immer ist es einfach, die verschiedenen Wünsche und Geschmäcker unter einen Hut zu bekommen. Hagener und Heidelberger, diese beiden Fraktionen bilden das Team. Kartoffeln oder Spätzle‘ Nach dem Extrabreit-Sound-Check ist die Vorgruppe an der Reihe. Sie wechselt von Ort zu Ort und wird meist vom lokalen Veranstalter aufgetrieben. Einige böse Überraschungen bleiben da nicht aus. Herne 3 („Herpes 3“), Bernward Büker Bande, Frollein Wunder, Neue Heimat, Erst weibliche Fleischergesellin seit 1945 – die Namen wechseln wie die Orte.

Punkt 19 Uhr kommt das Essen auf den Tisch. Roadies warten ungern. Außerdem ist diese Pünktlichkeit notwendig, da Robert (Sound-Mixer), Lame (Bühnen-Chef) und Eberhard (Monitor-Mixer) um 20 Uhr mit der Vorgruppe auf die Bühne müssen.

Der Rest der Gang entspannt sich. Tour-Geschichten und Erlebnisse werden zum Besten gegeben. Fachsimpelei und Experten-Tips erfüllen den Aufenthaltsraum, der manchmal nicht mehr als 12 Quadratmeter umfaßt. Mitsu, seit mehr als Fuffzeen Jahren“ dabei: „Die geilste Band, die’s momentan gibt, ist Kowalski. Das mein‘ ich echt!“ Witze werden gemacht, wer denn nun auf der nächsten Roland Kaiser-Tour dabei ist, Alu, selbst ein versierter Schlagzeuger, der sich zum Überleben als Roadie verdingen muß („Leb‘ ansonsten von der Stütze; das ist nicht zum Lachen!“), ein Pfunds-Typ mit ausgefeiltem, trockenem Humor, liefert Biografisches: „Ich hab‘ kein Bock auf Fabrik, deshalb Job’ich lieber als Roadie bei Extrabreit. Ansonsten spiel ich selbst in ’ner Band: Eisenbeißer. Wir machen so Heavy Metal. Sind gerade dabei, eine LP zu produzieren und zu verdealen.“ Das Musik-Business ist dem Motorrad-Fan und ex-Road-Chief bei den Freeway Riders nicht fremd. Es ist jedoch seine erste Tour – hinter der Bühne.

21 Uhr: Extrabreit gehen auf die Bühne. Leere Bierflaschen, angebrochene Whiskey- und Wein-Pullen zieren die verlassene Musiker-Garderobe. Gespannt verfolgen die Roadies den Konzert-Start. Jeder hat bei dem Auftritt seinen festen Platz und Aufgabenbereich. Alle fiebern sie mit den Jungs auf der Bühne.

Später, im Tour-Bus, auf dem Weg über die Autobahn zum nächsten Auftritts-Ort, wird bei Obst, Schnittchen und Schokolade ausgiebig darüber diskutiert, wie man einen noch schnelleren organisatorischen Ablauf erreichen kann. Vor drei Uhr drückt keiner ein Auge zu. Der Video-Rekorder läuft. Leider keine Pornos! „Tron“, „Der Marathon-Mann“, „Blues Brothers“ und „Krieg der Sterne“ werden die optischen Renner der Extrabreit-Tour.

14. Januar.

Warstein. Ca. 1000 Besucher. Ein Schnitt von 2000 Leuten pro Gig bei einem Eintrittspreis von 20,- DM war jedoch vor Tour-Begmn errechnet worden, um die gesamten Produktions-Kosten der Extrabreit-Tournee (inklusive örtlicher Kosten) von 1,2 Millionen Mark zu decken, 33 Konzerte waren geplant. Das wären summa summarum 66 000 zahlende Besucher gewesen. Am Ende sieht’s unterm Strich mager aus: bei nur 28 Konzerten zählt man 26 000 Besucher. Minus: 40 000 Besucher. 40 000 mal 20- DM. Die Pleite deutet sich schon früh an. Der Flop rückt näher. Es soll noch schlimmer kommen. Die Zahl von 25 000-DM Produktionskosten hängt wie ein Damokles-Schwert über unseren Köpfen.

