Im Gespräch

Helge Schneider im Interview: „Ich habe einfach meine normale Jacke angelassen“


Helge Schneider verschränkt bis heute Eigensinn mit Gaga und Musik und was ihm sonst so gefällt, und kann selbst im Rentenalter nicht damit aufhören, groß- und einzigartig zu sein. Höchste Zeit für ein großes Interview mit dem Meister aus Mülheim.

Wie muss man sich das vorstellen?

Ich hab’ einfach meine normale Jacke angelassen. Klingt verrückt, aber das würde ich sonst nie machen. Allein die Jacke war für mich das Signal, dass ich bereits aus dem Live-Geschäft draußen bin. Ich habe immer abgewunken, wenn andere Musiker immer wieder ankamen: „Dann geht’s ja wohl im Juli weiter, oder?“, und später: „Dann geht’s ja wohl im September weiter, oder?“ Nein, Leute, mindestens ein Jahr müssen wir jetzt Pause machen!

Sie haben Kinder, die teilweise in anderen Städten leben. Waren Sie von denen abgeschnitten? Schließlich sollten Eltern und Großeltern nicht besucht werden.

Ja, das war so. Ich habe Kinder und Enkelkinder in Berlin – da bin ich drei Monate nicht hingefahren. Was soll man machen? Ich fahre auch nicht ins Ausland. Heute hätte ich eigentlich in der Schweiz auftreten sollen – mach ich nicht! Ich habe außerdem ein Häuschen in Spanien, ganz im Süden. Dort vor Ort gibt es zwar keine Corona-Fälle, aber ich dürfte zum Beispiel nur von 9 bis 11 Uhr und von 17 bis 21 Uhr und nur mit Maske auf die Straße, weil ich schon Senior bin. Also da fahre ich bestimmt nicht hin. Das sind meine Einschränkungen, aber ich beschwere mich überhaupt nicht. Trotzdem kann ich mich hineinversetzen in das Leben von vielen anderen Musikern, die jetzt praktisch arbeitslos sind.

Das betrifft auch Ihr nahes Umfeld?

Sicher, meine Band zum Beispiel … ich kann sie ja nicht alle immer hier verpflegen. Carlos, der Saxofonist, hat sich um eine dieser Corona-Hilfen bemüht, bekam jedoch gesagt, der Topf sei schon leer, man hätte aber einen guten Tipp für ihn: „Beantragen Sie doch Hartz IV!“ Das sind die Verhältnisse für Musiker, von denen wir aktuell reden! Von anderen, die das Geld erhalten haben, habe ich jetzt mitbekommen, die müssen es nun zu einem Großteil wieder zurückgeben. Das ist wirklich Augenwischerei.

Mir ging es als Autor und Journalist ähnlich. Ich habe im April die Unterstützung des Landes Nordrhein-Westfalen bekommen – und jetzt ein paar Monate drauf wird sie fast in Gänze zurückgefordert …

Ich habe meinen Jungs gleich gesagt: „Gebt das Geld bloß nicht aus. Das werden die wieder eintreiben!“ Ich hab das sofort gerochen. Selbst habe ich natürlich nichts beantragt. Ich kann zur Not immer noch Straßenmusik machen, aber ich lass mich nicht auf solche Spielchen von Regierungen ein – da kommt es mir entgegen, dass ich immer Outsider war.

(Helge Schneiders Telefon läutet. Der Klingelton ist seine eigene Stimme, sie singt: „Willkommen im Altersheim!“)

Sie werden in diesen Tagen 65, für viele Arbeitnehmer ein großer Einschnitt – auch Sie könnten jetzt in Rente gehen. Eingezahlt haben Sie doch vermutlich genug.

Ja, und zwar seit meinem 14. Lebensjahr. Ich zahle also seit 50 Jahren in die Kasse – ganz so wenig bekäme ich nicht. Allerdings habe ich eben sechs Kinder und Enkel und die sind teilweise von mir abhängig … Hast du ja gesehen, so kleine wie der hier (er zeigt auf Charly, der mit einem Stöckchen in der Ruhr angelt). Das könnte ich von der Rente nicht bezahlen.

Wobei Sie noch privilegiert sind. Welcher Berufsmusiker, der es nicht in ein Orchester der Öffentlich-Rechtlichen oder eine ähnliche Position geschafft hat, kann mit 65 sagen, er bekäme zumindest eine relevante staatliche Rente? 

Letztens habe ich im Internet über mich gelesen: „Er wird auf 4,3 Millionen geschätzt“. Schön wär’s! Das, worauf ich viel mehr stolz bin: Ich habe keine roten Zahlen auf dem Konto. Kein Minus. Dafür arbeite ich.

