Freigespielt im Garten Eden


Wie geht's dir eigentlich? ' Bei den Aufnahmen zum ver- flixten dritten Album im spanischen Studio-Exil rückten die Sportfreunde Stiller weiter zusammen. text*fotosoliver

Als der liebe Gott einmal nicht aufpasste, fiel ein Stück Paradies aus dem Himmel, klatschte direkt auf die Erde. Nur ein Fleck von ein paar hundert Quadratmetern zwar. Doch Paradies ist Paradies. Der Fleck landete in Spanien, drei oder vier recht eigenwillig gestaltete „Kunst am Kreisverkehr-Skulpturen und ein paar Verwirrungen und Verirrungen durchs so staubige wie hoffnungslos verknotete Pistennetz des Hinterlands entfernt von Javea. Ein heute zumindest noch semi-malerischer Badeort ziemlich genau in der Mitte zwischen Alicante und Valencia rund um eine formvollendet geschwungene Bucht an der Costa Bianca, der in der Sommersaison seine Einwohnerzahl über Nacht zu verzigfachen vermag. Den Touristen, den einheimischen wie den sommersprossig-rotgescheckten Briten und ihren nicht ganz so bleichen kontinentalen Hassfreunden aus Deutschland, sei Dank. Ihnen aber bleiben Strand, Sonne und die nächtens im gedämpften Licht der Uferpromenaden-Bars mysteriös glitzernden Kondenswassertröpfchen auf den verchromten Schankhähnen, aus denen bis zur sicheren Schädelpein am Tag danach das bis an die Frostgrenze herunter gekühlte Bier läuft, allemal Paradies genug.

Nicht Uwe Hoffmann, pardon, Uwe“.Don“ Hoffmann. Der Berliner Produzent, der sich vor allem durch seine Arbeit mit den Ärzten seit das ist nicht die ganze Wahrheit … von 1988 ist er der Leib- und Magenproduzent der „besten Band der Welt“] einen Namen und ein paar Peseten gemacht hat, krallte sich das echte Stück Eden draußen in der uferlosen Peripherie. Setzte darin ein kreisrundes, farbenleuchtendes Mosaik an den Fuß einer den Garten krönenden Palme und einen nicht zu unbescheidenen Swimming-Pool mit regional typischem Kachelzierrand direkt vor die Studiotür. Dann gab er zwei freundlichen Hunden mit drei Augen sowie vier eher kontaktschwachen Katzen, von denen drei ausgiebig schielen, Asyl auf seinem Anwesen, auf das zu scheinen sich die Sonne immer noch ein wenig Extra-Mühe gibt. „Aber wenn es regnet, steht das Wasser bis hier!“ Der zum Gaumenverwöhnen ohrenscheinlich in Berlinl geborene Studiound Hauskoch Carlos hält seine Hand auf Kniehöhe. Biblisch ist also auch der Niederschlag in diesem Paradies. Doch wie oft fällt der schon hier unten, auf geographischer Augenhöhe mit Ibiza? Der Kalender klagt „Winter“, doch das Thermometer spottet: „23 Grad Celsius“.

Wunder, dass es die Sportfreunde Stiller Rüdiger Linhof (Rüde], Peter Brugger [ja, Peter halt] und Florian Weber IFlo) aus München immer wieder in Hoffmanns „Casa Pepe“ zieht. Bekanntermaflen sonnig sind ihre Gemüter, sonnig möge also auch die Welt sein, in die sie schauen, wenn sie nach Stunden der Disziplin und der so arg unspontanen Arbeit am springfidelen Wesen zuweilen leicht verbogen aus der GÖTZ Studiodämmerung ans Licht stolpern. Und da gibt es ja auch noch Carlos‘ Kochkünste. „Wenn wir zur Abwechslung doch mal im Restaurant essen waren, haben wir die Karte studiert und gesagt: „Das liest sich ja alles ganz lecker, aber Carlos macht das bestimmt besser! ‚, erzählt Peter, und Flo berichtet mit seinem schiefen Lausbubengrinsen von einer halbgaren Diätwoche, an der die auf ihre sportliche Linie bedachten Musiker letztlich scheitern mussten. Zu lecker. Alles viel zu lecker. Selbst ihren heiß geliebten Schweinsbraten zauberte Carlos den drei eingefleischten Bajuwaren auf den Tisch.

