It’s not All Fool’s Day!


Mit den Teenie-Rockern The Knack waren sie mal auf US-Tour. Von den hysterischen Fans wurden die eher unbekannten Fools damals – wer weiß warum – mehr als Fieger & Co. angehimmelt. Dabei haben die fünf Musiker aus Boston gar nichts im Sinn mit den vier Jungs aus LA. Im Gegenteil. Ihre Wurzeln reichen z.B. ins Talking-Heads-Lager. Mit einer Jux-Version von ,Psycho Killer“ landeten sie im Frühjahr ’79 einen lokalen Superhit; „Psycho Chicken“ tauften sie das Wunderwerk. Und damit kam eigentlich auch alles ins Rollen …

Frühjahr 1979. Ein Jahr vor dem Einstieg in die erwartungsvollen, aber Ungewissen 80er Jahre. Amerika, die ganze Welt und die Musik-Welt an der Schwelle 2×1 einem neuen Jahrzehnt. Rock-Guru Frank Zappa setzt aufs Geschäft und startet mit SHEIK YERBOUTI eine Serie von Dollar-bringenden Doppelalben. Die Blues Brothers, bislang Movie- und TV-Stars, erobern mit einer erprobten Mannschaft die US-Charts. The Clash, deren Sänger Joe Strummer von einigen Kritikern als sultan of punk gekrönt wird, starten zu ihrer ersten Tour durchs Land der unbegrenzten Möglichkeiten. Bob Dylan begräbt nach Meinung von Fans und Kritikern mit LIVE AT BUDOKAN seine ruhmreiche Folk-Protest-Vergangenheit Rod Stewart fragt ernsthaft: „Da Ya Think I’m Sexy?“ und Judy Collins läßt gleichzeitig auf dem Cover ihrer LP HARD TIMES FOR LOVERS erstmals öffentlich ihre Rückenpartie vom Haaransatz bis zur Ritze blitzen.

Billy Graham schließt nach 12 Jahren einen weiteren Rock-Tempel, das „Winterland“ in San Francisco, und die Allman Brothers versuchen’s mit ’ner Reunion. Die New Barbarians rocken in Toronto, um Keith Richard vor einem längeren Zwangsurlaub zu bewahren. Ach ja, Elvis Costello fängt in einer Hotelbar in Columbus/Ohio von einer zierlichen, aber angesehenen Rock-Lady einen klassischen Haken ein. Er hatte ihren Freund Ray Charles als einen „blind, ignorant nigger“ bezeichnet. Peter „Legalize It“ Tosh rollt mit den alten Steinen durch die Staaten. Und Talking-Heads-Boß David Byrne resümiert in „Life During Wartime“: „We dress like students, we dress like housewives, or in a suit and a tie… I changed my hairstyle so many times now, I don’t know what I look like“.

Doch dieses sind nur Mosaiksteine, Einzelteile der damaligen Rock-Welt made in USA. Wo bleiben aber The Fools? Was ist mit/in Boston los? Nun, Boston liegen auf Eis im Super-Technik-Sound-Keller von Mr. Tom Scholz. „Don’t Look Back“ lautet die letzte Inschrift. Doch Boston lebt, die Rockszene Bostons ist in voller Blüte. Die J. Geils Band zehrt vom Erfolg ihrer letzten LP SANTUARY. The Cars rasen mit dem neuen Album CANDY-O Richtung „Hot 100“-Gipfel. Ja, und The Fools tingeln, zunächst noch von der Musik-Industrie und Kritiker-Mafia unbeachtet, durch die Clubs der Ostküsten-Metropole. Sie bewegen sich noch unbefleckt von allen eingangs erwähnten Erscheinungen des Rock-Biz. Bis zu jenem denkwürdigen Abend in einer Bar ohne Namen. Der Abend, an dem „Psycho Chicken“ das Licht der Musikwelt erblickte.