15. Januar Kaunitz, Ostwestfalen. Nach dem Konzert ziehen Band und Crew in ein gemeinsames Hotel. Der nächste Tag ist frei. Wieder einmal bewährt sich das Tour-Prinzip, drei bis vier Tage nach dem ersten Konzert die gesamte Mannschaft zwecks Kontakt-Vertiefung einen gemeinsamen freien Tag verbringen zu lassen. Die Hotelbar (normalerweise um zwei Uhr Zapfenstreich) wird bis fünf Uhr morgens besetzt gehalten. Die Bar-Frau geht mit vollen Klamotten in den Swimming-Pool (unfreiwillig). Die Zeche: 2500 Mark.

17. Januar

Offenbach wird zum Prüfstein für die Tour, da es die erste Metropole ist. Lindenberg schaut rein und sagt „Tach“. Der kalkulierte Besucher-Schnitt von 2000 wird unterboten. Die Stimmung sackt in den Keller. Tour-Absage? Das Nord-Süd-Gefälle macht sich bemerkbar. Kein Rock’n’Roll südlich des Mains. Die Crew macht sich Sorgen ums Geld. Heftige Diskussionen nach dem Konzert

21. Januar

Bewährungen. Örtlicher Veranstalter ist der Kultur-Verein. Die 13-15jährigen Aufbauhelfer sind körperlich überfordert. Die Roadies haben dadurch Mehrbelastung zu übernehmen. Auf- und Abbau somit länger. Nach dem Konzert verspätete Abreise. Dazu noch 300 bis 400 Kilometer Landstraße und Autobahn bis zum nächsten Ort.

22. Januar Lübeck.

„Ziegelei“. Ein großer Hangar außerhalb der Marzipan-Metropole. Keine „Großraum-Disco“, wie von Tour-Manager Bobby Sommer angepriesen. Kalt, riesig, ungemütlich. Musiker-Garderobe ist voller Bauschutt. Somit gibt’s nur einen gemeinsamen Raum von 15 Quadratmeter, wo sich Koch, Roadies, Musiker, Manager, Freunde, eingeladene Rundfunk-Redakteure, zwei Kinder, ein Hund – also fast 30 Leute – über die Füße latschen.

Bassist Hunter erscheint leicht verziert mit einem Stirnpflaster. Ist am Abend zuvor extrabreit in ein gerade 1,30 Meter tiefes Planschbecken gesprungen. Neger-Köpper. Der Mann aus dem Meer. Trostpflaster: 1600 Besucher finden sich ein, 23. Januar Bremerhaven, Karin erscheint. Klein, blond, niedlich. Kokettiert mit dem Aussehen einer 16jähngen, ist aber 26 (mit achtjährigem Kind). Keiner glaubt’s. Alle stieren sich die Augen aus dem Kopf.

„ooh baby, Im hot just like anoven… sexual heahng… I need sexual bealmg“. 12 Tage Tour-Leben without sex.

Kann, als örtliche Aushilfe engagiert, geht mir beim Kochen zur Hand. Es wird einstimmig beschlossen, daß sie auch in Emden, Hamburg und Hannover dabei sein soll.

26. Januar

Emden. Die Kreuzfahrt hält an. Mit Hilfe von Albatros Concert durchkämmen wir jeden Winkel in diesem unserem Lande. Toll. Kann wieder dabei. Dann leider auf die Reichs-Autobahn gen Berlin. Bei Ausreise aus der DDR gibt’s Ärger. Schlechtes Klima durch die Honey-Attentats-Story im „Stern“. Sind bereits zweimal geweckt worden, müssen jetzt aber zusätzlich in die Klamotten rein, um vorschriftsmäßig für die Passkontrolle der Vopos in den Sitzen zu hängen. Das Klima ist absolut gereizt, da wir seit acht Tagen ohne Pause Tour-Programm machen.

