Irgendwie lei | wand


Blödsinn, es stimmt einfach nicht. Irgendwann hat irgendein schlauer Kopf die downbeatige elektronische Musik, die seit Anfang der neunziger Jahre aus der österreichischen Hauptstadt kommt, „Kaffeehausmusik“ getauft. Und seitdem kriegt sie diesen Beinamen nicht mehr los. „Es ist lustig, dass wir immer noch damit assoziiert werden“, sagt Richard Dorfmeister, „denn in Wien läuft unsere Musik gar nicht in den Kaffeehäusern.“ Und Rupert Huber empört sich fast ein bisschen und stellt klar: „Im richtigen Kaffeehaus gibt’s überhaupt keine Musik.“

Richard Dorfmeister und Rupert Huber machen seit 1996 unter dem Namen Tosca das, was Peter Kruder & Richard Dorfmeister seit 1996 nicht mehr machen: Platten mit eigener Musik. Und dass die als Klangtapete „auch in Bars läuft, in Boutiquen und im Schuhgeschäft“ (Dorfmeister), stört die beiden überhaupt nicht. Was sie dagegen schon stört: Obwohl der Hype um die „Wiener Szene“ längst abgeebbt ist, heften sich zahlreiche Trittbrettfahrer immer noch die Wien-Plakette ans Revers. Dorfmeister: „Irgendwann in den neunziger Jahren hat man erkannt, dass auch in Wien was geht. Mittlerweile gibt es hunderte von Künstlern und Labels dort. Und die betonen dann ganz bewusst, dass sie aus Wien kommen. Das nervt mich schon ein bisschen.“

Die Musikszene ist ein seltsamer Tummelplatz für seltsame Menschen. Manche davon hypen einen Künstler erst in den Himmel und später, sobald sich nur ein Hauch von Erfolg ankündigt, wollen sie nichts mehr von ihm wissen.

„Diese alte Regel, wenn etwas nicht verkauft, dann muss es super sein, ist einfach Quatsch“, meint Dorfmeister. „Wenn wir drei, vier Jahre an einer Platte gearbeitet haben, dann möchten wir die nicht rausbringen und dreieinhalb Stück davon verkaufen.“ Und außerdem hat Musik laut Huber „auch etwas mit Kommunikation zu tun. Wenn du Musik machst und keiner hört dir zu, dann hat es keinen Sinn“.

Spätestens seit 1999 wird der Musik von Tosca richtig zugehört. Damals erschien das Album „Suzuki“, das sich in den folgenen Monaten zu einem Longseller entwickelt hatte. Insgesamt wurde „Suzuki“ 150.000-mal verkauft. Erstaunlich für eine Musik, die Dorfmeister zu Recht als „Off-Sound bezeichnet, Musik jenseits von MTV, ein Album ohne „Hit“, näher dran an Ambient als an dem, was sich sonst in den Verkaufscharts aufhält. Weshalb der Erfolg des Albums die Künstler selber am meisten erstaunt hat:“Für uns ist das ein Wahnsinn.“

Richard Dorfmeister und Rupert Huber kennen sich seit ihrer Schulzeit. „Dehli 9“ hieß damals ihre „Schülerband“. Und die klang schon ein bisschen elektronisch, aber noch ein bisschen hippiemäßig, weil Dorf meister neben den Keyboards auch noch Gitarre und Flöte spielte. „Dehli 9“ ist auch der Name des neuen Tosca-Albums, einer Doppel-CD. Darauf fließen die unterschiedlichen musikalischen Linien zusammen, denen die beiden Österreicher seit ihrer Jugend als Hörer gefolgt waren. Huber, der am Wiener Institut für Elektroakustik Komposition studierte, kam schon früh mit klassischer und der experimentellen Musik von Karlheinz Stockhausen in Berührung. Dorfmeister entdeckte irgendwann in seiner Jugend „die ganze Black Music-Kiste, Soul, Funk, Dub-Reggae, dann auch so Sachen wie Serge Gainsbourg“. Musik, die er unter der Überschrift „I’s got to be funky. Es soll irgendwie leiwand sein“ zusammenfasst. Auf der ersten CD von „Dehli 9“ gibt es den „klassischen“ Tosca-Sound, auf der zweiten die Tosca-Bearbeitungen von „12 Easy To Play Piano Pieces“ von Rupert Huber. „Als wir an den Tracks der ersten CD arbeiteten, ist uns irgendwann die Erkenntnis gekommen, dass es genial wäre, wenn wir modifizierte Sounds dieser Tracks mit den Pianostücken kombinieren würden“, sagt Dorfmeister. „Damit wir wirklich so ein Ambient-Ding bekommen würden. Wir sind schon immer große Fans von dieser Art Sound gewesen, von Musik, die viel Pausen hat, die viel Luft zum Atmen lässt. Musik, von der vielleicht viele Leute sagen, sie ist langweilig, bei der die Trennlinie zwischen ‚boring‘ und ‚exciting‘ superdünn ist.“