Vor allem ist es aber Don Hoff mann selbst, der die Sportfreunde Stiller beim dritten Album zum dritten Mal in den Süden der iberischen Halbinsel lockte. Seine feste Hand, sein unbestechliches Gefühl, das ihn aus schmissigen Akkorden „Powerchords“ formen und Arrangements aus- und aufputzen lässt hin zum einzig Aufrechten und unverstellt Schönen. Nicht zu vergessen natürlich auch sein so großzügiges wie rundum gutmütiges Wesen. Eure zottelige Graumeliertheit – ein Fels wie ein Sitzsack wie ein Lieblingsonkelvon einem Mann. Mit sensationellen „CF Valencia“-Puschen unten dran!

Als die Sportfreunde an diesem Wochenende Ende November Journalisten zur Besichtigung des kleinen Garten Eden und des Don, zu Interviews sowie zur Hörprobe erster Stücke ihrer neuen Platte laden (die den vielmehr liebevollen als klamaukesken Arbeitstitel „Burli“ trägt, bairisch für „Büblein „; sportfreundlicher Sprachgebrauch: „unser Burli, ist das Werk fast vollbracht. Nur noch etwas Spucke, Kamm und Schuhwichse. Peter muss am nächsten, dem letzten Morgen der knapp acht Studiowochen im Exil, noch ein Stück einsingen. Und ein Pulk spanischer Freunde darf final den Chor für ein Stück mit dem Titel „Ich Roque!“ leine Hommage an FC-Bayern-Stürmerstar Roque Santa Cruzl schmettern. Weitere IStamm-lGäste sind Florians Bruder Jörg Weber und Rainer Seil, die wieder für die Sportfreunde in ihre Trompeten bliesen. Darüber hinaus fehlt dem Album jetzt nur noch ein letztes, im Sportfreunde-Schaffen ohnehin rares Gitarrensolo, das hoffentlich schneller im Kasten ist als Rüdes heute schon legendäres Bassfingersausen ein paar Tage zuvor, für das er sage und schreibe 40 Takes benötigte Idas erzählt er selbst, bevor es die anderen tun, und grinst breit; und dann noch ein bisschen breiter}. Wenn dieses Solo dann auch noch im Kasten ist, muss Uwe Hoffmann noch den Großteil der insgesamt 17 Songs mischen, die es wohl nicht alle aufs Album schaffen werden. Dank MP3-Austausch via Internet müssen die dann heimgekehrten Sportfreunde beim Endmix ihrem Produzenten nicht blind beziehungsweise taub vertrauen. Auch wenn das wohl kein nennenswerter Grund zur Sorge wäre.

NOCh ist er alSO nicht rundum ausgeh fein, der Bub. Dennoch dürfen ihn jetzt schon die aus der zunehmend winterlichen Heimat eingeflogenen Tanten und Onkel der Journaille und der Plattenfirma verbal tätscheln.-„Ja mei, das ist aber ein feiner Burli! So gesund, klug und lebensfroh. Bei aller Wildheit doch immer höflich und vor altem: grundgut und ehrlich. „Ganz die Väter also. Die drei würden ja fleißig mitstrahlen und umgehend fröhlich feixen, wie sie es sonst auch tun auf allen Bühnen und im Musikfernsehen. Wenn sie denn schon den nötigen Abstand zur getanen Arbeit hätten, um genaulerl zu erkennen, was ihnen da gelungen ist. Nein, nicht „Quantensprung“ oder Kurskorrektur – wozu auch? -, also keine Platte, mit der die „Sportis“ ihre ganz und gar vernarrten Freunde im gesamten deutschen Sprachraum etwas anderes als begeistern könnten. Aber dennoch ist“.der Burli“ etwas mehr als nur das nächste Album. Es stellt für die Sportfreunde Stiller einen wichtigen Schritt dar klein für die Menschheit, groß für dieses Trio, wie sie selbst so oder so ähnlich in einem neuen Stück singen. Weil sie sich ihren „Burli ’nämlich erkämpfen mussten.

