Herbert Grönemeyer: Faktor Mensch


Vier Jahre nach seinem letzten Album ist der erfolgreichste deutsche Popsängerwieder da. Herbert Grönemeyer über das Problem, nach zwei Schicksalsschlägen wieder zum Tagesgeschäft zurückzukehren, und die Fehler der großen Plattenfirmen.

MUSIKEXPRESS: Du hast nach dem Tod deiner Frau und deines Bruders im MUSIKEXPRESS-Interview im Dezember 2000 gesagt, dass du noch nicht bereit bist, an einem neuen Album zu arbeiten. Was war der Auslöser, die Motivation für „Mensch“?

GRÖNEMEYER: Ich habe zwei Jahre lang gar nichts gemacht, mich dann ab und zu zu Hause ganz zögerlich ans Klavier gesetzt. Später habe ich angefangen, die Lieder, die ich geschrieben habe, aufzunehmen. Das war alles sehr, sehr traurig, sehr schwarz. Ich habe im Grunde ein halbes Jahr gebraucht, bis ich zum ersten Mal eine Nummer geschrieben habe, die ein bisschen lockerer geworden ist. Das war vor einem knappen Jahr. Mein Produzent Alex Silva war dabei immer sehr motiviert. Er hat gesagt, „jetzt machen wir einfach mal was. Ich lege einen Beat vor, und du spielst einfach was dazu“. Wir haben uns da ganz vorsichtig rangetastet. Und dann fing es an, mir wieder Spaß zu machen. Im letzten Sommer ist die Band nach London gekommen. Wir haben viel Pausen eingelegt, wenn wir gemerkt haben, dass wir nicht richtig weiterkommen. Nach so einer persönlichen Katastrophe hängt viel von der Tagesform ab. Ich wusste, wenn ich das wieder hinkriegen würde, wäre das ein ganz deutliches Zeichen dafür, dass ich wieder ein Stück zurück zum Leben kommen würde. Musik ist für mich ein ganz zentraler Bestandteil, ein Überlebenselexier. Umso glücklicher bin ich jetzt, dass ich eine Platte gemacht habe, die irgendwas von mir erzählt- was genau, weiß ich auch nicht. Aber irgendwas ist wieder da, woran ich mich festhalten kann, woran ich auch wieder versuchen kann, meine Zuversicht zu finden.

Wie würdest du dich in der deutschen Poplandschaft einordnen?

Oh, Gott. Das ist schwer zu sagen. Was ich versucht habe zu erreichen, war ein Selbstbewusstsein für die Sprache zu erzielen. Als Weiterführung der Siebziger über die Neue Deutsche Welle. Ich wollte einfach einen Beitrag dazu leisten, ein Selbstverständnis für die deutsche Sprache im Pop zu entwickeln. Bands wie DAF oder besonders Ideal fand ich damals gut. Dieses Rotzige und ihre Attitüde haben mir gefallen. Und sie haben Deutsch gesungen. Ich denke, ich bin die Fortsetzung davon. In dieser Reihe sehe ich mich. Als einer, der versucht hat, das weiterzuführen – zwar in einer anderen Art, aber mit dem gleichen Selbstverständnis. In den Neunzigern wurde deutschsprachige Musik sehr stark, vor allem im HipHop. Der ist wirklich klasse von den Texten her. Man muss sehen, wie man das immer weiter vervollständigt, damit irgendwann einmal überhaupt keiner mehr darüber nachdenkt, dass hier Deutsch gesungen wird.

Die Wahrnehmung der Person Grönemeyer in der Öffentlichkeit hat sich seit „Bleibt alles anders“ gewandelt. Hipster wie Benjamin von Stuckrad-Barre outen sich als Grönemeyer-Fans. Woran liegt das?

GRÖNEMEYER: (gibt die Frage an seinen Produzenten Alex Silva weiter)

ALEX: Ich glaube, dass das einfach eine unterschiedliche Wahrnehmung ist. Denn du warst ja immer der gleiche Mensch.

GRÖNEMEYER: Ein Album wie „Bleibt alles anders“ hatte man nicht unbedingt von mir erwartet. Die Leute wollen ja, dass ich zum siebzigsten Mal „Männer“

und zum dreihundertsten Mal „Flugzeuge im Bauch“ schreibe…

… kein schlechter Song …

… Ich will mich nicht unbedingt selber wiederholen. Das heißt nicht, dass ich es darauf anlege, immer anders zu sein, aber ich versuche, mich weiterzuentwickeln. Die Leute, die das mitgehen wollen, gehen das mit, und die Leute, die das nicht mitgehen wollen, lassen’s halt bleiben. Ich schreibe für die Fans von mir, die auch willens sind, etwas Neues zu suchen. Ich stelle mich immer wieder zur Debatte und dann kommen eben Platten heraus wie „Bleibt alles anders“, bei der manche sagen: „Was ist das denn?“

Glaubst du, dass die Mehrheit deines Publikums deine musikalischen Veränderungen wirklich zu schätzen weiß, oder kaufen die alles, wo Grönemeyer drauf steht?

