Faith No More: Schmierfunker


Nichts ist ihnen heilig, niemand vor ihrer Häme sicher. Doch die Spottdrosseln aus San Francisco können noch mehr. ME/Sounds-Redakteur Andreas Kraatz jedenfalls gewann den Glauben wieder, nachdem er ihre respektlosen Stil-Cocktails aus Funk und Metal, Rap und Rock geschlürft hatte.

der Schuß ging glatt nach hinten los. Anthony Kiedis, Sänger der Funk-Chaoten Red Hot Chili Peppers, knallte seinem Faith No More-Kollegen eine verbale Breitseite vor den Bug, indem er ihn in aller Öffentlichkeit des Plagiats bezichtigte. O-Ton Kiedis: „Unser Drummer hat mir in die Hand versprochen, Mike Patton zu kidnappen, ihm die Haare zu scheren und ein Bein abzuschneiden, damit er endlich mit dem Klauen aufhört.“

Die Replik ließ nicht lange auf sich warten. „Der hat doch ein Rad ab“.

ereiferte sich FNM-Keyboarder Roddy Bottum. „Wir haben absolut nichts mit den Peppers gemein. Okay, wenn’s um lange Haare und schräge T-Shirts geht, sehe ich noch Parallelen. Doch rein musikalisch liegen Welten zwischen den beiden Bands.“

Nicht nur unter der musikalischen Lupe betrachtet, sind die fünf Komödianten aus San Francisco ein Fall für sich. Seit anno 1982 hangelten sich die „Männer ohne Vertrauen“ von einer bescheidenen Anerkennung zur nächsten, vornehmlich auf winzigen Bühnen des amerikanischen Westens. Bis ihnen 1990. mit dem dritten Album THE REAL THING und der Single „Epic“, aus heiterem Himmel der Durchbruch in die US-Charts gelang.

Jubel, Trubel. Heiterkeit? Nichts da! Die Band selbst kann’s immer noch nicht fassen, schließlich hat man acht lange Jahre am Hungertuch genagt und sogar gravierende Kurskorrekturen hinter sich gebracht.

„Wir kamen irgendwann mal an den Punkt, wo wir wirklich jedes Vertrauen in unsere damalige Musik verloren und deshalb die Band in Faith No More umtauften. Anfangs hießen wir Faith No Man und bevorzugten total durcharrangierte Musik. Wir führten uns auf der Bühne auf wie Lehrer mit pädagogischem Anspruch, die das Publikum dazu animieren wollen, sich mit eigenen Beiträgen an der Show zu beteiligen. Das war natürlich ein Schuß in den Ofen, und so verlegten wir uns auch mehr und mehr auf unstrukturierte Musik.“

„Unstrukturierte Musik“ klingt natürlich äußerst cool und hat zudem den Vorteil, sich alle stilistischen Hintertürchen offenzuhalten. Während auf ihrem 83er Debüt WE CARE A LOT der pädagogische Paukerton dominierte, während man auf dem zweiten Album INTRODUCE YOURSELF auf die Underground-Tube drückte, bahnte sich 1988 die Wende an: Der bisherige Sänger Chuck Mosely mußte gehen und seinen Platz für Mike Patton räumen. Endlich hatte die Band ein Organ, das wie die Faust aufs Ohr zu ihren gepfefferten Rap-, Funk-, Trash-und Metal-Persiflagen paßte und den passionierten Stil-Banditen Tür und Tor öffnete. „Mike war ein Glücksgriff. Er hat erheblichen Anteil an diesem unerwarteten Interesse, das uns seit Monaten entgegenschlägt“, räumt Roddy, der klassisch vorgebildete Mann am Piano, denn auch bereitwillig ein.