Alles begann im Anfangsstadium des Albums mit Missverständnissen auf beiden Seiten – dort die Plattenfirma, die nach dem Charts-Einstieg des Vorgängeralbums die gute seite im Jahr 2002 auf Platz sechs von den Sportfreunden krisengebeutelt und deshalb wohl schon lange nicht mehr gelassen Großes, gar Überlebensgroßes erwartete. Auf der anderen die Sportfreunde selbst, die unter enormem Zeit- und Erwartungsdruck den Kardinalfehler begingen, Motor Music mit einem frühen Demo ihrer neuen Songs davon überzeugen zu wollen, dass sie sich auch auf dem dritten Album von ihrer besten Seite zeigen werden. Dass die Reaktionen aus Berlin dann eher verschnupft ausfielen, ging an die Substanz. „Wir nehmen uns total zu Herzen, was Außenstehende sagen“, versichert Rüde. „Warum vertrauen sie uns nicht einfach mehr?“, fragte sich Peter, nach zwei recht erfolgreichen Alben für den Major.

Heute, mit dem fast fertigen „Burli“ im Kasten, haben die Sportfreunde den Denkfehler längst erkannt: „Wir haben auf den Demos eben schon gehört, wie die Songs am Ende klingen werden; wirwussten, wiesich das alles anhören muss“.

erklärt Flo. Wie aber hätten das die Verantwortlichen der Plattenfirma erkennen können? Sie hörten nur ziemlich rauhe, noch wenig kompakte Entwürfe von dem, was im Frühling 2004 quer durch die Republik in Konzerthallen und Partykellern mitgegrölt werden wird. Soll heißen: Natürlich wird am Ende alles gut.

Man hört den neuen Stücken an, dass Peter, Rüdiger und Florian durch diese Erfahrung weiter gewachsen sind. „Solche Kritik wirkt nicht zuletzt auch motivierend auf uns“, sagt Flo. Die drei rückten in der „Casa Pepe“ noch enger zusammen und spielten sich in knapp zwei Monaten frei vom Druck. „Vielleicht hätten wir uns andernfalls auch früherzufriedengegeben, so waren wir aber besonders ehrgeizig“, betont Peter. „In der Zeit, in der wir hier waren, gab es dann auch keinen Platz mehr für Eitelkeiten. „Vielmehr empfand es Peter als Gewinn, dass Rüde und Flo (Peter: „Der hat so viel Feuer im Arsch und nervt zwar manchmal, doch auf der anderen Seite reißt er mich immer wieder mit raus. ‚] mit immer mehr eigenen Texten und Ideen in die Platte drängten. Das Ergebnis – obwohl in der Form nicht weit entfernt vom melodiösen, geradlinigen, schlichtweg Spaß bringenden Sportfreunde-Gitarrenpoprock – berichtet von all dem. Es spricht für sich, vom Prioritätensetzen. Wo es beim“.Burli“ kracht, kracht es gewaltiger, zuweilen viel näher am Punkrock als noch auf die gute seite. Hier wurde die pure Freude, mit der die Sportfreunde live zu Werke gehen, mit unbedingtem Willen auf Band gebannt. Und von Uwe Hoffmann druckvoller und breiter als beim letzten Mal in Szene gesetzt.

Aber es gibt auch ein paar Lieder mehr, die die Band von ihrer nachdenklichen Seite zeigen.

„Das liegt daran, dass man selbst ja sieht, dass es zum Beispiel manchen Freunden nicht mehr so gut geht“, sagt Peter.“.Dass sie vielleicht keine Arbeit haben, jeder macht sich Zukunftsängste.“ Und weil diese Kapelle das „-freunde“ in ihrem Namen nicht von ungefähr trägt und die drei zudem unverbesserliche Optimisten sind, haben sie stolze, aufrechte Mutmacher-Songs geschrieben. Allen voran das geradezu klassisch mit Synthistreichern und Piano gebaute, wirklich erhabene „Wie geht’s dir eigentlich?“, auf das nach ausführlicher Diskussion-Ballade hin oder her-auch die Wahl als erste „Burli „-Single fiel. Der Song bringt vielleicht so gut wie bislang keiner der Sportfreunde Stiller auf den Punkt, worum es ihnen im Kern geht. Wenns denn bitteschön eine Botschaft sein darf. Eine solche überbringt das Münchner Trio eben doch, allen Schmährufen Ihm, auch denen dieses Autors in seineroiE gute SEiTE-Kritik im musikexpress im April 2002] zum Trotz, die sich ein so offensiv und ohne Libero spielendes Team wie die Sportfreunde Stiller vielleicht ewig gefallen lassen muss. Da singt der Peter über die melodiöse Pracht mit seiner jungenhaften, aber unbeugsamen Stimme von Freundschaft, Sich-Kümmern, Nächstenliebe. Ohne KUschee und ironische Brüche. Nicht ein Augenzwinkern. Es klingt echt. Es klingt ehrlich. Weil sich da einer traut, über alle Metaphern, Komplikationen und Ausflüchte hinweg die Dinge beim Namen zu nennen. Jeder soll es hören, jeder verstehen.