27. Januar

Berlin. Deutschland-Halle. Das Essenkochen muß mal wieder abgebrochen werden, da in der Halle nicht erlaubt. Steaks werden rangekarrt. Eine wichtige Entscheidung fällt: Die Tour geht auf alle Fälle weiter. Erleichterung bei allen. Das Geld ist sicher.

28. Januar

Hamburg. In der Messehalle findet das best-besuchteste Konzert der gesamten Tour statt (ca. 3000 Leute). Die gute Stimmung wird jedoch durch einen Unfall gedämpft. Ulli Klose hat nachmittags beim Voltmessen einen Kurzschluß im Gerät. 380 Volt jagen ihm durch die Arme. Seine Hände sind binnen Sekunden kohlrabenschwarz. Verbrennungen ersten Grades. Sofort ms Krankenhaus. Abends gibt er aber mit verbundenen Händen schon wieder Spot-Kommandos.

1. Februar

Donauwörth. Siggi kommt für Ulli Klose. Noch ein Heidelberger. Es ist der erste Gig im Süden. Totale Pleite. 380 Besucher. Totale Depression bei der Band. In der Disco offenbaren die fünf Musiker später: „Morgen in Fürth ist der letzte Tag!“ Die Stimmung im Bus ist danach auf dem Null punkt. Keiner weiß, was richtig los ist.

2. Februar

Fürth. Der spontane Entschluß der Band wird zurückgezogen. Wir ziehen weiter! Nervenkitzel und Diskussion über die Tour-Pleite halten an. Gespräch mit Manager Jörg „Jah“ Hoppe: „Es sind Entscheidungen gefallen, die das Weitermachen sichern. Die Band verzichtet auf einen Teü der Gage. Wir wollen nur noch so viel Geld, daß wir unsere Unkosten decken können. Extrabreit hat Herrn Konzack und Albatros Concert quasi einen sechsstelligen Betrag geschenkt. „

Weitere Konzerte im Süden werden abgesagt: Hof, Regensburg, Passau. Wir haben wieder zwei Tage frei, die die meisten m München verbringen. Schlafen. Ruhe. Entspannen. Band und Crew sind leider in zwei weit voneinander entfernten Hotels untergebracht, was die Stimmung nicht gerade fördert. Einige Nachtschwärmer stürzen sich in die Münchner Disco-Szene. Kai Havaii und einige stark angeschossene Zombie-Trinker machen die große Sause.

10. Februar

Wien. Ankunft spätnachmittags. Wiener Nachtleben bis 4 Uhr morgens im „U 4“. Wunderschöne Wiener Madl’n!

11. Februar

Gutes Konzert. Kai Havaii ist übers Wiener Publikum erfreut. Endlich Ältere im Konzert – die Eltern derjenigen, die sonst zu Extrabreit kommen. Die Crew ist sauer auf den Koch. Da das Kochen in der Mini-Garderobe (12 m für alle) nicht möglich ist, drücke ich jedem 200 Schilling in die Hand fürs Essen im Restaurant. Verpasse es aber, ihnen ein gutes Lokal zu empfehlen. Die Feinschmecker sind genervt. Anschließend ein zweitägiger Abstecher nach Zürich. Tolles Konzert.

19. Februar

Dautphetal. Hinterland-Halle. Der Ort hält, was der Name der Halle verspricht. Eine Mehrzweck-Halle, die wie ein Betonklotz zwischen Berge und Wälder gestellt ist. Normalerweise für Sportveranstaltungen. Einige Roadies bolzen gleich aufs Handballtor.

Gelassen schauen alle dem provinziellen Mißerfolg entgegen. Mehr als 600 Fans finden nicht den Weg zu diesem einsamen Rock-Tempel in den weiten Schnee-Wäldern Hessens.

