Kolumne

Hirnflimmern: Josef Winkler über den Musikgeschmack von Kindern


Josef Winkler mag kein Kindermusiklemming sein.

„Oh Mann, du sollst die Beatles anmachen“, pflaumt mich mein Zweieinhalbjähriger an. Äh, eigentlich sagt man da „bitte“, Freundchen!, aber zum Erziehen bin ich gerade zu baff über die prägnante Wortwahl („Oh Mann“!?) und zu einverstanden mit dem vorgebrachten Anliegen. Also gut, mal wieder PLEASE PLEASE ME. Ich merke auf: Der frisch auf die Zwölf beatende Opener „I Saw Her Standing There“ ist offenbar als Lieblingslied abgelöst durch das eher midtempo „Misery“. Ein Hinweis auf die fortschreitende Sophistication des kleinkindlichen Musikgeschmacks? Yeah. Es läuft alles nach Plan!

Hirnflimmern: Die Kolumne von Josef Winkler
Hirnflimmern: Die Kolumne von Josef Winkler

Ja, ich weiß: was heißt hier Plan. Man sagt ja nicht umsonst: Auf See, vor Gericht und beim Musikgeschmack deiner Kinder
 bist du in Gottes Hand. Aber man kann es doch zumindest anfangs noch etwas steuern, und ich stehe immer wieder fassungslos vor der Kamikaze-Attitüde jener Eltern, die lemminggleich gedankenlos die Büchse der Pandora aufreißen und – oft genug noch ohne Not – ihren Sprösslingen die erstbesten bzw. meistbeworbenen Schrecklichkeiten aus dem rosahellblauen Meer der Kinderschundmusik auftischen. Oder eben nicht eingreifen, wenn popkulturell verwirrte Omas und Onkel den Schrott ins Haus tragen.

Es gibt ja immer mehr nicht-wahnsinnigmachende Kindermusik, wobei ich an dieser Stelle mal ANNE KAFFEEKANNE (Abt. „Klassiker“) und das glorreiche Café Unterzucker (Abt. „All Ages“) empfehlend ans Herz legen möchte. In jedem Fall gilt: Es prüfe, wer sich lange bindet. Denn ein hervorstechendes Merkmal kindlicher Hörgewohnheiten ist die Wiederholung ad nauseatum. Und wenn dann zum 19. Mal am Nachmittag die Seite 2 der Jorge-Ben-Best-of durchläuft, in die sich der Bub rettungslos verschossen hat, dann muss man sich immer wieder sagen: Es könnte auch das „Bob der Baumeister“-Album sein.

Aber klar, die harten Zeiten kommen natürlich erst. Es ist ja ein bizarres Gruselszenario: Ein 13-Jähriger mit seinem eigenen Musikgeschmack, der bei dir wohnt! Jetzt hör ich schon den Schrei der Altersdiskriminierten: Also bitte, mit 13 hab ich Oasis / Strokes / Kaiser Chiefs / Deichkind gehört! Mag sein, aber darum sind Sie auch eine(r) von den ca. 0,2 Prozent Ihrer Altersgruppe, die eine Musikzeitschrift lesen.

Die Beatlesplatte ist aus, doch diesmal soll sie nicht gleich noch mal laufen, mein Sohn hat eine andere herumliegende CD entdeckt: „Der kleine Eisbär“, Hörspiel mit Musik. Da haben wir’s schon – fahrlässig schenken lassen, die Bilderbücher sind ja so süüüß, aber die CD reinster Musicalkitsch. Und jetzt sitzt mein eben noch schneidig boppender Beat-Buddy drüben im Schlafzimmer und lauscht den disneyschmonzigen Emotionsgesängen einer helenefischerhaften Frauenstimme. Auch das braucht es wohl zu einer ganzheitlichen Musikerfahrung. Doch könnte es durchaus sein, dass der kleine Eisbär in seiner Jewelbox bald bei Nacht und Nebel auf eine längere Reise geht. Sicher ist sicher.