HIM


Der erste Shooting Star des neuen Jahrtausends heißt Ville Valo und stammt aus Finnland. Mit der Band HIM nahm er die Charts im Sturm.

ZWEI ALTE FURZE“. SO VERNICHTEND LAUTET SEIN URTEIL, WENN Ville Valo laut über zwei Säulenheilige des Pop nachdenkt. Gemeint sind David Bowie und Jim Morrison. Doch das verschmitzte Grinsen von Valo verrät, dass man seine Ikonenschändung nicht allzu ernst nehmen soll. Der 23-jährige Finne, Herz und Hirn von HIM, ist nur leicht angenervt von den ewigen Vergleichen zwischen Bowie und Morrison auf der einen, und ihm auf der anderen Seite. Zu oft seien in seiner kurzen Karriere als Frontman von HIM (His Infernal Majesty) schon Parallelen zwischen ihm und den beiden Berühmtheiten gezogen worden, meint VaJo, um gleich darauf eine Lobeshymne anzustimmen. Natürlich halte er sowohl Morrison als auch Bowie für „großartige Künstler“, und selbstverständlich fühle er sich ungemein geehrt, wenn sein Name in einem Atemzug mit diesen zwei Ausnahmeerscheinungen des Rockbusiness genannt werde. Aber auf die Dauer nerve es eben doch: „Ich finde solche Vergleiche immer dann äußerst dämlich, wenn sie nur auf der Optik beruhen.“ Deshalb hat Valo sich auch die Frisur leicht verändert und dazu etwas Make-up aufgelegt. Vergleiche mit Jim Morrison selig dürften nun passe sein. Da bietet sich schon eher Brian Molko von Placebo an. Doch das will Valo erst recht nicht hören: „Um Gottes Willen. Ich hasse Brian Molko. Er ist der schlechteste Sänger aller Zeiten. Von Jim Morrison zu Brian Molko – was für ein Abstieg.“ Und weiter: „Was meine Musik und meine Texte angeht, gibt es mit keinem der Genannten irgendwelche Gemeinsamkeiten.“

Das stimmt zwar so nicht wirklich, doch Ville Valo sucht ganz bewußt die Abgrenzung. Weiß er doch sehr genau, dass Vergleiche mit etablierten Künstlern einem neuen Art beim Publikum Starthilfe geben können, dass sie allerdings auch schnell zu einem Stempel werden, den man so schnell nicht mehr los wird. Demzufolge gibt sich der Kopf von HIM selbstbewußt. Und dazu hat er allen Grund. Valos Debütalbum, „The Greatest Lovesongs Vol. 666“, und die dazugehörige Single, eine metallische Cover-Version des Chris Isaak-Hits „Wicked Game“, verhalfen ihm gleich in mehreren Musikzeitschriften zum Titel „Newcomer des Jahres 1998°. Die Single „Join Me“ aus Valos aktuellem Album „Razorblade Romance“ verdrängte im Januar die Werke weit bekannterer Musiker von der Spitze der deutschen Charts. Dabei war sie ursprünglich nur als Auskopplung aus dem Soundtrack zu dem von Roland Emmerich produzierten Film „The 13th Floor“ gedacht. Der jedoch floppte böse. Ganz im Gegensatz zu „Join Me“ und dem dazugehörigen Longplayer.

Dabei findet sich auf der Platte nichts wirlich Neues oder Überraschendes. HIM bleiben bei ihrem massentauglichen Mix aus süßlichen Melodien und harten Gitarren, dem Valos Stimme einen besonderen Reiz verleiht. Insgesamt ist „Razorblade Romance“ noch eine Spur eingängiger und damit chart-kompatibler ausgefallen als sein Vorgänger. Mit Hilfe von Produzent John Fryer, der auch schon für Depeche Mode und Nine Inch Nails gearbeitet hatte, konnten Valo und seine Kollegen (KeyboarderZoltan Pluto, Bassist Mige Amour, Gitarrist Lily Lazer und Schlagzeuger Gas Lipstick) ein Album vorlegen, das bei Pop- und Metalfans gleichermaßen großen Anklang fand. Valo erklärt die Entwicklung hin zu melodiöserem Material so: „Ich habe darauf geachtet, die neuen Songs simpler zu halten. Bei der letzten Tour hatten wir gemerkt, dass einige Songs nicht gerade hörerfreundlich ausgefallen waren. Ich will, dass wir künftig als Rockband eingeordnet werden, denn Metal hatte nie einen großen Einfluss auf mich. Als ich aufwuchs, habe ich zwar Kiss gehört, aber auch viele Sachen aus den sechziger und siebziger Jahren.“ Auch die Art und Weise, wie er auf der Bühne den Frontmann gibt, beweist, dass Valo sich im Rockbereich heimischer fühlt als im Metal-Metier. Seine Gestik, seine Mimik, seine gesamte Inszenierung macht es den Fans leicht, ihn als Projektionsfläche für ihre Gefühle zu sehen. Vor allem, wenn es um das rätselhafte Reich der romantischen Liebe geht, das HIM in ihren Songs nur allzu gerne thematisieren. Valo selbst sieht das so: „Meine Musik ist eine Art Tagebuch. Es geht darum, in den Songs Stimmungen wiederzubeleben, an die man sich gerne erinnert. Allerdings glaube ich nicht, dass ich sonderlich romantisch bin. Begriffe wie ,ewige Liebe‘ erscheinen mir übertrieben, beinahe klebrig. Meine Geschichten handeln von jenen kleinen, alltäglichen Dingen, die Beziehungen groß und mächtig werden lassen.“ Bevor seine Poplyrik in die Kategorie „Kitsch“ rutscht, erinnert Valo sich stets daran, wie vergänglich gerade Gefühle sein können. Beziehungen sind für ihn eine Synthese aus guten und schlechten Erfahrungen, die sich am Ende ergänzen – „ein Art Yin und Yang der Emotionen“, hören wir den jungen Philosophen sprechen, bevor er zu einer ausführlicheren Erklärung anhebt: „Manchmal mußt du etwas zerstören, um etwas Neues erschaffen zu können. Es darf nicht immer nur positive Erlebnisse geben. Ich vergleiche das mit gutem Essen. Wenn du jeden Abend im Nobelrestaurant isst, dann hängt dir auch das irgendwann zum Hals heraus. Oder anders formuliert: Wie sollst du wissen, was schön ist, wenn du das Hässliche nicht kennst?“ Mitverantwortlich für solche Gedanken ist Valos Liebste, die der sensible Sänger zu seiner Muse erhoben hat. Ihr ist auch das aktuelle Album gewidmet.