„Es könnte Trost geben, den es gilt zu sehen, zu erkennen, zu buchstabieren „, sangen Tomte im Frühling letzten Jahres. „Burli“ tut genau das immer wieder. In Durchhalteparolen für den Winter und klassischen Selbstbestimmungs-Hymnen stehen Hoffnung und Trost immer ganz vorne. Und kamen nicht auch Blumfeld nach all den verschachtelten Jahren an diesem Punkt an: Die Dinge, die zählen, ganz klar vernehmlich beim Namen zu nennen? Vielleicht nur noch einen Handschlag, ein Schulterklopfen entfernt von den hinter Festivalbühnen gerne auch mal grußlos ignorierten Sportfreunden?

Auch wenn dieser Schulterschluss mit einschlägigen Kapellen aus dem Norden ausbleiben wird (dafür verbinden sie mit anderen Bands innige Verhältnisse], zieht es die wackeren Sportfreunde hinaus ins Land, den Menschen ihren“.Burli“ zu zeigen. Da wartet die große, böse Promo-Maschine. Ein übles Ding. Es frisst ganz viel Zeit und schenkt den Protagonisten meist nur Langeweile und schlechte Luft. Allerdings fällt einem kaum eine andere deutsche (ernstzunehmend musizierende] Band ein, die mit solchem Frohsinn unsinnigste Fernsehinterviews bestreitet oder ihre Stunden in engen Radiostudios absitzt. Verweigerung scheint ihre Sache nicht zu sein – die Sportfreunde Stiller lassen schon viel mit sich machen, um ihre Musik unter die Leute zu bekommen. „Wir wollen viel machen! „, verbessert Rüdiger nachdrücklich, räumt allerdings ein, über so manches TV-Format könne man natürlich streiten. Das tun die drei dann auch. Zuletzt darüber, dass, wie Rüde meint, sich die Band vielleicht doch einmal bemühen sollte, in Interviews besser auf den Punkt zu kommen. „Ja, das sagst ausgerechnet du!“, blafft Flo. Und auch Peter muss lachen. War es nicht vor allem Rüdiger selbst, der eben noch vor der MTV-Kamera in einem Nebenraum der „Casa Pepe feistesten Blödsinn von sich gab, bis sich seine zwei Mitstreiter samt TV-Team und Motor-Promoter biegen mussten vor Lachen? „Ganzgroß!‘ war das, wie Peter meint. „Ja, aber nur, weil ihr wieder angefangen hobt!“

Wenn es da einen Ort gibt, der für die Kaspereien der drei noch besser geeignet ist als ein Fernsehstudio, dann ist es die Livebühne. Heiß sind sie auf die Konzerte, sagen sie: der Gitarrist wie der Sänger wie der Bassist wie der Fuß-Organist wie der Casio-Keyboarder und der Telefonist – also der Peter, der Florian und der Rüdiger eben. Zum Abschluss der regulären Tour Ende Mai (vor einem sicherlich ereignisreichen Festivalsommer] wollen sie dann zum ersten Mal auch die größte Konzert-Bastille ihrer Heimatstadt stürmen, die Münchener Olympiahalle. In der Reggae-beschallten Bar unten am spanischen Strand verliert sich Rüdes Blick in Erinnerung an ein „The Who„-Plakat. das einst einen Auftritt der britischen Gitarrenwuchtler eben in diesem Mehrzwecktempel ankündigte. .Das ist eine Band, die total wichtig ist für mich, vielleicht die wichtigste. Und jetzt spielen wir auch dort …“ Sagt’s, guckt versonnen und geht dann, um sich unten ans Meer unter den Sternenhimmel zu setzen. Was Peter nicht lange Ruhe lässt. Er zieht sich mitten im Gespräch die Trainingsjacke über, sagt: „Ich schau mal nach dem Rüde“ und läuft durch die Tür zu dem im Sand hockenden Schatten. Nach ein paar Minuten ist wieder zurück und lächelt. Allesokay mit Rüdiger. Es war wohl nur sanfte Melancholie, die den Freund am vorletzten Abend in Javea ans Wasser zog. Doch kümmern muss man sich. Immer. Und nicht nur darüber singen.