Geniales Großmaul


Bescheidenheit findet er beschissen.Einer wie er,glaubt Drum’n Bass-Boss Goldie, sollte sein Licht nicht unter den Scheffel stellen – und haut beim Besuch von ME/Sounds auf den Putz, daß die Schwarte kracht Du willst wissen, was Darkness ist“, zischt mir der Mann gegenüber ins Gesicht, während seine Stirnfalte eine rekordverdächtige Tiefe erreicht,“ich hau 1 dir auf die Fresse, das ist Darkness.“ Ich gebe zu, so genau wollte ich’s dann doch nicht wissen. Daß Goldie nicht Goldie genannt wird, weil er so ein goldiges Kerlchen ist, war mir durchaus bewußt. Doch daß ich auf einen menschlichen Pitbull treffen würde, der sein Grundwissen über soziales Verhalten im Zuge seiner Karriere als Popstar verdrängt hat, mußte ich erst am eigenen Leibe erfahren.

Aber natürlich war es allein meine Schuld. Denn ich hatte den schlimmen Fehler begangen, ihn, den über allen Genre-Begriffe erhabenen Groß-Künstler, nach Drum’N’Bass zu befragen. Schlimmer noch, sogar nach einer Unterart dieser Musik, der bösen, dunklen Klangwelt des sogenannten Darkstep nämlich. Für Goldie sind solche kurzlebigen Moden nicht mehr als der Schmutz unter den Schuhsohlen: „Das habe ich schon vor drei Jahren gemacht – als Witz , preßt er durch die vollen Lippen. Vor drei Jahren? Das ist hier bei Goldie wie eine Zeitreise zurück zu den Beatles. Schließlich befinden wir uns in der Welt des Drum ‚N‘ Bass, im schnellsten Sternennebel der Musikgeschichte, im Epizentrum der Clubszene. Morgen ist heute, gestern gehört der Steinzeit an, und das 21. Jahrhundert ist längst omnipräsent. Manches zu wissen und viel zu besitzen ist hier von zweifelhaftem Wert, alle Maxis zu kaufen, höchstens ein Zeichen von gesteigertem Interesse. Wer wirklich mitreden will, muß jeden Tag die Clubs besuchen, in denen die frisch gepreßten Dubplates laufen, muß sie in Gold aufgewogen nach Hause tragen. Wer diese Denke für arrogant hält, sollte erst mal dem guten Goldie das Ohr leihen.

Das bestens entwickelte Selbstbewußtsein unseres Gastgebers hat einen guten Grund: Mit seinem bescheiden „Timeless“ betitelten, 1995 erschienenen Mammut-Epos setzte Goldie einen musikalischen Meilenstein. Die Doppel-CD besaß vor allem viel: viel Rhythmus, viel Soul, viele epische, mit nahezu E-musikalischem Anspruch komponierte Stücke, die in jeder Note von der Größe einer Vision kündeten. Vor diesem Hintergrund ist es weder erstaunlich noch übertrieben, wenn Goldie von sich behauptet, daß das Drum’N’Bass-, oder „Breakbeat-Genre“, wie er es nennt, an einem Punkt angelangt ist, den er selbst erst ermöglicht hat. Wobei er zugibt, daß die Entwicklung momentan stagniert. Eine Tatsache, die auch Goldies eigene Kreativzelle betrifft. Einige Jahre galt das Metalheadz-Label als erste Adresse für neue Namen. Zur Zeit erblicken aber immer weniger Veröffentlichungen das Licht der Plattenläden. Und wenn dann doch etwas Neues angeboten wird, handelt es sich dabei meist um Material von längst etablierten Musikern. „Ich werde niemals überrascht, ich weiß immer was passiert, die Leute folgen den gängigen Formaten“, klagt Goldie, „dabei gibt es noch so viele Möglichkeiten, nur kann sie sich niemand vorstellen. Ich aber kann es, das habe ich ganz einfach im Blut.“ Bei dieser Bemerkung tippt Goldie selbstzufrieden auf seinen linken Arm.

Sein Blut, sein Kopf, seine Aura. Goldie steht nach eigenem Bekunden unter ständiger künstlerischer Anspannung. Sie strömt aus ihm heraus, direkt, unmittelbar. So wie das Stück „Mother“, das mit sage und schreibe 60 Minuten eine der beiden neuen CDs, die als „Saturnz Return“ angekündigt werden, zur Gänze füllen wird. Das seiner leiblichen Mutter gewidmete,für ein 4oköpfiges Orchester geschriebene Opus soll Goldie endgültig in den Kreis der großen Komponisten unserer Zeit aufsteigen lassen. Die Vermutung, daß er für diese Entwicklung eventuell das stressige Club-Leben wohl zeitweise aufgeben mußte, bringt mir allerdings wieder ein gereiztes Knurren ein. Nein, natürlich arbeitet Goldie nicht nur in einem Bereich. Und natürlich nimmt er die härtesten aller harten Stücke auf, den seelenvollsten Soul und die besten Club-Tracks. Und ja, er arbeitet in allen Formaten-Maxi, Album, Filmmusik (letztere lieferte er jüngst zusammen mit Henry Rollins für den Soundtrack zu dem Streifen“Spawn“ ab). Apropos Rollins: Auch für sein neues Album hat der Meister genug Ebenbürtige um sich geschart. Darunter seine Ex-Verlobte Björk, die einen alten Selbstmordbrief von ihm balladesk intonieren darf, Noel Gallagher, dessen Gitarre noch nie verzerrter klang, sowie HipHop-Gottvater KRS-One mit einer kraftvollen Reverenz an die lebendige britische Breakbeat-Szene. Selbst David Bowie, dem Goldie ein melancholisch-atmosphärisches Stück ohne Beats auf den Leib geschrieben hat, ist mit von der Partie. Bowie war von allen auch derjenige, der Goldie am meisten imponiert hat: „Weil er genauso gesungen hat, wie ich es mir vorgestellt habe“. Denn es ist keinesfalls so, daß – Superstar oder nicht – die Gäste tun dürften, was sie wollen. Für alle hat Goldie Text und detaillierte Anweisungen bereitliegen. Wie auch für seinen Toningenieur, den Studio- und Label-Besitzer Rob Playford,der nach seinen Wünschen und Vorstellungen die gesamte Musik produziert. „Ich kann die Menschen manipulieren“, bemerkt der Boss lakonisch,“ich bin Goldie, ich mache mein Ding, und wenn jemand glaubt, mithalten zu können, dann soll er es probieren. Aber es wird nicht klappen.“

Ja, er ist ein Großmaul. Und ein rastloser Streuner, der bellt und notfalls auch beißt. Daß Goldie gerade ein Haus außerhalb der Londoner City bezog, hat nichts mit Rückzug und Ruhe zu tun, sondern ausschließlich damit, daß „mein Hund einen Platz zum Scheißen braucht“. Sein Hund ist übrigens ein Bullterrier.