Interview: Iggy Pop


Iggy Pop geht es nicht besonders, aber guter Dinge ist er trotzdem. Der drahtige Mittfünfziger hat sich bei der triumphalen Reunion-Show mit den Stooges in New York „irgendein ekliges Viriis“ emgefangen, von dem er sich jetzt zu Hause in Miami erholt. Es war – nach einem Gig in Kalifornien im April – der zweite Auftritt nach einer Pause von gut 30 Jahren für die Stooges, die – ähnlich wie Velvet Underground und MC 5 – unter den Musikern dieses Planeten (von David Bowiebis zu jeder neuen The-Garagenband) wesentlich mehr Fans und Epigonen haben, als sie je Platten verkauften. Der Wirbel um die Reunion erfasst auch Iggys neues Album skull ring, denn hier sind die Stooges-Mitgründer Ron und Scott Asheton bei vier Tracks mit dabei. Nicht nur sie: Auf der Single „Little Know It All“ lässt sich Pop vom kanadischen Punk-Quartett Sum 41 begleiten, zwei Tracks schrieb er mit Billie Joe Armstrong (und spielte sie mit dessen Band Green Day ein), auf zwei weiteren kommt die Erotik-Rapperin Peaches zu Wort. Andererseits können die jüngeren Gäste bei Herrn James Osterberg aus Ypsilanti bei Detroit nach wie vor eine Menge lernen, was Wildheit, rasende Präsenz und „explicit behaviour“ angeht. Und an berühmte Namen auf dem Cover ist der Pop-Plattensammler von jeher gewöhnt.

Wie kam es zu der Zusammenarbeit mit Sum 41 und Green Day?

Prosaische Erklärung: Ich wollte mit einem Haufen unterschiedlicher Leute arbeiten. Und ein Mädel dabeihaben, weil ich das eben so mache, von Zeit zu Zeit. Und jemand mit sehr gutem Gespür für Melodien, dafür wollte ich Green Day und Deryck von Sum 41. Die mag ich, weil sie ein prima kleiner, harter, proletarischer Haufen sind. Und natürlich war meine eigene Band, The Trolls, als Ausgangspunkt wichtig, weil das die Typen sind, die seit sovielen Jahren mit mir über den Erdball ziehen.

Hast du Sum 41 vorher schon mal getroffen?

Nein, die waren die einzigen, die ich bloß aus dem Fernsehen kannte. Aber ich wollte nicht unvorbereitet reinstolpern, weil das bei mir schon ein paarmal in die Hose gegangen ist. Also bekam ich ein Demo, wo Deryck ein paar Geräusche draufgegTummelt hatte, und versuchte, Worte zu den gegrummelten Geräuschen zu finden, einen Text über Kinder zu schreiben, weil ich es ja mit Kindern zu tun hatte. (lacht) Ist so ein Ansatz mit 56 nicht mühsam

Ich fühle mich wie ein Kind, immer noch, wie wir alle, oder wenigstens ein Teil von uns. Ich wollte darüber schreiben, wie es ist, eines Tages aufzuwachen: „Okay, da bin ich. Ich bin ein Kind. Scheiße, ich hab nie um diese Mama und diesen Papa gebeten. Ich hab niedarumgebeten, ausgerechnet in dieser Schule zu sein oder Sommersprossen auf der falschen Nasenseite zu haben“so irgendwie.

Und wie war das mit Green Day?

Das war eine nette Geste von Billie. Vor vier Jahren waren wir zusammen auf Tour; nach ein paar Auftritten holte er tief Luft und sagte zu mir: „Hey Mann, würdest du vielleicht mal einen Song mit mir schreiben?“ Ich sagte „Yeah „und behielt die Sache im Kopf. Als ich darauf zurückkam, war er bereit. Wir haben per Federal Express zusammengearbeitet.

Dir ist klar, dass es für diese Bands ein Riesenkick ist, mit dir zu arbeiten?

Ich sag dir was: Ich glaube, für viele dieser Leute bin ich so was wie Ferien von dem Druck, unter dem sie sonst stehen, denn wenn du erst mal viel verkaufst und eine Menge Dukaten machst, erwartet man das immer wieder, (lacht) Wenn sie mit Onkel Iggy musizieren, ist das wie wenn sie außer Dienst sind.