Mama

Arbeit? Ist das nicht viel zu trivial für eine Figur, von der die meisten seiner Fans nur als „unser Helge“ reden? Arbeit soll das sein, wenn man bei allem so deutlich den Spaß des Urhebers spürt? Natürlich. So lange so frei die eigene Kunst ausagieren zu können, das muss sich jeder hart verdienen – besonders ein so seltener Vogel wie Helge Schneider.

Es ist daher garantiert kein Zufall, dass sein neues Album MAMA nicht bloß einen pflichtbewussten Platzhalter in der grellen bis unüberschaubaren Diskografie darstellt, sondern viel eher deren pure Essenz ist. Schneider wirkt darauf absolut bei sich, es ist ihm gelungen, sich auf den 13 Songs quasi ablenkungsfrei selbst zu channeln: Sound, Witz, Wahn, Emo, Jazz.  Ein hochkonzentrierter Irrflug durch Schneiders liebevoll eingerichtetes Tollhaus.

Sie haben auf der aktuellen Platte alle Instrumente selbst eingespielt: War das eine Reaktion auf den Lockdown oder unabhängig davon die Idee zum Album?

Es hat nichts mit Corona zu tun. Ich kenne einfach keinen, der mich so am Schlagzeug begleiten kann wie ich selbst. Ich habe das ja alles im Kopf. Diese Musik besitzt nichts Technisches, nichts Gelerntes. Sie entsteht nur aus Spiel. Unvollkommen, menschlich und damit auch einzigartig.

Helge Schneider teilt Video zur schluffigen Corona-Hymne „forever at home“

Sie sind aber regelmäßig von vielen Musikern umgeben. Hat es sich nicht angeboten, sich mal eine Gitarre oder was auch immer von jemand anderem einspielen zu lassen?

Hätte ich machen können, aber dann habe ich gedacht: „Nee, jetzt machst du es ganz allein.“ Corona hat diese Entscheidung sicher auch begünstigt, das streite ich gar nicht ab.

Der Sound von MAMA ist richtiger Analog-Porn, man meint bei jedem Besenstrich über die Snare hören zu können, wie es staubt …

Ich habe die letzten Jahre viele alte Geräte aufgetrieben. Ich besitze allein zwei Tonbandmaschinen Studer A800, 16-Kanal mit 2-Zoll-Band, die sind das Herzstück meines eigenen Studios, und was mir auch wichtig ist: alte Mikrofone, also Telefunken und so was. Der kleine Aufnahmeraum, eigentlich fast nur eine Sprecherkabine, sorgt dann dafür, dass es so trocken und gleichzeitig warm klingt. Mein Zuhause ist eher mono, ich muss das nicht unbedingt immer links/rechts haben, ich bin wirklich keiner dieser Stereo-Freaks.

Haben Sie den Lockdown dann also mit dieser Platte verbracht?

Nicht wirklich. Ich habe mit der Arbeit an der Platte Anfang Juni begonnen und sie dann in einer Woche fertiggestellt.

Nein – Sie verarschen mich!?

Doch, es ist so. Ich habe mir in der Zeit jeden Morgen um sieben den Wecker gestellt, mich an die Schreibmaschine gesetzt und die Texte geschrieben – dann bin ich ins Studio gegangen zum Aufnehmen.

Innerhalb von einer Woche?!

Na, gut, dann lass es zehn Tage gewesen sein, aber nicht mehr. Es fiel mir wirklich leicht. Das erste Stück auf der Platte, „Ich hab heute gute Laune“, das hatte ich irgendwann mal für die Big Band geschrieben. Den habe ich dann ziemlich langsam eingesungen – und wollte den dann schneller drehen. Beim Anhören dann habe ich aber auch gedacht: „Nee, das kann man den Leuten nicht zumuten …“

Alles alleine einspielen, das ist doch auch für einen Profi eine Herausforderung, oder?

Ja, denn ich habe teilweise Instrumente auch gleichzeitig spielen müssen. Bei Stücken, in denen die Harmonik zentral ist, habe ich gesungen und parallel Klavier und Rassel gespielt. Das war nötig für den Rhythmus. Zur Folge hat das allerdings dann, dass ich die Rassel auf der Aufnahme nicht mehr leiser machen konnte und deshalb ist sie zum Beispiel bei „Ich setz mein Herz auf E-bay rein“ so laut. Also habe ich sie im Video besonders in Szene gesetzt, dadurch wird sie zum Stilmittel und es passt wieder. Es braucht überall Improvisation.

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