Haindling


München – na klar. Landshut – okay. Postau – hoppla? Süßkofen – nanu? Laberweinting – wie bitte? Geiselhöring – huch! Haindling – uff, also doch! „Es“ existiert tatsächlich. Ein ruhiges, winzig kleines Dorf, mitten im niederbayerisch-oberpfälzlerischen Bermuda-Dreieck zwischen Regensburg, Straubing und Dingolfing. 80 Einwohner, 20 Traktoren, zwei Wallfahrts-Kirchen und ein ehemaliges Dorfwirtshaus, das Hans Jürgen Buchner vor zehn Jahren für 25.000 DM gekauft und damit vor dem Abriß gerettet hat.

Buchner ist ein Irrer, ein Verrückter. Ein Typ, der in keine Schublade paßt, sperrig, hinterfotzig, unbequem. Ein Niederbayer zwar, wie er im Bilderbuche steht, aber längst nicht der Lederhosen-Bazi, als der er nördlich der Donau oft unbedacht gehandelt wird. Eher schon der Achternbusch der deutschen Musikszene, der sich auf nichts und niemanden mehr verläßt. Außer auf sich selbst natürlich.

Logo, daß Buchner als Haindling alles alleine macht. Jeden Song, jeden Text, jedes Instrument. E braucht zum Aufnehmen der Haindling-Platten lediglich ein professionelles Tonstudio (wie zuletzt bei MUH das Can Studio in Köln), einen Produzenten, Toningenieur und Mixer in Personalunion, der Buchners Schrullen erträgt (wie zuletzt Rene’e Tinner), und einen Cover-Graphiker, der Buchners skurrile, optische Ideen umsetzt. Kurzum: Buchner ist Haindling, Haindling ist Buchner.

Als Musiker beherrscht Buchner neben den Tasten vor allem Perkussions-Teile – von Trinidad-Steel-Drums über Orphsche Klangkästen bis hin zum balinesischen Glockenspiel – und seine spezielle Leidenschaft, Blasinstrumente, vom Kornett bis zur Tuba.

Gerade der unorthodoxe Einsatz von Blechgebläse auf Haindling-Platten trug maßgeblich zu Buchners Bierzelt-Image bei unkritischen Zeitgenossen bei. Darum freut es den Ausnahme-Künstler ganz besonders, daß ausgerechnet der Engländer David Sylvian, nicht gerade ein Synonym für Volksnähe oder Spießigkeit, auf die Haindling Blechblas-Orgieauf MUH unerwartet begeistert abfuhr.

So begeistert sogar, daß er Wolfgang Buchner für den Frühsommer zu sich nach England einlud, um dort gemeinsam ein paar Titel aufzunehmen.

Aber noch sitzt der in Musikerkreisen bekannteste Niederbayer in Filzpantoffeln am alten Holzofen in seiner Haindlinger Wirtsstube und philosophiert über die Dummheit der Menschen, die nicht einsehen wollen, daß die Amazonas-Urwald-Rodungen für McDonalds-Rinder unser Klima so zerstören, daß wir bald gar nichts mehr zum Essen haben werden. Mit prominenten deutschen Musiker und Sänger-Kollegen hat Buchner kaum Kontakt. Was nicht heißt, daß er von seinem Herrgottswinkel aus die Szene ignoriert. Wenn zum Beispiel Wolfgang Niedecken vor laufenden Fernsehkameras bei „Wetten daß…“ erzählt, daß ihm die Rate-Show gut gefallen habe, er aber jetzt mit Band per Privatflieger nach Hartenholm zum Werner-Rennen müsse, kann der Buchner nur den Kopf schütteln. „Da bezeichnen die sich öffentlich ah Atomkraftgegner und Umweltschützer, was ja wirklich prima ist, und dann müssen sie den Privatflieger raushängen lassen. Ist doch komplette Scheiße…“

Im ersten Stock des Haindling-Wirtshauses, das heute unter Denkmalschutz steht, befindet sich neben dem Wohnzimmer von Buchner und Freundin/Muse Uli Böglmüller das musikalische Refugium. Auf 70 qm tummeln sich zwei ausgewachsene Flügel, drei Synthesizer, Effektgeräte, ein Schlagzeug, Percussion-Kram aus aller Herren Länder und Blechtröten in allen Formen und Größen. Auf einem 8-Spur-Tonband nimmt Buchner hier seine verschiedenen Film-Musiken fertig auf. Zum Beispiel für die 12teilige Fernseh-Serie „Irgendwie und Sowieso“, die „Grönlandflieger“, die 44teilige Serie „Zur Freiheit“ oder, wie eben, für die neue TV-Serie „Camping Park“. Hier hängt auch die einzige goldene Schallplatte, die Buchner bislang bekam. Allerdings nicht für Haindling, sondern für seine Mitwirkung an Peter Maffays Drachennlärchen „Tabaluga“.

Hier hat Buchner auch die Fähigkeiten wieder ausgegraben, die er in seiner kreativen Hochphase als Keramiker hintenan stellte: sein Können am Klavier – bereits als Vierjähriger bekam er von einer niederbayerischen Pfarrköchin Klavierunterricht – und an den Blasinstrumenten. Im Klosterinternat imitierte er auf der Trompete sein Vorbild Louis Armstrong und legte sich nach und nach Hörner, Saxophone. Posaunen und Tubas zu. Heute bläst Buchner – unter Kennern auch Miles Davis von Niederbayern genannt – im Studio jedes Blech selbst, und erst am Mischpult entstehen dann die für seine Musik typischen, rhythmischen, melancholischen Bläsersätze.

Die Öko-Töpferei hat Buchner inzwischen komplett in die Hände seiner Lebensgefährtin gegeben. Daß es sich beim Umweltschutz nach Haindlings-Art nicht nur um Lippenbekenntnisse handelt, beweist die Töpferwerkstatt, die im ehemaligen Schweinestall des Dorfwirtshauses eingerichtet wurde.

Seit 22 Jahren engagieren sich Buchner/Böglmüller beim Bund Naturschutz, seit 15 Jahren bei Greenpeace. Und das natürlich auch vor der eigenen Haustür. Sehr zum Ärger einiger Dorfbewohner hängen die neuesten Greenpeace- und Naturschutz-News immer druckfrisch am Buchnerschen Küchenfenster aus. Dort müssen nämlich sonntags die Kirchgänger vorbei, wenn sie in die Messe wollen.

Aber die anfänglichen Aggressionen haben sich inzwischen gelegt, immerhin bekam Haindling (das Dorf) im vorigen Jahr die Silbermedaille der Umweltkommission, in erster Linie wegen des wunderschönen Buchner-Naturgartens, der anfangs von den Nachbarn schlicht als Saustall tituliert wurde.

Heute klappt die Nachbarschaft viel besser, läuten die Haindlinger Kirchenglocken und muhen die Kühe von Nachbar Meyer in „Muh“, groovt auch der Bürgermeister zu „Über alle Meere“, einer Songanklage gegen die Giftmüll-Verklappung in den Ozeanen. Schlitzohrig bastelt Buchner aus dem Satzfetzen „145 Mark“, der von draußen durchs offene Fenster in die gute Stube dringt, einen valentinesken Kurzsong und packt in „Aja“ wieder einmal den blinden Gehorsam des preußischen Erbes an den Hörnern: „Himmel, Arsch und Zwirn, der Mensch, der hat kein Hirn. Nur die allerdümmsten Kälber, wählen sich ihren Metzger selber.“