Im Gespräch

Helge Schneider im Interview: „Ich habe einfach meine normale Jacke angelassen“


Helge Schneider verschränkt bis heute Eigensinn mit Gaga und Musik und was ihm sonst so gefällt, und kann selbst im Rentenalter nicht damit aufhören, groß- und einzigartig zu sein. Höchste Zeit für ein großes Interview mit dem Meister aus Mülheim.

„Ich setz mein Herz auf E-Bay rein“ klingt nicht nur wegen der Mariachi-Trompete nach Mittelamerika. Dieses Stakkato, das auf den Refrain zuführt, erinnert auch noch an den kubanischen Klassiker „Quizás Quisáz Quisáz“.

Das kenne ich. Aber das ist ja sehr rhythmisch. Dieses „Ich setz setz setz setz …“ bei mir hingegen – das ist eher ein Abwarten – mit einer nicht nachvollziehbaren Metrik.

Mich macht gerade das völlig wahnsinnig. Denn es ist so ein Ohrwurm, aber da er rhythmisch ungerade ist, stolpert man immer im Kopf – und das dann in Dauerschleife. Erst wenn man endlich bei „ … bei E-Bay rein“ ist, rollt es wieder.

Wenn es dich beruhigt, mir geht es nicht anders. Was ein echtes Problem war, als ich dazu das Video machen musste. Denn man ist immer asynchron zur Vorlage, da wird man natürlich sauer. Der Clip ist dennoch total super geworden. Weiß aber auch nicht, wieso.

Hat es mit den besonderen Umständen dieser Albumproduktion zu tun, dass Sie sich mangels anderer Akteure noch öfter als sonst in verschiedene Rollen aufspalten? Auf MAMA sprechen viele unterschiedliche Figuren zum Hörer.

Das würde ich nicht sagen, aber natürlich tauchen einige Gestalten auf … Dieter, den man in „Ich halt dich im Arm“ hört, ist einer meiner liebsten Charaktere auf dem Album. Man erkennt schon an der Stimme: Der ist ja viel zu klein, um jemand im Arm zu halten!

Sie sagen es selbst, Ihre Kunst hat viel zu tun mit Improvisation. Wie konnte das aber bei den neuen Songs funktionieren? Wenn man alles nacheinander einspielt, können die Instrumente doch gar nicht spontan aufeinander reagieren.

So ein Musiker bin ich gar nicht, der die Kollegen da plötzlich zu einer anderen Tonart verführen will. Ich höre viel eher immer genau hin und denke, da könnte ich jetzt dat und dat machen. Ich will also die Musik gar nicht beeinflussen, sondern ihr zuhören.

Gibt es auch etwas, was Sie bei dieser Platte unbedingt vermeiden wollten?

Mir war ganz wichtig, dass dieses Album nicht „amtlich“ klingt. Also so, als wäre es von echten Rock’n’Rollern in den 60er-Jahren gespielt worden, also mit demselben Hall, derselben Tonhöhe von damals. Unangenehme Vorstellung. Diese Musik hier soll für sich selbst stehen können.

Fast jedes der Stücke spielt in einer anderen musikalischen Welt. Von Mariachi, Soul und Cha-Cha-Cha hin zu Blues, Schlager und auch Easy Listening … Warum haben Sie so viel mit reingepackt?

Eigentlich habe ich vom Rhythmus überall nur Swing gespielt. Dass das so unterschiedlich wirkt, liegt nur an einzelnen Elementen. Wenn eine Rassel oder die Trompete dazukommt, erhält ein Song ein ganz anderes Gesicht – aber letztlich geht fast alles von derselben musikalischen Stelle aus.

Ich würde gerne auch noch auf die Texte zu sprechen kommen: Sie zeichnen darin oft sehr traditionelle Welten. Da steckt viel alte BRD darin, es tauchen anachronistische Worte wie „Fassonschnitt“ auf oder das Erzähler-Ich wird in „Der Boss“ gepeinigt von seinem Chef, der natürlich ein dicker Mann mit Zigarre ist. Neue Arbeit, neue Medien, moderne Geschlechterrollen – das findet bei Ihnen traditionell kaum Widerhall. Doch dann bricht mit dem Song „Mama“ das digitale Zeitalter herein. Sie singen von YouTube, von Instagram, E-Bay, Spotify, sogar die Plattform mobile.de taucht auf. Wie kam es dazu?

Der Boss mit der Zigarre … also das ist für mich einfach Realität, ich kenne solche Typen auch heute noch. Mit dieser Platte bringe ich beide Welten zusammen, wobei ich die neuen Medien sehr kritisch sehe: „Ich setz mein Herz bei E-Bay rein“ – da habe ich diese ganzen Liebesportale im Kopf. Bei denen es für das Glück der Leute mitunter gar nicht mehr erforderlich scheint, dass sie sich auch wirklich treffen. Diese Begegnungen verbleiben einfach im Internet, kommen niemals nach draußen, das ist doch schrecklich.

Sie haben sich immerhin zuletzt öfter per YouTube zu Wort gemeldet.

Ging nicht anders. Aber ich bin sehr vorsichtig mit dem Computer. Wenn heute jemand wie ich sagen würde, dass Merkel bekloppt sei, hätte er einen Shitstorm am Hals – würde er allerdings verlauten, wie großartig Merkel uns durch die Krise geführt hätte, dann gäbe es den Shitstorm trotzdem, bloß von einer anderen Seite. Die Leute sind zu viel allein mit sich und dem Bildschirm. Da hat sich eine große Aggression entwickelt, der sind heute alle tagtäglich ausgesetzt.

Sie selbst haben also noch nie was bei E-Bay ersteigert?

Doch, ich habe dort schon mal einen Zirkuswagen gekauft.

Einen was?

Einen Zirkuswagen. Ich habe 10 000 Euro bezahlt und musste ihn selbst abholen. Wir hatten extra einen Tieflader gemietet. Der Zirkuswagen stand dann bei unserer früheren Wohnung hinten im Garten. Mir hat er überhaupt nicht gefallen, er war innen so ausgekleidet mit Plastik, aber wir hatten ihn halt.

Charlie: War ich da auch mal drinnen?

Ja, aber damals warst du gerade erst geboren. Da kannst du dich nicht mehr erinnern. Aber über der Orgel hängt ein Bild, da hält dich dein Bruder auf dem Arm, das ist in diesem Zirkuswagen gemacht worden. Lauf doch mal rein und guck es dir an!

Charlie: Ich sehe es nicht.

Nicht diese Orgel, die große in der Küche!

Woran erkennt man einen richtigen Musikerhaushalt? Dass man erst mal erklären muss, welche Orgel gemeint ist.

Ach, ich habe doch bloß sechs …

Dieses Interview erschien erstmals im ME 09/20.