The Stooges dagegen sind wieder im Dienst… wie fühlt sich das an?

Es ist ein verdammter Schock und eine Erleuchtung, Bursche! Am ersten Tag hättest du mich mit einer Feder umhauen können. Ich hab das einfach nicht erwartet, wahrscheinlich weil ich einen übertriebenen Horror vor dem hatte, was vorher an Negativem passiert war, und mir nicht vorstellen konnte, wie großartig sich die Asheton-Brüder als Menschen und Musiker entwickelt haben und gereift sind.

Wie kam es dazu?

Ich hab Ron unter derselben Nummer angerufen wie damals mit 19, als wir die Band gegründet haben. Von Scotty hatte ich keine Nummer, die bekam ich von Ron und lud auch ihn ein, vorbeizukommen und was auf meiner Platte zu machen. Sie kamen nach Miami Beach, und ich bin echt umgefallen, es war eine saugute Session. Ich dachte, ich mache vielleicht eine Nummer mit ihnen – zwei probieren, eine, hoffentlich, fertig kriegen. Am Ende haben wir fünf Sachen aufgenommen, von denen vier sehr gut waren, und fast hätten wir noch mehr gemacht. Fast hätte ich alles andere gelöscht und eine ganze Platte mit ihnen gemacht, aber es steckte schon soviel Arbeit drin.

Hast du daran gedacht, auch andere Stooges-Mitglieder zu den Sessions einzuladen?

Nun, welche Stooges? Wer sind die Stooges? Musikalisch gab es vier Stooges-Versionen, von denen jede einen großen Schritt nach vorne bedeutete. Am Ende ist es auf die zwei Jungs hinausgelaufen, die mich unterstützt haben, als ich ein Niemand war – jetzt, wo ich so ein Riesentyp bin. (lacht) Da gab es aber natürlich dieses kleine Problem mit einem Bassisten…

Haben wir bemerkt! (lacht) Eine neue Person hätte den Sound verändert, also haben wir’s als Trio probiert, und es hat gerockt wie die Hölle. Und – wer hätte das gedacht! – 34 Jahre später sind wir plötzlich wieder topmodern, weil es jetzt total in ist, keinen Bassisten zu haben! (lacht) Warum ist diesmal alles so gut gelaufen ?

Die Ansprüche von Ron und Scotty sind echt hoch, und sie sind sehr, sehr hungrig. Musikalisch hat sich gezeigt, dass Ron als Songwriter einen Riesensprung gemacht hat. Das gab mir das Gefühl, ich muss nicht den ganzen Karren alleine ziehen. Sie sind hochmotiviert und spielen ungeheuer souverän, fast wie Junior Kimbrough oder R.L. Burnside – ernsthafte, erwachsene Musiker mit einer Autorität an ihren Instrumenten. Es ist so leicht, mit diesen Musikern zu singen. Ich musste weder brüllen noch unten herumgrummeln, wie mit jedermann von David Bowie bis Death In Vegas. Ron kam mit dem Riff daher, aus dem „Skull Rings“ entstand, Scotty schlug den Beat, ich sang drauflos. Der erste Moment seit 30 Jahren, in dem wir zusammenspielten, war das Playback, das auf der Platte landete. „Loser“ hatte ich im Grunde für eine Band wie die Stooges geschrieben und wollte es nicht den Trolls geben, weil sie zu sehr Heavy Metal sind; ich wusste: Sie würden es zertrampeln. Das ist so Zeug, das mir auf der Gitarre einfällt. Ich hörte die White-Stripes-Single „Fell In Love With A Girl“ und dachte sofort: Die Sau klingt, als hätte er ein bisschen Stooges, Buzzcocks und Pretenders zusammengerührt – nicht schlecht, aber, Scheiße, das kann ich auch! Wenn er mich nachmacht, mache ich ihn nach, wie er mich nachmacht!“ (lacht) Ron drückte seinen Stempel drauf; auch da war die beste Version die erste.

Was auch am besten zum Ethos der Stooges passt.

