George Duke


Manchmal ist es schon erstaunlich, wie sich aus eiserner Tradition erstaunlicher Fortschritt entwickeln kann. George Duke ist so ein Zeitgenosse, der vor den Hörsälen klassischer Musikerziehung doch noch den Zug erwischte. Und heute ist er immerhin einer der echten Neuerer im moderen Jazz. ME-Mitarbeiter Wolfgang Freund plauderte mit George Duke in Los Angeles.

Vor dem „Roxy“ am Sunset Boulevard hal sich eine etwa 1,50 Meter lange Schlage formiert. George Duke gibt ein Heimspiel. Karten gibt es schon lange keine mehr. Komisch, hätte nie gedacht, daß Jazz im Disco-Land auch Fieber erzeugt. Denn George Duke ist in meiner Erinnerung eigentlich eher ein braver dicker Keyboard-Mann, der sich immer seinen musikalischen Brötchengebern anpaßte, ob sie jetzt Cannonball Adderley, Jean Luc Ponty oder Frank Zappa hießen.

Sensationen erwartete an diesem Abend wohl keiner. Um so großartiger war dann das, was sich vor genau 499 Leuten plus acht Kellnern abspielte. Denn der Keyboard-Mann mit dem traditionellen Ruf ließ seinem Publikum Funk-Jazz um die Ohren stürmen, daß die Wände des „Roxy“ wackelten. Selbst der eingeschworene Jazz-Purist in der letzten Reihe hörte seinen Puls schneller pochen, als George Duke mit seiner Band einem Guru gleich die Bühne beschritt und anfing, sein Publikum auf Touren bringt. Er arbeitet schamlos mit Gimmicks (etwa auch mit einem Keyboard aus Plexiglas), macht Show, wie sie in keinem Buche steht. Er hat Spaß daran, und der überträgt sich auf sein Publikum.

Apropos Publikum: 80 Prozent der Leute sind schwarz und haben sich in ihre schärfsten Klamotten geworfen, als ob sie gerade das Disco-Fieber entdeckt hätten. In den USA gibt es für verschiedene Musikformen unterschiedliches Publikum. Bei Jazz-Konzerten kommen meistens die Rhythm& Blues orientierten Musikfreunde, die sich fast ausschließlich aus der schwarzen Bevölkerung Amerikas rekrutieren.

George Duke hat sich von seiner Vergangenheit völlig gelöst. Er ist nicht mehr der ernsthafte Jazzer, hat sich aber durchaus zu einem ernstzunehmenden Musiker ohne Etiketten gewandelt. Hinter sich hat er eine hervorragende Band. Am Baß steht Byron Miller, das Schlagzeug bearbeitet der ehemalige Santana-Mann Leon Chancler lcarus Johnson spielt Gitarre, Sheila Escovedo ist ein weiblicher Derwisch an den Percussions und tauscht auch hin und wieder mit Chancler die Rolle; last not least hat Duke in seiner Band mit Napoleon Brock und Josie James zwei ausgezeichnete. Sänger. Die treibende Kraft aber ist natürlich er selbst.

Einen Tag nach dem Konzert treffe ich ihn zum Interview. Er ist sehr gesprächig und hat immer noch sein Grinsen vom Vorabend drauf. „Musik ist Spaß für mich“, sagt er gleich zu Beginn. Wie konnte sich aus dem braven und traditionsbewußten Jazz-Musiker eine Art Schmelztiegel der modernen Musik entwickeln? „Wenn man mir das vor ein paar Jahren gesagt hätte, dann wäre es mir bestimmt nie in den Sinn gekommen, meine weitere Entwicklung zu bejahen. Doch wenn ich heute zurückblicke, war sie irgendwie schon abzusehen.“ George Duke erregte erstmals Aufsehen in der Band von Frank Zappa, der in Duke endlich einen Keyboardmann gefunden hatte, mit dem er seine Ideen auch technisch realisieren konnte. Das war 1970. Duke: „Anfangs war ich ziemlich schockiert über das, was in Zappas Band so ablief. Ich kam immerhin aus gutem Hause, hatte auf dem Konservatorium Posaune studiert und sollte nun bei diesem Sauhaufen kreativ Musik machen. Am schlimmsten waren Flo & Eddie, die den Bogen immer wieder überspannten.“

Dukes Zeit bei Zappa brachte ihm aber dennoch einen stark erweiterten musikalischen Horizont, von dem er heute noch zehrt. „Zappa sagte zu mir, ich solle mich doch mal mit Synthesizern beschäftigen. Ich weigerte mich aber, weil es mir zu viel war, damit von vorne anzufangen. Da stellte er mir bei den Proben einfach so ein Ding aufs Piano und ich begann, aus Spaß damit herumzuspielen. So haben sich der Synthesizer und ich gefunden…“ Und wie sie sich gefunden haben: Heute sind die verschiedenen Arten von Synthesizern aus der Musik von George Duke nicht mehr wegzudenken.

Nach zwei Jahren Zappa ersetzte Duke Joe Zawinul in der Band von Cannonball Adderley. „Bei Adderley ging es für mich eigentlich richtig los. Ich machte neun Langspielplatten mit dem Quintett, was mir musikalisch sehr viel weiter half. Ich konnte bei Adderley meine Tradition und meine ganz frischen Eindrücke von den Mothers ideal verbinden.“

Zwei Jahre später saß George Duke allerdings wieder bei den Mothers an den Keyboards. „Zappa hatte sich sehr verändert. Seine Musik hatte jetzt mehr Raum übrig für Improvisationen. Wir waren damals eine unglaublich gute Band, Flo & Eddie waren auch nicht mehr da.“ Das Publikum reagierte natürlich entsprechend. Jazz-Puristen sahen in George Duke einen Verräter; Pop- und Rock-Jünger gaben sich toleranter, waren stolz, daß einer aus ihren Reihen dem Jazz diente. Das bekam Duke auch auf den Berliner Jazz-Tagen im vorletzten Jahr zu spüren, wo er mit seiner neuen eigenen Band spielte. „Da saßen sie nun, die ganzen Jazzfreaks mit ihren Tuxedos, frisch polierten Gamaschen und einem Duft von teurem Parfüm und Rasierwasser. Andächtig schauten sie zu und harrten der Dinge, die da kommen sollten. Mit meiner funky music machte ich den Skandal perfekt. Spaß wollte ich bringen. Es dauerte lange, bis sie begriffen, aber am Ende hatte ich sie dann doch auf den Stühlen. Bloß die Kritiker schimpften mich damals einen Scharlatan und Verräter. Ich will die Leute wirklich bloß glücklich machen. Jazz ist so elitär geworden. Man muß sich schon etwas hinunterbegeben, wenn man sein Publikum erziehen will. Montreux ist das einzige Festival, wo man noch tolerant ist und dabei viel Spaß haben kann. Da haben Musiker und Publikum freie Gedanken und ein jeder ist richtig neugierig auf neue Sachen…“

Natürlich möchte George Duke trotzdem mal wieder nach Deutschland kommen, allerdings nur als Vorprogramm zu einer jungen Rock- oder Jazz-Gruppe, die ihm ein jüngeres Publikum garantiert. Als ich nach dem Gespräch mit George das Bureaugebäude am Sunset verlasse, begegnen mir Flo & Eddie in einem Nebenzimmer, wo sie gerade an einem Film arbeiten. „Na,“ fragen sie, „was hast du denn hier gemacht?“ „Ein Interview mit George Duke!“ „Was? Gibt es noch jemanden, der den alten Spießer hören will…?“