Ich glaube nicht, dass die alles kaufen, wo Grönemeyer draufsteht. Das sieht man an den Plattenverkäufen. Da gibt’s ja auch Schwankungen.

Aber sie verkaufen alle sehr, sehr viel.

Ja… aber. Ich glaube, „Bleibt alles anders“ ist teilweise auch von Leuten gekauft worden, die vorher nie eine Grönemeyer-Platte gekauft haben. Und umgekehrt haben auch viele diese Platte nicht mehr gekauft. Es gibt sicherlich ein paar Hardcore-Fans, die alles von Grönemeyer kaufen, aber sehr viele muss man immer wieder dazugewinnen und andere verliert man. Das Risiko muss man halt auch eingehen, sonst stellt man sich ja selber an. Und ich will nicht meine eigene Firma gründen (lacht) Mit Grönland hast du ja deine eigene Firma gegründet.

Aber das ist was anderes.

Die Sachen, die du auf dem Grönland-Label veröffentlicht hast – die „Pop 2000“-Geschichte, die Neu!-Wiederveröffentlichungen oder Bands wie Bombay 1 – richten sich ja primär eher nicht an dein Publikum.

Nicht unbedingt. Alle kleinen Labels sind dadurch entstanden, dass die großen Plattenfirmen den Künstlern nicht mehr soviel Heimat bieten, weil sie inzwischen zum Teil mit ganz anderen Problemen konfrontiert sind, mit Absatzproblemen, mit dem Aktienmarkt, mit der Börse. Die Zeiten, die ich in den Achtzigern kennen gelernt habe, als das Verhältnis zwischen Künstler und Company sehr eng war, die sind vorbei. Dafür können die Plattenfirmen nichts, das hat etwas mit der Struktur zu tun, mit diesen Riesenkonzernen, die sich untereinander aufkaufen. Die kleinen Labels sind dichter dran an den Künstlern, sie arbeiten enger zusammen, wissen mehr über ihre Bedürfnisse und sind in jeden Schritt, den sie machen, involviert. Irgendwann werden die Konzerne die Indies beneiden um die Freude, die sie haben, weil sie mit Menschen arbeiten. Die Großen haben auch keine Leute mehr, die sich für den Geist dahinter interessieren…

… und für die Musik.

Ja. Sie haben kein Interesse an Musik. Sie wollen auch keine A&R-Leute mehr haben, sie wollen lieber Marketing machen. Der größte Fehler der Plattenfirmen war es, an die Börse zu gehen. Man kann nicht mit einer künstlerischen Firma an die Börse gehen. Das ist unmöglich. Das kannst du machen, wenn du Seife oder Kölnisch Wasser verkaufst. Plattenfirmen gehören nicht an die Börse, das ist lächerlich.

Was ist es für ein Gefühl, vor 60.000 Menschen in einem Fußballstadion zu stehen?

(denkt lange nach) Ein Konzert ist erstmal ein Konzert. Ob man im Club spielt oder in den großen Stadien. Man hat ein Interesse daran, gemeinsam mit den Leuten einen Abend zu verbringen, an dem beide Seiten nach Hause gehen und sagen: „das war okay.“ Wenn ich im Amsterdam im „Paradiso“ vor 1200 Leuten spiele, dann ist das für mich ähnlich, wie wenn ich im Stadion spiele. Was im Stadion imposant ist, ist die Kulisse. Zum Teil ist es dort schwierig, weil man eine große Bewegung erzeugen muss.

Hast du dann das Gefühl, Macht über die Menschen zu besitzen?

Man muss sich davor hüten, es darauf anzulegen. Ich denke eher, das Konzert war dann gut, wenn das Publikum eben nicht stockt, nicht zu einer Masse wird, sondern wenn man das Gefühl hat, dass es sich entspannt, dass die Menge am Schluss aufgelockert wird – ich meine keine homogene Menge sondern eher eine aufgelöste Menge. Wer Macht zelebrieren will, schiebt die Leute immer komplett an…

So wie Rammstein?

Ich habe noch nie ein Rammstein-Konzert gesehen.

