In E Um E Und Um E Herum


Mark Oliver Everett macht endlich frische EELS-Musik. Reduzierte Eels- Gitarrenmusik. Zu der er seinen "Dog Faced Boy" zum Werwolf mutieren lässt. Doch wenn dieser Werwolf in den Spiegel schaut, sieht er wieder nur: Mark Oliver Everett.

Mark Oliver Everett, kurz E, zieht sich gerne in die Einsamkeit zurück und grübelt. Hin und wieder verschafft er sich Erleichterung in Popsongs, die er dann unter seinem Alter Ego Eels unter die Menschen bringt. Vor vier Jahren verstummte er und richtete sein Augenmerk auf Filme und Bücher. Jetzt gibt es endlich neue Musik von ihm: Auf seinem siebten Studioalbum HOMBRE 1.0B0 verwandelt sich E in einen Werwolf. Von wegen Werwolf. Die Wahrheit ist: Die Lieder der Eels drehen sich seit anderthalb Jahrzehnten nur um ein Thema — um den Mann namens E. Ein einsamer Künstler, ein Zyniker zuweilen, der die Abschottung von der Welt sucht und doch nichts so sehr hasst wie seine Isolation.

Auf seinem letzten, vier Jahre alten (Doppel-)Album BL1NKING LIGHTS AND OTHER REVELATIONS rechnete er mit seinem gesamten Leben ab. Eine Autobiografie, so vielschichtig wie ein Roman von William Faulkner. Doch wenn man bereits mit Anfang 40 sein Testament verfasst, was bleibt danach außer Ratlosigkeit? „Nach BUKKING LIGHTS … wusste ich, dass ich nicht einfach zur Tagesordnung übergehen könnte“, rekapituliert E, immer noch hinter Vollbart und Brille mit dickem Rand versteckt. „Ich fragte mich ernsthaft, wie es weitergehen soll. Diese Platte hätte ich lieber am Ende meines Lebens machen sollen, aber dazu ¿war es nun zu spät. Zum Glück kamen plötzlich ziemlich viele andere Herausforderungen auf mich zu, die mich ablenkten. Ich schrieb ein Buch, machte einen Film über meinen Vater, stellte eine Retrospektive der Eels zusammen, ging drei Mal auf Tour. So verschaffte ich mir ein wenig Luft, um darüber nachzudenken, wie ich mit den Eels fortfahren könnte.“

Sein Buch ist wohlgemerkt ebenfalls eine Autobiografie, die nicht zufällig den Titel eines Songs von BUNKINCi LIGHTS … trägt: „Things The Grandchildren Should Know“ (deutscher Titel: „Glückstage in der Hölle: Wie die Musik mein Leben rettete“). Und auch der Film über seinen Vater ( „Parallel Worlds, Parallel Lives“), den Quantenmechaniker Hugh Everett III., ist ein Stück Vergangenheitsbewältigung. Doch warum war es notwendig, drei autobiografische Werke auf drei unterschiedlichen Medien in kurzer Zeit zu veröffentlichen? Nun, E brauchte Abstand zu sich selbst, um sich wieder unbefangen der Musik widmen zu können. „Eigentlich ist es Schwachsinn, deine Lebensgeschichte mit Anfang 40 zu schreiben. Wahrscheinlich hätte ich all das erst mit 80 tun sollen. Aber dann schaute ich auf meine Familiengeschichte und dachte, vermutlich werde ich niemals so alt.“

