Herbie Hancock: Captain Future


Er war Inspiration für eine Generation elektronischer Musiker. Jetzt lässt sich Herbie Hancock von den Beeinflussten beeinflussen

Uncooler ging’s damals kaum. Ende der achtziger/Anfang der neunziger Jahre es war zur Hoch-Zeit von Post-Punk und Prä-Grunge – gab es kein schlimmeres Vergehen wider den guten Geschmack als ein Album von Herbie Hancock aus den siebziger Jahren im Plattenschrank stehen zu haben. Das war schon besser im Keller aufgehoben, für den Fall, dass Freunde unangemeldet zu Besuch kommen würden. Denn damals spielte die Gitarre die erste Geige in der populären Musik, und die Jazz-Rock-Fusion überließen die Hipster schon lieber den BWL-Studenten, der Jungen Union und Roger Willemsen. Das sollte sich dann im Jahr 1993 schlagartig ändern, als die Londoner Acid-Jazz-HipHop-Posse US 3 um ein Sample aus Hancocks „Cantaloupe Island“ ihren Crossover-Hit „Cantaloop“ aufbaute. Plötzlich stand nicht nur der Name Herbie Hancock wieder ganz oben auf der Liste, sondern seine Musik wurde in der Folgezeit auch eine sprudelnde Sample-Quelle für elektronische Musiker jeglicher Art – von Underground-HipHoppern wie etwa Slum Village bis hin zu ausgewiesenen Eklektikern wie Global Communication. Und Musiker wie die Münchener Fauna Flash – der Autor kann es bezeugen bekommen leuchtende Augen, wenn die Sprache auf Herbie Hancock kommt.

Auf seinem aktuellen Album „Future 2 Future“ arbeitete Hancock unter der Führung von Bill Laswell, der ihn schon in den achtziger Jahren mit den höheren Weihen der Coolness ausgestattet hatte, mit einer Hand voll zeitgenössischer Elektroniker wie DJ Krush, A Guy Called Gerald und Carl Craig zusammen. Der Beeinflusser lässt sich also jetzt von den Beeinflussten beeinflussen. Wer aber nun glaubt, in der 61-jährigen Jazzlegende einen scharfen Analytiker der aktuellen Musikszene vor sich zu haben, wird bald als hoffnungsloser Kulturromantiker überfuhrt werden. „Bill Laswell hat mir erzählt, dass viele der neuen elektronischen Musiker, die aus der HipHop-Szene hervorgegangen sind, von meinen Arbeiten aus den frühen siebziger Jahren beeinflusst sind, von Platten wie ‚Sextant‘ oder ‚Crossings‘, also noch aus der Zeit vor ‚Head Hunters‘. Das das hat mich sehr überrascht, weil das doch Avantgarde-Musik ist.“ Hancocks Offenheit fördert nicht nur ein gewisses Maß an Unwissenheit zutage sondern hat auch etwas Charmantes an sich. Nein, was in der aktuellen Popszene vorgeht, weiß er nicht so recht, sagt er, gelobt jedoch, die Wissenslücken baldmöglichst zu schließen. „Ich habe auch keinen von diesen Leuten, die auf ‚Future 2 Future‘ mitmachen, vorher gekannt. Ich habe mich mit dieser Szene nicht beschäftigt.‘ Das haben sein Manager und Produzent Laswell für ihn übernommen. Aber üben wir Nachsicht, der Mann feiert schließlich am 12. April seinen 62. Geburtstag und hat in den vergangenen vierzig Jahren schon genug für die Entwicklung der populären Musik getan.

In den fünfziger Jahren galt Hancock als Wunderkind auf dem Klavier. Als Elfjähriger trat er mit dem Chicago Symphony Orchestra auf und interpretierte ein Klavierkonzert von Mozart. Sein erstes Album „Takin‘ Off“ mit dem Hit „Watermelon Man“ machte ihn zum Star – nicht nur in der Jazzwelt. 1963 schloss sich Hancock dann dem Miles Davis Quintet an, das wenig später in der Besetzung mit Wayne Shorter, Ron Carter und Tony Williams die Bezeichnung „klassisch“ verliehen bekommen sollte. In den frühen siebziger Jahren elf seiner Platten kamen damals in die Billboard-Pop-Charts – experimentierte er mit (teils avantgardistischer) Fusion-Musik. Sein Forscherdrang fand 1983 einen vorläufigen Höhepunkt mit dem auch von Bill Laswell produzierten Electro-Funk-Klassiker „Future Shock“, der mit „Rockit“ wieder einen internationalen Hit enthielt. „Rockit“ mit seinen Scratches und HipHop-Beats wurde von Jazzpuristen damals als minderwertige Unterhaltungsmusik verschmäht, leistete jedoch einen nicht unwesentlichen Beitrag zur Popularisierung des HipHop, der fünfzehn lahre später endgültig im Mainstream ankommen sollte.

Herbie Hancock als Taufpate des HipHop? „Natürlich fühle ich mich geehrt, wenn ich so etwas über mich höre. Aber wenn ich den HipHop nicht populär gemacht hätte, dann hätte es eben ein anderer getan.“ Anfang der achtziger lahre hatte Hancock zum ersten Mal scratchende DJs gehört und beschlossen, dass er auch ein bisschen Scratching auf seiner nächsten Platte haben wollte. „Ich wollte sowieso ein Electro-Album machen. Ich mochte den Gedanken, dass es sehr futuristisch werden würde.“

Futurismus, Zukunft, Wissenschaft sind nicht nur beliebte Stichwortgeber für Hancocks Albumtitel, sondern auch Schlüsselworte in seinem Leben und eine Erklärung für seinen musikalischen Forscherdrang. „Aber die Gegenwart“, sagt er, „ist immer die spannendste Phase in meinem Leben. Wenn’s nicht so wäre, warum sollte ich dann die Dinge tun, die ich mache? Ich weiß, dass viele Leute lieber in der Vergangenheit leben, weil es einfach bequemer ist. Für mich ist es dagegen unbequem, wenn die Dinge zu bequem werden. Weil es dann langweilig wird.“ Was erwartet der Gegenwartsfan von der Zukunft? „Die Musikbranche wird sich stark verändern, die Vertriebsstrukturen und das alles. Davor haben die Plattenfirmen Schiss. Sie haben Angst davor, dass sie ihr Geschäft nicht mehr so ausüben können wie früher. Ich habe zum Beispiel der Polygram vor langer Zeit einmal geraten, dass sie jemanden einstellen sollen, der sich um die neuen Technologien kümmert. Aber sie haben nicht auf mich gehört. Sie haben gesagt: ‚Ja, ja, machen wir.‘ Ein paar Jahre später kam Napster auf, und plötzlich haben sich alle in die Hose gemacht. Wenn die großen Plattenfirmen nicht umdenken, werden sie nicht überleben, und die Independent-Labels werden die neuen Leader. Die Plattenfirmen sind einfach zu groß, zu aufgeblasen. Es dauert viel zu lange, bis dort eine Entscheidung fällt.“

www.future2future.com