Popkolumne, Folge 68

Gerhard Schröder, Billie Eilish, gute Laune: Paulas Popwoche im Überblick


In dieser Woche kommentiert Paula Irmschler ihren eigenen Medienkonsum, Brüste, den (Podcast vom) Altkanzler und Gott.

Die Gerüchte sind wahr: Ich bin verliebt. Sie ist süß und gut zu mir. Meine erste eigene Wohnung. Na ja, „eigene“. Kapitalismus, Leute! Sie gehört mir natürlich nicht. Und bestimmt kommt irgendwann der eigentliche Mieter zurück und ich muss wieder weichen, aber sind wir nicht ohnehin alle nur zur Zwischenmiete in diesem Haus, das man das Leben nennt? Und sollten wir nicht Vertrauen haben, dass Gott … Ja, vielleicht höre ich mittlerweile wirklich zu viel Radio. Aber ich habe die Moderationsmetaphern drauf, das müsst Ihr mir lassen (bitte). Ab und zu ziehen heute ein paar Wolken durch bei 17 Grad.

Mein Medienkonsum hat sich jedenfalls geändert.

Heißt, ich konsumiere regelmäßiger verschiedene Medien und nicht so exzessiv eines, wie damals als ich die Ruhemomente in WGs schnell ausnutzen musste oder hastig mir auf der Flucht vor zu viel Gesellschaft unterwegs was reinlämmerte. Man hat ja viele Möglichkeiten für Medienzugänge in einer Wohnung: Hörfunk, Fernsehen, normal Musik, Streamingseiten, illegale Streamingseiten, Podcasts, die guten alten sozialen Medien und, wer kennt sie noch, Bücher. Medien sind jetzt meine Mitbewohnerinnen und ich schalte sie an und aus wie ich will und sie kommen nicht einfach so mal kurz rein weil sie was wollen, sondern ich kann immer nackt sein mit ihnen. Morgens Radio, auf dem Weg zur Arbeit oder sonstwohin Podcasts, beim Arbeiten Musik, zu Hause wieder angekommen Serien – die schon oft gesehenen nebenbei, die anderen beim Essen und Prokrastinieren, alibimäßig zwei Seiten Buch vorm Einpennen. Manchmal aber auch alles ganz anders andersrum.

Mittlerweile habe ich auch so gar nichts mehr gegen Podcasts.

Zum Beispiel habe ich mir neuerlich, auf Anraten von Jonas Stein, den Podcast vom DJ-Kollektiv Hoe_Mies „Realitäter*innen“ reingezogen und bin sehr froh über die Themenkuration. Es geht in den bisherigen Folgen zum Beispiel um Männlichkeitskonstruktion, um Körpernormen, Obdachlosigkeit und Rassismus. Und es wird mit Menschen gesprochen, die Ahnung von den Themen haben, weil sie betroffen von ihnen sind. Ein etwas jüngerer Podcast ist „Pissy“, der Podcast vom Missy Magazine, mit ähnlicher Ausrichtung. Menschen, die im Mainstream selten zu Wort kommen, kommen auch hier eher mal zu Wort, die Lebensrealität ist vielfältig und die Meinungen progressiv. Gegenteiliges kann man jetzt schon über den Podcast von Gerhard Schröder prognostizieren, wo noch mal die richtig gute alte BRD aufgerollt wird, dementsprechend heißt er auch wie das Lieblings-90er-Jahre-Politikwort, und zwar „Die Agenda“. In der Ankündigung heißt es „Schröders unverwechselbare Stimme macht diesen Podcast zu einem besonderen Hörerlebnis“ und im Intro allein wird einundsiebzigmal der Name „Gerhard Schröder“ erwähnt und man hat schon keinen Bock mehr. Ansonsten viel „Deutschland“, „Bundesregierung“ und „Arbeit“. Ich mache mir den vielleicht ab sofort an und trinke bei den Wörtern einen Kurzen.

https://www.instagram.com/p/CAnvYoKFsBG/

Ja, jetzt kommt der Part mit den Brüsten.