Die Beziehung zu seiner Herzensdame ist nicht nur die Quelle von Ville Valos Inspiration, sie gibt ihm auch die nöüge (Selbst-) Sicherheit im harten Musikgeschäft. Dabei hat Valo lange Zeit kein Wort über seine Freundin verloren – „um die weiblichen Fans nicht zu enttäuschen“, wie er heute unumwunden zugibt. Irgendwann erkannte er aber, dass er auf dem besten Wege war, sich zum Sklaven eines bisweilen erbarmungslosen Business‘ zu machen. Zwar lehnt Valo es immer noch ab, vor Fremden sein Privatleben auszubreiten. Doch das „starke Zusammengehörigkeitsgefühl innerhalb der Band“gibt ihm genügend Rückhalt, das Thema „Freundin“ zumindest anzuschneiden. Offener redet Valo allerdings über sein Verhältnis zu den Mitgliedern seiner Band: „Bei uns hat jeder seine Aufgabe. Mige, den Bassisten, und Lily, unseren Gitarristen, kenne ich seit über zehn Jahren. Sie sind meine besten Freunde.“ Ist doch positiv, möchte man Ville zurufen. Genauso positiv wie die Resonanz auf das aktuelle Album, zu dem Valo unbedingt noch etwas loswerden will: „Der letzte Song des aktuellen Albums, ‚One Last Time‘, hat einige Leute überrascht, weil er eine freundlichere Atmosphäre verbreitet als die, die man von unseren anderen Liedern gewöhnt ist. Der Opener ‚I Love You, Prelude To Tragedy‘ soll darauf hinweisen, welch sinnlosen Kampf die Liebe mit sich bringen kann. Und auch die anderen Stücke auf’Razorblade Romance‘ haben einen eher ernsten Hintergrund. Da war es mir ein Anliegen, das Album zumindest mit einem ansatzweise fröhlichen Song ausklingen zu lassen.“

Nicht mal „ansatzweise fröhlich“ reagiert Ville Valo, wenn man ihn mit seinem Image als neues Sexsymbol des Pop konfrontiert, das dem androgyn wirkenden Musiker von besümmten Medien so gern angehängt wird. Nein, gibt er zu Protokoll, sein Image habe mit der Musik von HIM nun wirklich nichts zu tun. Dennoch räumt Valo ein, die Mechanismen des Musikbusiness‘ – wozu bekanntlich auch Imagefragen und der Umgang mit den Medien gehören – nicht gänzlich außer Acht zu lassen. Vielleicht auch, um die hochgesteckten Erwartungen des Publikums zu erfüllen? „Als Künstler versuchst du, dem Publikum deine Gefühlswelt zu vermitteln. Klar, dass ich die Aufmerksamkeit, die mir dadurch zuteil wird, durchaus genieße.“ Wobei es Valo wichtig ist, sich das notwendige Maß an persönlicher Freiheit zu erhalten: „Neben der Musik möchte ich auch mit meinem Aussehen spielen können. Niemand versucht, bei einer FoDer erste Shooting Star des neuen Jahrtausends heißt Ville Valo und stammt aus Finnland. Mit der Band HIM nahm er die Charts im Sturm.

tosession schlecht auszusehen. Unterm strich aber wird auf die Optik zu viel Wert gelegt.“ Wer würde da ernsthaft widersprechen? Auf der anderen Seite weiß jeder, dass die Erfolgschancen für einen hübschen Popmusiker besser stehen als für einen hässlichen. Auch vor diesem Hintergrund hat Ville Valo ziemlich gute Karten. So gut jedenfalls, dass der Kult um seine Person zu Hause in Finnland beinahe schon bedrohliche Züge angenommen hat. Doch auf solche Erscheinungen reagiert Valo mit einer gewissen Distanz: „Ich meide Menschen, die sich mir gegenüber unterwürfig verhalten. Bei dummen Komplimenten höre ich einfach weg. Solche Gespräche langweilen mich ohne Ende.“

Sagt’s und signalisiert gleichzeitig, dass er auch noch andere Aufgaben hat als die des Interviewpartners. Eines aber ist Ville Valo zum Abschluss noch wichtig: „Popmusik ist doch letzten Endes nichts weiter als ein Produkt, das der Käufer kurze Zeit konsumiert, um es dann wegzuwerfen“.