Doch befreien konnte er sich dadurch nicht. Wie auch: von sich selbst? Auch die neue Platte trägt die offensichtlichen autobiografischen Züge. Einsamkeit, Zurückweisung, Sehnsucht, ungestilltes Verlangen. Mit zwölf recht unbehauenen Song-Monolithen arbeitet E sich weiter an jenem musikalischen Skulpturenzyklus ab, der sich um die eigene geschundene Persönlichkeit dreht. „Das ist sicher richtig“, sagt er und seufzt. „In dieser Hinsicht unterscheide ich mich kaum von anderen Künstlern. Wir alle versuchen rauszufinden, wer wir sind. Dessen ist man sich aber während der Arbeit gar nicht bewusst. Gerade für die neue Platte habe ich eine Figur geschaffen, aus deren Perspektive die ganze Geschichte erzählt wird. Als ich die CD dann mit etwas Abstand hörte, erkannte ich, dass sie einzig und allein von mir handelt. Aber man muss eben auch ein persönliches Verhältnis zu den Kreaturen haben, die man erschafft, um überzeugend zu sein.“

Die Songs des Albums klingen im Vergleich zu den letzten Alben der Eels kraftvoller, entschlossener. Lässt man sich jedoch auf die Texte dieses getarnten Konzeptalbums ein, auf dem ein und derselbe Zustand der Begierde von zwölf unterschiedlichen Positionen aus beschrieben wird, so begegnet man jemandem, der eher unsicher, ängstlich und verzweifelt ist. E wollte den Zustand einer Beziehung vor der Beziehung schildern, der von Selbstzweifeln und Halluzinationen gekennzeichnet ist, sagt er. Musik und Text verlaufen also konträr.

„Das ist ja der große Spaß am Plattenmachen“, frohlocken Bart und Brille. „Jede Art von unerwarteter Magie ist möglich, wenn man bestimmte Inhalte mit bestimmten Sounds mischt. Die Musik kann die Bedeutung eines Textes komplett umdrehen. Das kann geplant sein, manchmal ergibt es sich aber auch ganz zufällig. Deshalb machen Platten ja auch viel mehr Spaß als Bücher.“

Die Songs des neuen Albums wurden nur mit dem Notwendigsten ausgestattet. Wer den klanglichen Reichtum und die poetische Verspieltheit zurückliegender Werke schätzt, mag von der Kargheit von HOMBRE LOBO enttäuscht sein. Für E war dieser Schritt ein bewusstes Statement: „Als ich mich entschied, eine Platte über die extremen Momente von Sehnsucht und Verlangen zu machen, schwebte mir hierfür der Sound einer Garagenband vor. Diese grundlegenden Gefühle kann man am besten ausdrücken, wenn man sich auf die einfachsten Mittel beschränkt. Eines

Morgens erblickte ich beim Zähneputzen im Spiegel den ,Dog Faced Boy‘ von meinem Album SOUL/ACKER als erwachsenen Werwolf. leb dachte über die bisherigen Lebensumstände dieser Figur nach und fand, dass sie total isoliert und verzweifelt, aber voller Verlangen ist. Diesen Gefiihlsmix konnte ich nur mit der elektrischen Gitarre ausdrücken.“

Everett ist ein einsamer und ein schräger Vogel, doch hinter der bärtigen Maske des Sonderlings versteckt sich auch der Geist eines disziplinierten Systematikers, der nichts dem Zufall überlässt. Zum Beispiel das Cover, dessen Ztgarettenschachtel-Design nichts mit dem Konzept des Albums gemein zu haben scheint. Dabei ist einmal mehr Everett selbst die Klammer, die Artwork und Musik zusammenhält: „Der Albumtitel ist spanisch, ich rauche Zigarren, und so kam irgendwie alles zusammen. Ich habe erst mit 40 zu rauchen begonnen. Zigarren inspirieren mich. Eigentlich sollte ich überhaupt nicht rauchen. Mein Vater rauchte drei Päckchen Zigaretten am Tag und starb mit 51 an einem Herzinfarkt. Er tötete dadurch auch meine Mutter, die ein paar Jahre später an Lungenkrebs starb. Wahrscheinlich werde auch ich an Lungenkrebs dahinscheiden, denn ich wuchs in diesem Qualm praktisch auf. Aber wenn ich sowieso an Krebs verrecke, will ich wenigstens noch ein wenig Spaß am Rauchen haben.“ www.eelstheband.com