In der Realschule hatte ich eine gute Freundin. Sie war schlank, ich dick, sie war recht beliebt, bei mir ging es so. Irgendwann bekam sie große Brüste, ich nicht, sie wurde wegen ebenjener Oberweite plötzlich auch gemobbt, ich war verwirrt. Erst waren wir alle „Flachlandschaften“ oder schlimmere Wörter, dann konnten Brüste zu groß sein? Irgendwas ist wohl immer? Sie versteckte ihren Oberkörper, wie ich es auch tat, aus anderen Gründen, in einer Phase unseres Lebens, in der all unsere Vorbilder sich eher auszogen, in der wir durch Musikvideos beigebracht bekamen, man hat lieber weniger als Frau an, wenn man erfolgreich sein will, aber damned if you do, damned if you don’t, wurden sie dafür gleichzeitig natürlich auch bestraft mit dem Schlampenvorwurf. Es dauert leider eine Weile, bis man checkt, dass man es im Patriarchat eben einfach nicht richtig machen kann und sich einen Weg suchen muss, mit dem man sich selbst am wohlsten fühlt. Diesen Prozess macht auch die Person durch, die in dieser Kolumne schon zum festen Cast gehört, Billie Eilish. Jetzt veröffentlichte sie den Kurzfilm „Not my responsibility“ im Netz, den sie auf ihrer Tour schon vor Publikum präsentierte.

Darin spricht sie unter anderem:

„Some people hate what I wear
Some people praise it
Some people use it to shame others
Some people use it to shame me“

Und später:

„If I wear what is comfortable
I am not a woman
If I shed the layers
I’m a slut“

Ich glaube, ich kann auch für meine damalige Freundin sprechen und sage: Danke.

https://www.youtube.com/watch?v=1oTfZ_uANBc


Dank des Internets erreichen einen auch Kämpfe, die man sonst selten mitbekommt:

Messed Up ist eine Punkband aus Weißrussland, die sich dementsprechend an einem Ort befindet, wo die Gefahren von Corona von der autokratischen Regierung kleingeredet werden. „That definitely means we’re not safe“, schreiben Messed Up auf ihren Onlinekanälen und haben ein Konzert aufgenommen, das gespickt ist mit politischen Ansagen. Wer die Band unterstützen mag, kann sich ihre Platte bei Audiolith besorgen.

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Privilegien sind so eine Sache.

Man kann natürlich rumjammern, dass man als Mensch, der aus wirtschaftlich ganz gut gestellten Verhältnissen kommt, „auch so seine Probleme“ hat, was ja eh immer stimmt, aber man kann es so Ich-zentriert-schleimerhaft machen, wie es zu oft in der Popgeschichte getan wurde, oder man macht das halt nicht so, sondern man macht es wie Albrecht Schrader und denkt die Welt da draußen mit und schaut kritisch auf die eigene Herkunft. Die Thematik Aufwachsen auf dem Golfplatz und ins Polohemd heulen schwingt bei ihm zwischen die Umstände albern finden und ehrlichem Melancholischsein und das macht es einem deswegen so zugänglich, dass man sich sogar identifizieren kann. „Auf dem Golfplatz“ ist der Auftakt einer Platte, die einfach nur richtig geil wird, ich spüre das.

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Radiosender des Halbmonats: Radio Paradiso mit angenudelten Hits

Ich musste wieder auf Radiostreaming ausweichen, weil Radio Paradiso nicht in meiner Reichweite liegt. Wäre cool, wenn sich da technisch noch mal jemand ranmachen könnte, dass die Radiostreams wirklich mal auf Dauer funktionieren und nicht immer wieder pausieren und wirklich mal zeigen könnten, was da gerade läuft und nicht immer eingefroren „U2 – One“ da steht. Da wäre ich sehr dankbar. Also, Radio Paradiso kenne ich schon von einem Urlaub im letzten Jahr (Rostock) und die Menschen um mich herum waren sich mit mir einig: Es könnte der beste deutsche Mainstreamradiosender sein. Und tatsächlich hat er gute Chancen. Die Musikauswahl ist herrlich. Sie nehmen nicht jeden abgenudelten Hit, sondern schwören auf die zweite Reihe, die nur angenudelten Hits, hauen nicht alles durcheinander, sondern bleiben in der Stimmung und die ist sehr oft sehr pathetisch. Natürlich hat das den Zweck, einen langsam zum Christentum zu führen, es ist nämlich ein evangelischer Radiosender. Dazwischen ist viel mit Gott, viel mehr als auf WDR4 zum Beispiel. Die Songs sind dafür da, einen da langsam ranzuführen, sie erzählen von Auswegslosigkeit, Hoffnung, Leerstellen, man begibt sich allmählich auf den Weg zur Begegnung, Erkenntnis … „There must be an angel“ läuft gerade. Ja, klar. Es wird schwer, aber ich möchte versuchen, Radio Paradiso nicht auf den Leim zu gehen. Also werde ich weiterziehen, auch in Eurem Sinne … Apropos Sinne … Glaubt Ihr nicht auch, dass es da doch einen Sinn gibt? Fuck, zu spät.

Von Zugezogen Maskulin bis Thomas Gottschalk: Volkmanns Floskel-Kolumne im Relotius-Style

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