Hansens Höllenritt


Jürgen Vogel singt mit Tomte, Kettcar und Olli Schulz -aber ja nur im Film. Entschuldigung, aber was heißt hier "nur"?!

Man muss schon verdammt gute Gründe haben, wenn man sich an diesem lausig kalten Sonntagabend vor einem Berliner Musikclub einen abfriert, obwohl nur wenige Metenentfernt eine der nettesten Ausgehmeilen der Stadt verläuft. Dennoch wächst die Warteschlange vor dem Bastard. Und wächst. Um kurz nach zehn stehen die Leute vom Eingang über den Hof hinaus bis auf die Kastanienallee. Sonderbar: Viel mehr als den Namen der Band, die spielt, kennt niemand hier. Keine Musik, kein Video, nicht mal ein offizielles Bandfoto gibt es bisher von Hansen Band. Und doch ist die Band imstande, ein paar Monate nach Gründung vor ausverkauftem Haus zu spielen. Ja sogar, wie letzthin beim Gig in ihrer Heimatstadt Hamburg, so viel Publikum zu mobilisieren, dass die Veranstalter reihenweise Anstehende wieder nach Hause schicken mussten. Zwar sollte erst am Konzertabend bekannt gegeben werden, in welchem Venue Hansen Band spielen. Doch mit dem Geheimhalten ist das so eine Sache, seit durchgesickert ist, wer die fünf Mann sind, die hinter dem urnordischen Bandnamen stecken: Den Sänger, Jürgen Vogel, kennt man aus dem Kino (kleine haie. das leben ist eine Baustelle), den Rest aus Indie-Pop-Formationen wie Tomte und Kettcar: Thees Uhlmann, Marcus Wiebusch. Max Schröder und Felix Gebhard. Es gehen Gerüchte herum, das Ganze hänge irgendwie mit einem Film zusammen – was auch erklären würde, warum heute Abend am Eingang ein Schild hängt mit dem Hinweis, dass nachher Aufnahmen gemacht werden.

Anderthalb Stunden bevor sich die ersten vorm Bastard anstellen, sammelt sich Hansen Band zum Interview in einer Schenke unweit des Clubs. Vogel, ein drahtiger Typ mit mildem Lächeln, redet zuerst. Passend, weil man am Besten bei ihm damit beginnt, das Geheimnis um Hansen Band zu lüften. Er war es, der Regisseur Lars Kraume mit der ehrgeizigen Idee ansteckte, einen Musikfilm zu machen, der sich vom klassischen Muster löst: Nicht Schauspieler sondern authentische Musiker sollten die aufstrebende Band verkörpern, die im Mittelpunkt des Geschehens steht. „Wir wollten etwas, das möglichst nah am Leben ist, keine Reißbrettgeschichte. unsere Figuren sollten ihre echte Identität behalten.“ Vogel und Kraume zogen daraus eine radikale Konsequenz: Es würde kein Drehbuch, nur einen Plot geben, ein grobmaschiges Handlungsgerüst als Wegweiser für die Darsteller. „Es geht um zwei Brüder, die sich nach einem Jahr wiedersehen und versuchen, die Probleme, die zwischen ihnen liegen, aus der Welt zu räumen‘, skizziert Vogel die Synopsis und lässt sich dann doch Details entlocken: Tobias Hansen, gespielt von Florian Lukas absolute giganten. ist Filmemacher und dreht eine Dokumentation über die Band, in der sein älterer Bruder Markus Jürgen Vogel) singt -Hansen Band. Doch das Verhältnis der beiden ist schwer belastet, seit Markus eine Affäre mit Ellen, Tobias‘ Freundin, einging. Und was ein Jahr lang totgeschwiegen wurde, bricht plötzlich aus, als Ellen (Heike Makatschl am Set auftaucht. Durch einen raffinierten Trick, so schwebte es Kraume vor, würde der Bruderkonflikt an Tiefenschärfe gewinnen: Der Zuschauer soll das Geschehen durchs Kameraobjektiv von Tobias Hansen verfolgen, sprich, mit den Augen des Jungfilmers sehen, heiner peppers salty oog, so der kryptische Arbeitstitel, würde auf diese Weise zu einer fiktiven Dokumentation, zu einem Film im Film.

