Hirnflimmern


Plastic Beach – ich war da. Er liegt in Portugal, Monte Clérigo, an der Algarve, nicht weit von Aljezur. Wenn man an den ganzen exotischen Namen vorbei ist, das betörende Panorama des von Steilküstenfelsen gesäumten Strandes in sich aufgenommen hat und sich in den warmen Sand sinken lässt, setzt man sich auf ein Stück Kunststoffnetz. Man zieht es aus dem Sand und fördert ein abgebrochenes Plastikrohr und die ausgeblichene Verschlusskappe einer Wasserflasche mit zu Tage. Dann sieht man gleich noch zwei solche Verschlusskappen liegen. Und da drüben, noch ein Rohr, Stücke von Kunststoffgitter, zerdrückte Plastikflaschen, Plastiksplitter, und hier, stecknadelkopfklein und glatt wie rundgeriebene Steinchen: Plastikgeröll! Und: Verschlusskappen, Verschlusskappen, Verschlusskappen. Die Dünen sind gesprengselt davon, sie stecken im Sand, anstatt der Muscheln. Ich sammle einen ganzen T-Shirt-Bauchbeutel voll in der Zeit, die zwei Songs von Plastic Beach dauern, auf einer Fläche nicht viel größer als ein Wohnzimmer.

Wenn man einmal darauf aufmerksam geworden ist, es nicht mehr ausblenden kann und überall das Plastik sieht, an jedem Strand, an dem man sich niederlässt, „törnt es echt hab“, wie mein Freund Arno betreten einräumt, wenigstens schön retro formuliert. Die Meere sind voll und die Strände sind voll, und man weiß nicht, was deprimierender ist: Dass es auf dem letzten unentdeckten Eiland irgendwo in der Karibik genau so aussieht. Oder dass wir mit unserem Konsumverhalten in den zwei Urlaubswochen unser Scherflein zur Plastikmehrung beigetragen haben.

Nur an einem, dem falschen Ende haben wir Plastik gespart: Ich vergaß, CDs zu brennen für die Anlage im Gemeinschaftsmietwagen. Und Radio … Ist Ihnen im Urlaub mal aufgefallen, dass es offenbar auf der ganzen Welt nur noch zwei Arten von Radiomusik gibt? Da sind zum einen Coldplay-hafte Bombast-Softrock-Geschichten. Und zum anderen rihannige Synthetik-R’n’B-Dance-Pop-Geräte. Jeweils mehrere Güteklassen billiger produziert als die Originale und in der jeweiligen Landessprache gesungen, aber soundmäßig globalisiert und auf den kleinsten gemeinsamen Nenner gebracht. Immer wieder – bei Ausflügen zu abgelegeneren Plastikstränden etwa – unterbrach ich entnervt den Sendersuchlauf und kehrte zurück zur einzigen CD an Bord: der im Handgepäck mitgereisten Mai-ME-CD. Und stellte fest, dass man MGMTs „Flash Delirium“ gut und gerne sieben Mal am Stück hören kann, alle paar Tage über Wochen hinweg, und der Song bleibt so toll, wie er ist. Nur einmal stieß ich im Radio auf Gold: Da sang der gute alte Schmalzmeister Dean Martin für uns eine Weise aus bella Italia, und für berückende vier Minuten fuhren wir auf holpriger Straße unter einer Pinienallee und es war ringsum 1957. Da tranken auch an der Algarve noch alle aus Glasflaschen.