Hubert von Goisern


Der Mann hat Mut. Auf dem Gipfel des Ruhms nimmt der Neuerer der Volksmusik seinen Hut, um sich fortan dem Film zu widmen: Augenblicke eines langen Abschieds.

Im Eingangsbereich der Stuttgarter Liederhalle schauen zwei jugendliche Besucherinnen ziemlich verdattert aus der Wäsche. „Bist du sicher, daß wir hier auch im richtigen Konzert gelandet sind?“, fragt die eine angesichts der vielen Leute im besten Alter, die, in fesche Krachlederne und Designer-Jankerl gekleidet, gleich zielstrebig zur Sektbar eilen. Nein, sie sind garantiert nicht in Karl Moiks Musikantenstadel gelandet. Es hat alles seine Richtigkeit. Denn: Ein wesentliches Merkmal der Musik des Hubert von Goisern ist nun mal, daß sie Menschen unterschiedlichsten Alters und Geschmacks anzieht. Und ausgerechnet jetzt, auf dem

Höhepunkt seiner in vielen Jahren hart und zäh erspielten Popularität in Deutschland, entschließt sich die Galionsfigur der neuen Volksmusik zum Rückzug aus dem Musikgeschäft? „Weißt du“, sagt Hubert, „ich habe alles erreicht, habe vor Tausenden von Menschen gespielt, unvergeßliche Augenblicke erlebt – jetzt brauche ich einfach eine neue Herausforderung. Ich hasse das Gefühl, auf der Stelle zu treten.“

Von solchen Plänen hat das Publikum, an diesem Abend wenigstens, noch keine Ahnung. Kaum steht Hubert von Goisern auf der Bühne und schnallt sich sein geliebtes Akkordeon vor den Bauch, johlt und juchzt es schon zünftig aus allen Ecken der Halle. Ein paar Töne, aus den Falten der Ziehharmonika gequetscht, lassen sogleich den Verdacht aufkommen, Hubert wolle mit einer Jodeleinlage die Herzen der ondulierten Damen im Saal höherschlagen lassen. Doch schon Sekunden später fährt seine Band, die Alpinkatzen, dazwischen. Stefan Engel hämmert auf seinem Keyboard elektronische Bass-Achtel und Gitarrist Reinhard Stranzinger macht mit einem fetzigen Solo auf seiner Stratocaster und Duckwalks a la Chuck Berry sofort klar, daß er weit mehr kann, als nur den Alibi-Klampfer zu Tuba und Alphorn zu mimen. Hubert von Goisern selbst bleibt derweil merkwürdig statisch. Mit rotunterlaufenen Augen schleicht er sich durch den Auftakt, schwer angeschlagen durch eine starke Erkältung. In Höchstform ist er nicht, das spürt jeder, der ihn schon einmal live erlebt hat. Sonst eine sprudelnde Plaudertasche von Geschichten aus dem folkloristischen Umfeld, beschränkt er sich heute auf Standards, ist dabei in den wenigen Ausführungen zwischen den Titeln nicht so jovial wie gewohnt, sondern eher nachdenklich, ja fast schon philosophisch. So scheint die an anderen Tagen furchtbar witzige, weil äußerst persiflierende Einleitung zu ‚Kuahmelcher‘, über die Entwicklung von Almauftrieb und Turbokühen mit Brüsseler Megaeutern und die auf der Einsamkeit der Viehhirten basierende Etymologie des Jodeins, denn auch eher an einen privaten Zuhörerkreis gerichtet zu sein.

Hubert von Goisern ist beileibe nicht der einzige, der mit seinem Handicap hadert. Eine Woche zuvor hatte Schlagzeuger Wolfgang Maier nämlich in eine Glasscherbe gegriffen und dabei die Sehne eines Daumens gekappt. „Da er aber auf sein geliebtes Schlagzeug partout nicht verzichten wollte, spielt der Wolfi eben nur mit einer Hand“, erklärt Hubert den Fans. Um für alle Fälle gewappnet zu sein, hatte man mit Evert van der Waal flugs einen zweiten Drummer engagiert, der ihn auf dem zweiten Drumset unterstützt und mit dazu beiträgt, daß die beiden, nach nur zwei Probetagen, bereits einen erstaunlich homogenen Drive trommeln.