Nun … (lacht) die ganze Zeit hat Scott gemault: „Ich könnte diese Songs viel besser spielen, wenn du sie mich mehr als einmal spielen lassen würdest, Mann!“ Aber ich sagte: Mann, wir sind da auf einem guten Weg! Außerdem war das Budget Für ihren Part auf der Platte begrenzt, (lacht) Wie schätzt du heute die Bedeutung der Stooges ein ? Ihre Spuren sind in ollem von Punk bis Garage zu hören.

Man hat mir schrecklich oft auf die Schulter geklopft, stimmt. Es ist immer gut, wenn jemand sagt, dass er dein Zeug mag, und wenn er dabei glänzende Augen kriegt. Ehrlich gesagt, es ist kein großer Unterschied, ob das der Typ an der Tankstelle ist oder der Kerl von den Red Hot Chili Peppers.

Was war die Vision und der Anspruch der Stooges, als ihr 1967 angefangen habt?

Ich war jemand, der ernsthaft Musiker oder Künstler sein wollte. Ich kam von der Literatur. Ich war an der Universität von Michigan im Orchester gewesen und hatte eine Blues-Pilgerfahrt nach Chicago unternommen, Opern gehört, John Cage gekannt. Ich war und bin begeistert von arabischer und nordafrikanischer Musik. Popmusik hielt ich für am besten, wenn sie auf einer Mischung aus amerikanischem Blues und irgendetwas Frischem oder weit Entlegenem beruhte. Außerdem dachte ich, dass sie wie Reklame funktioniert, dass man das Songwriting genauso angehen kann wie Werbe-Jingles. Ich dachte: Dafür brauchtman keine besonderen Melodien. Die kann ich sowieso nicht schreiben. Hauptsache, es bleibt im Kopf. Kaugummiwerbung hatte mehr Hörer als Lesley Gore.

Wie entstand daraus der rohe Sound der Stooges?

Die raue Energie des Proletariats hat mich immer fasziniert, aber aus der Entfernung. Ich war in der Schule nie einer von den wilden Kerlen, aber ich dachte, die gäben die besten Bandmitglieder ab. Da kam ich also her, und die Jungs in der Band waren eher so: Können wir jetzt Rockstars sein, wie Jimi Hendrix: „Wir haben uns irgendwo in der Mitte getroffen. Aber ich will dir was sagen: „I Wanna Be Your Dog“ – das war Ron, der an einem Hendrix-Riff herumgewurstelt und einfach die Nettigkeiten im Rhythmus weggelassen und eine ganz eigene Spielweise reingebracht hat. So machen das übrigens alle.

Es gab eindeutig avantgardistische Züge in dem, was die Stooges taten, so brutal es auch war.

Denke ich auch. Damals hörte ich viel Pharoah Sanders, das gibt der Sache ein ganz anderes Element. Und wir haben keine Barre-Akkorde gespielt. Die Sex Pistols, Ramones, alle benützten Barre-Akkorde, das ergibt einen kontrollierteren Sound. Wir spielten halboffene Akkorde, die zufälligen Obertöne wirkten wie Trance-Musik. Ich hörte außerdem auch Bauchtanzmusik; das geht nicht mit einem steifen Beat. Ich brachte Scott ein paar Beats von libanesischen Platten bei und von Stax/Volt, Booker T, Wilson Pickett-wir haben nicht wirklich The Count Five gehört, verstehst du?

Wichtig waren auch die Performance-Elemente – Glasscherben, Erdnussbutter, sexuelle Symbolik, all so was. Wo kam das her?

Nun, wenn du in einer Rockband bist und jung,besonders in jenen Tagen … die Sixties beruhten zur Hälfte auf Leuten in einem puritanischen Land, die flachgelegt werden wollten und dachten, mit der Pille und Marijuana würde das hinhauen; Marijuana wegen der Verführung und die Pille, um dem Resultat zu entgehen. Aber nichts von dem, was ich tat, war geplant. Ich bin nie mit dem Vorsatz auf die Bühne gegangen, mit Erdnussbutter rumzuschmeißen oder mich in Glasscherben zu wälzen.

Also waren das… Unfälle?