„Wir ziehen musikalisch zwar uuch weiterhin unseren Stiefel durch, nur Mike hat als Vortänzer das seltene Talent, die Songs viel stärker auf den Punkt zu bringen.“

Wie weiland Rumpelstilzchen, kribbelig bis zum Anschlag, hüpft der 22jährige Kalifornier in seinen selbstbeschnittenen Shorts vor den Auftritten in der Gegend herum. Derweil mimt Gitarrist Jim Martin den Coolen, Roddy nimmt’s eher gelassen, Bassist Bill Gould schüttet Gerstensaft in die durch monatelanges Touren geschrumpfte Wampe, und Drummer Mike Bordin hält eisern die Stellung. Ein schriller Haufen, der so gar nicht in gängige Band-Klischees passen will. Hier darf jeder tun und lassen, wie’s ihm beliebt.

Allen voran Chef-Unterhalter Mike Patton, der sich während des letzten Deutschland-Aufenthalts gleich mit der hiesigen Kultur vertraut macht und sie dann von der Bühne herab zum Besten gibt. Ob ein Werbeslogan wie „Haribo macht Kinder froh und Erwachsene ebenso“ oder eine Hommage an den „echten Heino“ – stets flechten sie schräge Schnappschüsse in ihre Songs ein. „Ich interessiere mich ausschließlich für Personen, mögen sie auch noch so bedeppert sein. Wir sind fünf Individuen in einer Band, mit fünf verschiedenen Geschmäckern“, konstatiert Roddy. „Wirsitzen nicht im Studio und grübeln, ob wir nun noch ein Häppchen Rap, Rock oder Metal in einen Song quetschen sollten, damit wir’s möglichst vielen Hörern rein würgen können. Entweder es kommt aus dem Bauch und stimmt, oder nicht – dann wird’s gleich wieder gelöscht.“

„Playing from the heart“ nennt Roddy das – und zwar mit dem Faktor „shock value“. der’s ihnen erlaubt, die Erwartungen der Fans zu unterwandern. Kraut und Rüben sind nichts dagegen. Der ehemalige Fahrrad-Kurier und verhinderte Filmemacher Roddy, der Elektronik-Experte Jim, der frühere Freizeit-Bäcker Mike, der resignierte Plattenverkäufer Mike und der Gelegenheits-Drogist Bill Gould blasen zu noisigen Attacken auf die Bastille des chartsfrommen Rock. Gemäß dem musikalischen Credo „From Out Of Nowhere“.

Und selbst wenn das Publikum vor der Bühne friedlich schnarchen würde, selig von den Red Hot Chili Peppers träumte und sie keines Blickes würdigte: Faith No More brächten sie mit ihren Aha-Effekten im Nu wieder auf die Beine …

Doch obwohl ihr Kurs an der Metal-Börse ständig steigt, selbst der bisweilen elitäre „Rolling Stone“ sie unter der Rubrik Absurdes Musik-Theater‘ in sein Herz geschlossen hat und eine Grammy Notierung als „Beste Metal Band“ des Jahres ihnen den Sprung unter die Creme des amerikanischen Rock-Establishment ebnete, kann Roddy, der Mundfaule, die penetrante Ignoranz der heimischen Radio-Stationen noch immer nicht überwinden. „Wir haben uns in all den Jahren wirklich den Arsch abgespielt und stießen bei denen trotzdem stets auf taube Ohren. Erst der Song ‚Epic‘ und speziell das Video dazu haben die Knoten platzen lassen. Als MTV uns auf die sogenannte Heavy Rotation-Liste setzte und die Zuschauer in ganz Amerika damit quasi Tag für Tag bombardierte, wurden auch die Rundfunk-Stationen allmählich hellhörig. Anfangs haben sie sich zwar noch gesträubt, weil ihnen diese Art chaotischer Musik zu schräg war, doch dann riefen immer mehr Hörer bei ihren Sendern an und fragten vorwurfsvoll, warum sie gerade den Song ‚Epic‘ und die Band Faith No More so sträflich ignorierten. Erst dieser, sagen wir mal, Druck von der Straße hat die ansonsten so sterilen Radio-Stationen dazu gebracht, einer Außenseiter-Band wie uns auch mal eine Chance zu geben.“

Inzwischen hat sich Roddy jedoch wieder erholt und freut sich bereits auf ihre Rückkehr nach Amerika, wo sie dann im Vorprogramm von AC/DC dem Ende der über einjährigen Tour entgegenfiebern.