Ich schon.

Weiß ich nicht. Man geht ja auf die Bühne, weil man eitel ist. Das ist der Grundzug eines Künstlers. Man muss sich aber davor hüten, das als Machtbeweis anzusehen. Denn dann wird’s kritisch. Man geht nicht mit einem Machtgefühl in die Garderobe zurück.

Aber es ist zumindest ein gutes Gefühl.

Es ist ein klasse Gefühl! Es ist ein Gefühl der Freude, es hat was mit Energie zu tun und mit dem Austausch von Energie.

Was ist wichtiger: Text oder Musik?

Für mich ist die Musik wichtiger. Aber wenn ich sowas in Deutschland sage, kriege ich wieder große Probleme (lacht). Man kann Musik und Text nicht trennen, der Text ist ein Bestandteil der Musik. Die Musik ist bei mir keine Untermalung der Texte, sondern es ist umgekehrt. Sprache ist wie eine gut gespielte Gitarre oder wie ein Klavier.

Wenn ich alte Texte von mir lese, krieg ich manchmal Gänsehaut, aber nicht, weil sie so gut sind…

(lacht) … geht’s dir genauso?

Ja, es gibt Texte, bei denen ich auch sage, „was hast du dafür Stilblüten geschrieben?“ Es gelingt dir nicht jedes Lied auf einer Platte. Das ist auch nicht machbar. Das Problem ist, du musst deine schlechten Texte heute noch singen.

Nee, die Lieder sing ich aber nicht mehr, (lacht)

Zum Beispiel?

„Fangfragen“ auf „Bochum“ finde ich schwach. „Wieder erwischt“ auf „Bochum“. Ich find „Freunde“ auf „Ö“ schwach. „Herbsterwachen“ von „Ö“ ist okay, aber auch nicht so ganz stark.

Inwieweit kann man als politisch motivierter Sänger gesellschaftliche Veränderungen herbeiführen?

Ich glaube, dass man viel verändern kann. Es ist nicht so, dass wegen der Rockmusik gravierende Umstürze passiert wären. Grundsätzlich ist Musik dazu da, die Leute zu motivieren. Rupert Neudeck zum Beispiel hat mir einmal geschrieben, dass das Team der „Cap Anamur“ immer meine Platte „Bochum“ gehört hat. Das ist vielleicht ein ganz gutes Beispiel dafür, dass Musik Leute bewegen kann, politisch zu arbeiten.

Schröder oder Stoiber?

Am Besten beide zusammen. Die sind beide so blass, dass sie vielleicht zusammen ein Ganzes ergeben. Vielleicht sollte man sie als Doppelpack nehmen. Das denke ich, wäre keine schlechte Lösung. Denn es gibt nur ein zentrales Thema, das ist die Wiedervereinigung. Das können ja beide gemeinsam versuchen zu bewerkstelligen. Sie ergänzen sich in Pflegewirkung und G eruch. Die sollten zusammen eine neue Partei gründen. Man weiß ja eh nicht, was die Unterschiede zwischen ihnen sind. Ich denke, die würden zu zweit mehr hinkriegen als einer alleine. Sie sind beide Durchgangspolitiker. Beide stellen sich nicht der Aufgabe der Wiedervereinigung. Das wird die nächste Politikergeneration übernehmen. Stoiber und Schröder vermitteln keine Visionen darüber, welche Chancen in der Wiedervereinigung und in der Vielfältigkeit Deutschlands liegen – wer sich keine Gedanken darüber macht, wie man die Sprachlosigkeit zwischen Ost und West abbauen kann, hat irgendetwas von seinem Land nicht verstanden.

Was wurde der Herbert von heute dem Herbert aus der „Bochum“-Phase raten, wenn er ihn treffen würde ?

(denkt lange nach) Ich würde sagen, du darfst dir nicht vorstellen, dass es so leicht ist, den Erfolg zu handhaben. Das ist ein ziemlich schweres Gewicht. Und du könntest alles auch et was gelassener angehen. Da hätte mir eine gewisse Gelassenheit ganz gut zu Gesicht gestanden.

Würde dein 84er Ich deine Ratschlage annehmen? Nein. Mit Sicherheit nicht (lacht). Angenommen, du wärst dein eigenes Kind, wärst du mit dir als Vater zufrieden?

Wenn ich früh genug einsehen würde, dass Väter auch nur Menschen und extrem fehlbar sind, dann könnte es sein. Ansonsten: mittel vielleicht, zufrieden nicht. Aber ich würde vielleicht ab und zu sagen: Er ist nicht ganz so schlimm.

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