(lacht) Nun… die Sache mit dem Glas passierte einmal. Jemand fragte mich am nächsten Tag danach, und ich behauptete, der Raum sei so voller Kritiker gewesen, dass mich die Lichtspiegelungen in ihren Brillen geblendet hätten und ich in eine Martiniflasche gestolpert sei (lacht) – was zur Hälfte stimmt. Ich hatte damals eine komische Phase, und wir waren für den falschen Club gebucht, oben im Max’s Kansas City, einfach zu statisch für uns. Wenn ich mich recht erinnere, hat jemand gleich bei der Bühne sein Glas zerschmissen, und irgendwann lag ich auf dem Boden mm, oder vielleicht bin ich auch am Mikroständer auf den Boden gehechtet; jedenfalls hatte ich die Glassplitter in der Brust und hab’s nicht gemerkt. Wie ich das Blut gesehen hab, war ich nicht mehr zu halten. Ich bin grundsätzlich nicht zu halten, ehrlich gesagt. Dasselbe mit der Erdnussbutter. Wir spielten auf diesem Popfestival in Cincinnati, und irgendwer hat mir das Zeug gegeben. Ich mag es, die Dinge aus ihrem gewohnten Zusammenhang zu reißen und was zu probieren, also hab ich ein bisschen davon rumgeschmissen, auf niemand Bestimmten. Danach haben viele Leute Erdnussbutter zu unseren Auftritten mitgebracht, aber ich hab das Zeug nie mehr angerührt. Dann kam die Geschichte mit dem heißen Wachs, 17 Gigs später, und so weiter und so fort.

Ist nicht schlecht, wenn sich ein paar solche Legenden um einen ranken, nicht wahr?

Jetzt wahrscheinlich schon. Aber ich glaube, weil die Pressetypen nicht wussten, wie sie so was beschreiben sollten, und weil sie uns nicht über Millionen verkaufte Platten oder Zillionen Eintrittskarten beschreiben konnten… na ja, was ist wichtig an dir, wenn du kein Geld einbringst? Das Zweitgrößte, was du in Amerika tun kannst, ist, die Ruhe zu stören. Wenn du nicht absahnst, bleibt dir nur übrig, ein Verbrechen zu begehen. Also hab ich so eine Art praktisches Handbuch sozialer Straftaten angelegt. Das ist prima, da haben sie alle was zum Reden.

Warum hoben sich die Stooges damals getrennt?

Damit eine Band wie unsere hätte überleben können, hätten wir mehr Unterstützung von außen gebraucht als wir akzeptieren konnten. Wir hatten einen Horror vor Kompromissen, besonders ich. Immer wenn jemand uns helfen wollte, waren Kompromisse im Spiel. Am Ende kam die Epidemie harter Drogen, die eine Menge Bands in der Michigan-Gegend kaputtgemacht hat, nicht bloß uns. Das war’s.

Siehst du die Stooges heute als Sache mit Zukunft?

Sieht so aus, als würde sich das von selbst so ergeben. Ich will mich da nicht festlegen, aber es sieht so aus. Wir reden über eine Platte, haben einen prominenten Produzenten deswegen angesprochen. Nachdem wir im Studio waren, gab es keine konkreten Pläne, außer dass wir alle einen Gig spielen wollten, wenn ein gutes Angebot daherkäme, und das ist passiert (das Coachella-Festival). Das ist so ähnlich wie früher in Detroit: Wenn wir im Easttown oder im Grande spielten und gut waren, klingelte ein paar Tage darauf das Telefon und wir bekamen drei, vier neue Gigs angeboten; genauso war’s nach dem Coachella-Gig.

Hat euch das Interesse überrascht?

Mich schon, total! Aber weißt du, wer es vorausgesehen hat? Ron Asheton. Sofort als ich ihn anrief, hörte er nicht mehr auf mit dem „Oh Gott, die Leute werden so aus dem Häuschen sein!“-Blabla. Er meinte: „Das wird weltweit Schlagzeilen machen!“ Und ich: „Gaaanz bestimmt!“ Und drei Monate später sind wir in dem verdammten CNN. Stell dir das vor, Bruder.