Doch während der Inhalt schnell stand, fehlte die wichtigste Zutat: eine Band, die sich mit dem Konzept des „Kamikaze-Projekts“ [O-Ton Vogel) vertrug. Tagelanges Probehören später sah Vogel endlich klar. „Ich habe mir Musik aller möglichen deutschsprachigen Bands angehört – aber das Einzige, was wirklich hängen blieb, waren Tomte und Kettcar. Die haben genau die Musiksprache, die die Stimmungen des Films am besten transportieren kann.“ Vogel und Kraume fuhren nach Hamburg und bekamen prompt die Zusage. Als Gitarristen stiegen Thees

Uhlmann von Tomte und Marcus Wiebusch von Kettcar ein, dazu am Bass Felix Gebhard la.k.a. Home Of The Lame] sowie Drummer Max Schröder (Olli Schulz und der Hund Marie], Das Zusammenspiel -Vogel hatte bis dato noch nie in einer Band gesungen – ließ sich unverhofft gut an. „Schon bei den ersten Proben hat man gemerkt, dass er genau weiß, wohin er will“, blickt Uhlmann hinüber zu Vogel und schmunzelt: „Auch wenn er da noch etwas schief gesungen hat. „Hansen Band schrieben eigene Songs und steigerten ihr Probenpensum, bis sie sich schließlich eine Woche lang jeden Tag trafen. „Ziemlich intensive Arbeit“, schnauft Uhlmann. „Im Vergleich zu Tomte waren die Proben mit Hansen Band Höllenritte. Aber tetztendlich war klar, dass wir als Band etwas erreicht haben.“

Zehn Songs, lyrisch wie musikalisch artverwandt mit dem, was man von Tomte und Kettcar kennt, hatten Hansen Band im Gepäck, als sie Anfang Februar zur Tour aufbrachen: drei Wochen durch Niedersachsen, Bremen und Hamburg (die Länder, die sich finanziell am Film beteiligen) sowie Berlin. Wie seine Mitmusiker sah sich Marcus Wiebusch, ein sympathischer Schlaks mit dunklem Haar, fortan von bis zu drei Kameras umschirmt, und das nicht nur während der Auftritte:“.Du steigst aus dem Bus und wirst gefilmt. Du gehst auf die Bühne – und wirst gefilmt. Du hängst nach dem Konzert ab – und wirst gefilmt. Und auch wenn mal keine Kamera in der Nähe ist, läufst du trotzdem mit dem Gefühl herum, dass eine da sein könnte.“ Ernsthaft unter Druck gesetzt fühlte sich durch die omnipräsenten Objektive trotzdem niemand. Im Gegenteil: „Sobald eine Kamera auf mich gerichtet ist, versuche ich, noch witziger zu sein, als ich es so schon bin“, feixt Uhlmann, der sich dann aber doch eingesteht, fürs Filmgeschäft auf Dauer nicht tough genug zu sein. „Wir haben jetzt 16 Tage lang gedreht, stehen vor unserem achten Auftritt und ich fühl mich kaputter als nach einer ausgedehnten Tomte- Tour.“ Macht es denn auf der Bühne einen Unterschied, wenn man weiß, dass man gerade Teil eines Kinofilms ist? Wiebusch schüttelt den Kopf. „Die 45 Minuten, die wir da oben stehen, sind die befreiendsten des ganzen Tages. Da machen wir das, was wir am Besten können.“

Es ist jetzt weit nach Mitternacht, das Bastard mit gut 300 Leuten zum Bersten gefüllt, und während sich ein blonder Hüne namens Lars Kraume mit einer Kamera auf der Schulter durchs Publikum hangelt, spielen Hansen Band die letzte Zugabe ihres letzten Konzerts auf ihrer letzten Tour. Vielleicht wird es noch Gigs im Rahmen von Premierenfeiern geben, wenn hier kommen hansen so Kraumes derzeitiger Titelfavorit – im Herbst anläuft. Offiziell aber ist Schluss, wenn die Band im April den Soundtrack zum Film eingespielt hat.