20. Februar

Köln. Nur noch zwei Konzerte. Cary hat die Nachricht erhalten, daß er sofort im Anschluß die Lindenberg-Tour fährt. Nochmals 30 Tage Deutschland nonstop. Die Garderobe ist eine Tagesreise von der Bühne entfernt, dafür gibt’s aber eine eingerichtete Küche. Tages-Menü: gespickter Schweinebraten mit Rotkohl und Kartoffelpüree.

Nachdem ich bereits in Ludwigsburg die Jungs mit einem im Restaurant zubereiteten Essen verblüfft habe, kündige ich für den letzten Tag in München einen schwarzen Koch an. Mitsu:

„Jade, da kannst sicher sein, daß keiner ißt!“

Die Sporthalle mit 7000 Plätzen wird niemals voll. Viel zu groß! Manager „Jah“ Hoppe macht sich Gedanken über die Ursachen für den miesen Tour-Verlauf: „Die Tour ist ein Flop! Mehrere Dinge sind dafür verantwortlich.

1. Die glorreiche Idee, nicht im Oktober, wie von uns geplant, die Tour zu machen, sondern zu warten bis Februar. Das haben wir unserem Ober-Chef bei der Metronome zu verdanken. Er wollte so quasi den Plattenverkauf über Weihnachten hinaus konservieren.

2. Im Oktober waren wir mit der neuen LP noch auf Platz 6 m den Charts. Im Februar sind wir absolut raus aus den Hitparaden und damit nicht mehr präsent.

3. Damals hätten wir die Tour mit „Mama concerts“ gemacht. Die wären ganz anders an die Sache rangegangen: 12 bis 15 Konzerte in anderen Orten als auf dieser Tour. Wir haben gezögert, weil sie uns zu wenig Geld boten.

4. Albatros Concerts haben sich zuviel zugetraut. Sie haben ein sehr chaotisches Booking gemacht.

5. Dazu kommt die allgemeine Tour-Situation in Deutschland. Konzerte sind wegen der angespannten Wirtschaftslage allgemein schlecht besucht. Nichts und Ideal sind abgesagt, ebenso Manus Müller-Westernhagen.

6. Die optische Umsetzung mit den Videos ist leider auch nicht so ausgeführt worden, wie ich’s mir ursprünglich vorgestellt habe.“

Welche Konsequenzen sind zu erwarten? Jörg Hoppe: „Ich wollte die Tour schon im November abblasen. Da hatten wir schon tierisch Stress in der Band. Die Tour ist praktisch eine Abschluß-Geschichte zu den ersten drei Extrabreit-Platten. Die musikalische Pubertät ist abgeschlossen. Die Schule ist abgebrannt. Eine längere Pause ist angesagt. Wir werden uns erst dann wieder melden, wenn wir meinen, daß es wichtig ist.“

21. Februar

München. Letztes Konzert. Alle sind gut drauf; doch die Aussichten der Roadies auf einen neuen Job sind schlecht. Eberhard: „Der Ideal-Flop beeinflußt uns natürlich alle. Der März bleibt dadurch frei. Erst im April geht’s weiter mit Culture Club und Ludwig Hirsch. Da die Extra breit-Tour so mies lief, gibt’s diesmal leider auch keinen Bonus.“

Nena steigt bei dem Song ‚Komm‘ nach Hagen, werd‘ Popstar“ auf die Bühne.

Nach dem Konzert ist meine neue „Türken-Disco“ (1000 Mark) weg. Geklaut. Scheiße!!!

Im Arabella-Hotel treffen sich fast alle zum Abschluß-Drink. Die Trucks sind schon auf dem Weg nach Köln und Kaunitz. Einige reden von Urlaubs-Plänen. Günther fliegt zwei Tage später mit Freundin auf die Malediven. Die meisten bleiben zuhause. Stefan „Kleinkrieg“ Klein will ins Studio („für eine Solo-Platte“), dann ab in die Sonne.

Um sechs Uhr morgens falle ich ins große, weiße Hotelbett. Kein Motor-Brummen weit und extrabreit!