Darüber, was „exciting“ und „boring“ ist, entscheiden Meinungsführer in den verschiedenen Subszenen mit einem komplizierten popsoziologischen Verhalten aus Aktion, Reaktion, Gegenreaktion, Dissidenz, Trotzverhalten und Ignoranz. Während wahrscheinlich die Majorität der Musikhörer die Elektronik-Revolution der neunziger Jahre überhaupt nicht registriert hat oder nicht registrieren wollte, wurde der Rock von den ganz Schlauen für tot erklärt. Genau diese Toterklärer feiern dieser Tage wieder fleißig die „Rückkehr des Rock“. Zumindest beim perspektivisch denkenden Musikhörer herrscht zurzeit also eine eher anti-elektronische Stimmung. „Diese Leute haben eine Identitätskrise“, meint Huber. „Es ist gar nicht der Rock, den sie bejubeln, sie glorifizieren ihre eigene Kindheit. In den achtziger Jahren gab es das Fifties-Revival, in den neunziger Jahren das Seventies-Revival, dann das Eighties-Revival, und in zehn Jahren haben wir dann das Tosca-Revival.“

Bevor es allerdings so weit kommt, wäre es erst mal an der Zeit für ein Kruder & Dorfmeister-Revival. Zusammen mit Peter Kruder hat Richard Dorfmeister mehr Remixe produziert als eigene Tracks – es war nur eine Hand voll in den neunziger Jahren. Fast scheint es so, als wären Kruder & Dorfmeister mittlerweile zu einem Nebenprojekt von Tosca geworden. Dorfmeister muss lachen.

„Ja, vom Output her könnte man das denken. Aber wir haben mit Kruder & Dorfmeister so ein hohes Level erreicht, dass wir immer noch auf den richtigen Zeitpunkt warten, um mit etwas zu kommen, das dann ,Peng!‘ macht. Es muss ein größeres Statement sein als das Massive Attack-Album, und bevor wir das nicht erreicht haben – beschlossene Sache-, bringen wir nichts unter dem Namen Kruder & Dorfmeister heraus – Punkt.“ Verständlich beim Anspruch der Musiker, „nur astreine Sachen“ zu veröffentlichen. Ein Anspruch, dem die beiden allerdings selber nicht immer gerecht geworden sind. Zum Beispiel mit dem im Januar des vergangenen Jahres erschienenen Remix-Album „Different Tastes Of Honey“ und seinen 15 verschiedenen Bearbeitungen von ein und demselben Track. Wenn man diese Remixe am Stück anhören muss, kann das unter Umständen zu einem leicht anstrengenden Hörerlebnis ausarten.

„Ich bin eigentlich an Remixen nicht besonders interessiert“, sagt Dorfmeister, „die Geschichte ist für uns aber auch schon wieder vorbei. Im Endeffekt sind wir nämlich nicht glücklich mit dieser ganzen Remix-Scheiße. Eigentlich disqualifiziert dieses Album die Remixer total. Du hörst dir das an, und fast alles darauf klingt gleich. Das ist voll einfallsloser Quatsch. Ich halt‘ das nicht aus, ich dreh‘ da echt ab. Das ist mir echt peinlich.“

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[(österr. >: toll, super, dufte, vgl. klasse] Während überall die neuen Rockretter ausgerufen werden, feiern Tosca die Rückkehr von Downbeat und Ambient. Aber: „It’s got to befunky.