„Wir waren total besoffen und da passierte es halt“, erinnerte sich Fools-Sänger Mike Girard, 30. „Einer kam auf die Idee, doch mal eine neue, eine Fools-Version des Talking-Heads-Titels „Psycho Killer“ zu machen. Ich weiß nicht wer, aber es war jedenfalls eine Mords-Gaudi. Und die Version wurde nicht mal schlecht Einige Leute meinten damals, es wäre eine Parodie auf New Wave. That’s bullshit! Wir wollten‘ s nur so hinbiegen, wie wir uns den Song vorstellten.“

Natürlich gehörte „Psycho Chicken“ fortan zum Live-Repertoire der Fools. Abend für Abend gewannen Rieh Bartlett, Mike Girard, Doug Forman, Chris Pedrick und Stacey Pedrick mit diesem Song neue Freunde. Und der Musik-Apparat horchte erstmals auf. .Ein DJ von der angesagten Bostoner Radiostation WBCN-FM hörte es und war sofort heiß auf einTape. Wir gaberis ihm und meinten: Mach damit, was du willst Am nächsten Tag lief das Ding in seiner Sendung. Die Telefondrähte glühten. Jeder wollte wissen, wo man „Psycho Chicken“ kriegen konnte. Natürlich nirgends.“

Nun sind die Wege zum großen Hit oft sehr verschlungen und undurchsichtig. Das Tape von „Psycho Chicken“ ging jedenfalls in Windeseile durch die Szene, von Hand zu Hand und wurde natürlich reichlich gebootleged. In kürzester Zeit dröhnte die Nummer von mehr als 40 Radiostationen ins ganze Land. „Psycho Chicken“ wurde zum absoluten Underground-Cassetten-Hit. Und das ohne aufwendige Promotion-Kampagnen einer Schallplattenfirma. Die spitzten natürlich auch die Ohren. Verträge wurden angefertigt. Die Wahl der Fools fiel letztendlich auf EMI America. „Psycho Chicken“ wurde zum Glücksbringer für die Bostoner Rockband.

Hat David Byrne die Version jemals zu hören gekriegt? Mike: „Er meinte, es wäre die witzigste Version eines brillanten Songs.“

Klar konnte der klare Kopf Byrne sich nicht eine gute Portion Eigenlob verkneifen. „Ich hab‘ gehört, daß sie unsere Version sogar irgendwann selbst gespielt haben“, fügt Mike Girard ebenfalls nicht ohne Stolz hinzu.

Es bestehen sogar zwei Versionen der Fools von „Psycho Chicken“. Das eine Mal kräht an den entscheidenden Stellen lautstark ein Hahn, bei der anderen wird mit einem Pfeifton das fürs öffentliche Ohr zensierte FUCK weggeblendet. Doch ob Pfeifton oder krähender Hahn, wer die Nummer einmal hört, den hafs gepackt. Eine tolle Nummer, die für mich das Original bei weitem übertrifft. Die Österreicher waren sich in dieser Sache jedenfalls einig. Sie kürten „Psycho Chicken“ zur Nummer 1 ihrer Hitparade. In Spanien erreichten The Fools immerhin Platz 8 und in Deutschland gingen klamm und heimlich 50 000 Singles über den Ladentisch. Ohne daß Radio oder Presse richtig einstiegen. Nur einen TV-Auftritt hatten die Fools Im letzten Jahr in „Rockpop“.