Wenn Hubert als Einstieg zu ‚Spinn I‘ den Stones-Klassiker ‚I Can’t Get No Satisfaction‘ einfließen läßt, schnalzen nicht nur Freunde der rollenden Steine mit der Zunge. Jetzt spü‘ ma amoi ane dieser Traditionais oder auch Volksweisen“, kokettiert er mit betont amerikanischem Akzent. Die oftmals heimatlichen Melodien münden immer wieder in krachenden Rock oder forcierten Blues – so auch die deutsche Nationalhymne, die von Alpine Sabine in lupenreinem Mezzosopran gesungen, in eine gar wilde Alpenpolka ausufert.

„Ich habe heute mehr mit geschlossenen als offenen Augen gespielt“, erzählt er später. „Ich mußte mit meiner Kraft haushalten, um das Programm überhaupt durchstehen zu können.“ Vielleicht hat ihm dabei die Erinnerung an humoreske Einlagen geholfen, an die herzhaften Lacher, die er immer dann erntete, wenn er die Show mittels kurzer Ansprachen auflockerte. „San Goiserner do?“ fragt er ins dunkele Rund der Halle. „Na, wann Goiserner do war’n, tat’n dia nia wos sog’n!“ kennt er seine Dörfler aus dem Salzkammergut nur zu gut und liefert statt dem Anekdoten aus der Historie des kleinen Kurorts, wo sich die Einwohner krank stellen und bewußt langsam gehen, „nur damit sich all die Kranken und Siechen, die in dieses Heilbad kommen, gleich besser fühlen.“

Und erneut dominiert einer dieser Grooves, der wie eine Kreuzung aus Pink Floyd und Frankie Goes To Hollywood klingt und sich durch den volkstümlichen Refrain furcht. Plötzlich zuckt ein grelles Licht auf die Show ist zuende. Binnen Sekunden sind nicht mehr nur die beiden so notorisch wie ekstatisch seit einer geschlagenen Stunde ausgelassen hüpfenden, jugendlichen Besucherinnen aus Reihe Sieben gefordert, sondern der ganze Saal, der mit geballter Stimme seine Zugabe einfordert und auch bekommt. Finale Furioso: Endlich rücken Hubert und die Alpinkatzen heraus mit den ‚Dicken Wadeln‘, auf die natürlich jeder’gewartet hat und deren Refrain von einem tausendstimmigen Chor mitgesungen wird, ohne daß sich auf der Bühne auch nur eine Lippe bewegt.

Die abschließende Verneigung vorm Publikum ist kaum vorbei, da läßt er sich noch einmal umstimmen und schiebt ein sentimentales ‚Hearst es, wia die Zeit vergeht‘ hinterher, sozusagen die letzte musikalische Träne an diese Stadt, bevor sie morgen wieder in einer anderen vergossen wird. Doch ist das wirklich die allerletzte Träne? Während die Masse der Zuschauer schon in Richtung Parkplatz marschiert, formiert sich das alpine Orchester auf der Bühne, im Halbkreis um ein einzelnes Mikro und intoniert das endgültige Lullabye.

Was kommt nach der Musik? „Ich weiß nicht“, gesteht Hubert aus Goisern, „ich brauche vor allem Ruhe, um über die Dinge nachzudenken, die mir persönlich wichtig sind, denn während der langen Jahre unaufhörlichen Tourens verschieben sich doch die Wertigkeiten.“ Natürlich wird er die Bühne vermissen, den unmittelbaren Kontakt zum Publikum und auch die Magie des Augenblicks. Doch der Hubert ist nun mal ein Unsteter, ein Wanderer, ein Reisender, den nichts und niemand aufhalten kann. „Es gibt schon noch ein paar Alpengipfel, die ich noch nicht erklommen habe, und speziell das Genre Film reizt mich sehr.“ Heuer hat er die männliche Hauptrolle gespielt in ‚Die Hölleisengretel, ein Film nach dem Buch von Oskar Maria Graf, der an Weihnachten im ZDF zu sehen sein wird. Außerdem arbeitet er zur Zeit an einem Drehbuch. Ist der Abschied von der Musik unwiderruflich endgültig? „Ach, wer weiß, vielleicht juckt es mich ja mal derart, daß ich gar nicht anders kann als mich wieder auf die Musik zu stürzen. Aber augenblicklich steht mir der Sinn nach etwas Neuem.“