Hip-Hop-Flop


Was zuviel ist, ist zuviel. Breakdance hier, Breakdance dort. Wo man geht und steht-fliegende Beine, weiße Handschuhe und scheppernde Ghettoblaster. Im Fernsehkurs kann’s nun auch Erna Müller lernen und lange wird’s nicht mehr dauern, bis uns die Werbung selbst Babypuder per Breakdance verkaufen wird. Break ist ein Brechmittel meint jedenfalls Wolfgang Welt, der von den Hip-Hop-Hampelmännern die Nase gestrichen voll hat…

Nun brechen sie wieder. Während der vergangenen sechs Wochen Schulferien genoß ich beim samstäglichen Einkaufsbummel in der Innenstadt die geradezu göttliche Ruhe. Jetzt aber – der Urlaub mit Mami und Papi in Südtirol ist ausgestanden, das angesparte Taschengeld verpraßt – knacken wieder die Knochen. Auf ihren abgeschabten Pappdeckeln vollführt die bleiche Breakdance-Generation ihren letzten Tanz. Noch einmal, bevor endgültig der Herbst einkehrt, darf gebrochen werden.

Natürlich haben sich die zehn-, zwölfjährigen Kids die Kommerz-Meile, die Fußgängerzone, für ihren „Floorrock“, „Hip Hop“, „Mr. Robot“ oder „Mechanical Man“ ausgesucht. Hier, im Eingang vom Kaufhof, trifft Grandmaster Flash auf Grandmaster Cash. Die Geschäftsleitung hat nichts dagegen; wer einmal für die niedlichen Jungs das Portemonnaie gezückt hat, wird zwei Schritte weiter im Laden wahrscheinlich weiterzücken.

Der Bettler mit der Mundharmonika auf der anderen Seite, dem Arbeit, Obdach und das linke Bein fehlen, ist bei Karstadt weniger gelitten. Mit seinem „La Paloma“ kann er, schon von der Lautstärke her, nicht gegen Herbie Hancocks „Rockit“ anstinken. Folglich bedecken nur ein paar Kupferlappen den Boden seiner Prinz-Heinrich-Mütze, die wohl noch aus der Zeit vor der großen Wende stammt.

Die Breaker machen da schon einen besseren Schnitt. Nicht nur, daß sie mehr Leute aller Altersklassen mit ihren „Crabs“ und „Butspins“ anlocken; auch ihr Spendenaufkommen würde so manchen alten Haudegen unter den Straßenmusikanten vor Neid erblassen lassen.

Der Punk, der sich neben mir in seiner verwitterten Lederjacke Baujahr 77 das Schauspiel anguckt, sieht verdammt alt aus. Und Sid Vicious war noch nie so tot. Ein ehemaliger Studienkollege von mir, heute arbeitsloser Pädagoge, streicht sich durchs schüttere Haar und fragt mich, wie es wohl so weit kommen konnte.

Angeblich, so erzählt uns die Mär, soll ja der Breakdance aus einer schwarzen Protestbewegung stammen. Seine Wiege wird in der New Yorker South Bronx angesiedelt, in jenem verfallenen Stadtteil, der so aussieht wie Dresden nach dem Bombenangriff. Die abgehackten Bewegungen sollten die innere Zerrissenheit des Schwarzen in einer ihm fremden Zivilisation verdeutlichen, wobei der neue Veitstanz als blutarmer Ersatz für die einstigen Bandenkämpfe fungiert. Vielleicht fühlen sich die Kids in Amerika ja auch alle wie kleine Roboter in der großen Traumfabrik USA. Mein Freund jedenfalls hält das Ganze für Erfindung eines Sozialarbeiters. „Ich kann mir nicht vorstellen, daß die Ghetto-Kinder von alleine auf sowas gekommen sind!“

Wie auch immer: Der Breakdance war/ist dieses Jahr die große Mode, this years model, so wie letztes Jahr Aerobic, davor das Roller-Skating und einst auch, in verwässerter Form, Punk und New Wave. Von all dem ist nicht viel geblieben.

Die Industrie und mithin unsere U’msatzorientierte Gesellschaft ist auf derlei Phänomene angewiesen; nicht zuletzt die Medien – Presse, Funk und Fernsehen – suchen händeringend nach immer wieder neuen Sensationen, wobei es im Idealfall zu einem reibungslosen Zusammenspiel sämtlicher Bereiche kommt – auf daß bei allen die Kasse klingle.

Aerobic, wie das Roller-Skating, war in erster Linie optisch zu vermitteln. Sydne Rome, die in Europa für den kurzzeitigen Durchbruch der schlankmachenden Turnerei ihren makellosen Körper zur Verfügung stellte, brachte in diversen Fernsehshows die Leute ins Schwitzen. Die Bekleidugsindustrie witterte für die Ausstattung der kommenden Aerobic-Fans den riesigen Reibach; Aerobic-Studios wurden aus dem Boden gestampft; das Fernsehen rechnete Einschaltquoten hoch und hob einen (quälend langen) Kurs ins Programm. Die Musik dazu durfte Ralph Siegel schreiben und per Platte versilbern – nicht der erste und sicher nicht der letzte Fall eines engen Zusammenspiels zwischen Medien, Plattenfirmen und diversen anderen Industriezweigen.

Aber die Mode hielt nicht lange an, auch wenn Harald Junke noch mal nach einer bei Frank Elstner (absichtlich?) verlorenen Wette mit seinem champagner-durchtränkten Leib auf dem Kudamm den Affen markierte.

Mehr noch als bei Aerobic wirken bei der Propagierung des Breakdance verschiedene Faktoren zusammen: Zu dem optischen Element kommt eine spezifische Musik, verbrämt mit ideologischen Betrachtungen. Die Tänzer wollen die richtigen Klamotten anziehen, brauchen Knieschoner, Schirmmützen und weiße Handschuhe wie Sargträger. Sie brauchen überdimensionale Ghetto-Blaster und die Musik, die aus ihnen erschallt.

Damit nun aber diese Produkte auch an den Mann gebracht werden können, muß vorher für sie geworben werden. Und das läuft „hierindiesemunseremlande“ immer noch am billigsten über die großen TV- Shows ab: Fuchsberger, Elstner, Thoelke, Illmann, Gottschalk lassen sich gerne den letzten Schrei für ihre Sendungen aufschwatzen.

Die werbende Industrie will da natürlich auch nicht zurückstehen und bringt ihre neuen Limonaden und Kaugummis per Breakdance an den Mann. Der Film, früher mit an erster Stelle in der Propagierung von Trends, bevor es das Fernsehen dann schneller und weitgestreuter tat, hinkt heute hinterher. Da kommt mit einiger Verspätung noch der eine oder andere Streifen in die Kinos („Beat Street“ und „Breakin“), und Gottschalk/Krüger werden bestimmt in ihrer neuen Supemasen-Klamotte eine Breakdance-Nummer eingebaut haben. Doch im Grunde hat das Celluloid weitgehend zugunsten des Videos seine Rolle als Vermittler der aktuellen Popkultur-Mode verloren. Natürlich hat auch die Platten-Industrie ihre Schäfchen ins Trockene gebracht. Keine Firma, die in diesem Jahr nicht irgendeinen Breakdance-Sampler veröffentlicht hat mit irgendwelchen NoName-Scratchem, die man so schnell vergißt wie die Lottozahlen vom letzten Samstag.

Ich gebe dem einbeinigen Obdachlosen ’ne Mark fuffzig für ein Bier, damit er gut mit „La Paloma“ durch den Winter kommt und frage mich, welche neue Sau 1985 durchs Dorf laufen wird.