Nun verbindet sich mit The Fools nicht einzig und allein die meisterhafte Jux-Version des Talking-Heads-Titels. In Boston gehören sie mittlerweile zu den Top-Acts. Doch auch Konzerte in Cleaveland, Kansas City, New York oder Los Angeles sind für sie heute Heimspiele. Hier füllen sie ohne Mühe Hallen mit 3000 bis 7000 Fans. Mit Van Haien, Rush oder The Knack haben sie in größeren Arenen gespielt. Nicht immer kommt dabei eine gelungene musikalische Kombination heraus. „Klar, manchmal ist es schon ganz schön verrückt. Zum Beispiel mit Rush, das ist, als wenn du Senf und Eiskrem mixt. Aber teilweise müssen wir’s machen, um anderswo neue Fans zu gewinnen.“ Und The Knack? „Das war eigentlich sehr witzig. Musikalisch haben wir mit denen nichts im Sinn“, versichert Mike Girard. „Doch die hysterischen Kids verwechselten uns öfters mit den vier Jungs aus LA. Da hatten wir schon unseren Spaß! Obwohl die Kids eigentlich nicht so sehr unser Publikum repräsentieren.“

Der normale Fools-Fan hat die magische Zwanziger-Marke schon überschritten, nähert sich eher dem Alter der fünf Musiker, das um die dreißig Lenze angesiedelt sind.

war stiegen damals noch viele Kids auf „Psycho Chicken“ ein, doch spätestens mit der neuen, der zweiten LP HEAVY MENTAL, gewannen/gewinnen The Fools ihre Zwanziger-Fans. Eine Entwicklung, die sich in den zwei Alben wiederspiegelt? Obwohl bei flüchtigem Lesen der Titel HEAVY MENTAL leicht als HEAVY METAL erfaßt werden kann. Die graphische Lösung ist auf alle Fälle eine gelungene Parodie. „Für uns ist das neue Album härter, mehr Rock. Doch sind wir damit nicht auf die Schiene des kopflosen Schwermetall-Lärms eingestiegen. Der Titel HEAVY MENTAL fiel uns spontan ein, als uns jemand fragte, einmal unsere Musik selbst zu beschreiben. Und das ist eben Rockmusik, hart und mit nicht ganz so dummen Texten… oder?“

Recht so. SOLD OUT wie HEAVY MENTAL zeugen von einem gesunden Body, aus dem ein solider Rock entspringt. Und dazu gehört ein natürlicher Bauch, eine gesunde Birne und eine ehrliche Seele. Das alles steckt in den Fools seit etlichen Jahren. „Wir sind alle in Boston aufgewachsen. Doug, Stacey und ich kennen uns seit dem fünften Lebensjahr. Wir haben schon in diversen Bands zusammen gespielt. Unser Background ist in etwa auf dem gleichen Level: Frankie Lane, die 50er Rock-Ära, sowie für mich Sänger wie Mick Jagger, Slim Whitman, James Brown, Otts Redding, Jackie Wilson oder heute Chrissie Hynde. Außerdem steh ich auf neue Musik: B-52’s, Adam & The Ants, Gang Of Four, Boomtown Rats oder Ray Davies als genialen Songwriter.“

icht zu vergessen einen anderen Oldie: Roy Orbison. Für HEAVY MENTAL nahmen The Fools seine alte Nummer „Running Scared“ auf. Ein Titel, der seit Jahren von ihnen live gespielt wird und bei dem Mike Girard eine Gala-Vorstellung seiner Stimmbänder-Akrobatik gibt. Eine Version, die die volle Dramatik a la Roy Orbison immer noch rüberbringt. Aber auch die einzige langsame Nummer auf HEAVY MENTAL. Ansonsten ist, um einen beliebten Spruch aus dem südwestlichen Rocklager zu intonieren, „Gas geben“ angesagt. Da gibt’s keinen Stillstand. Die Maschine der Fools steht ständig unter Volldampf. Und Mike Girard gehört sicher zur Liga der Rock-Sänger, die morgens nicht mit einem Gläschen Kukident gurgeln, sondern eher dem Whiskey-Faß zusprechen. Rauh wie Rackerauchzart. Diese Morgenfrische liegt in der zweiten LP. HEAVY MENTAL ist eine gelungene Weiterentwicklung zum Debüt SOLD OUT. „Das Problem ist immer das gleiche. Auf der ersten Scheibe hast du Songs, die seit Jahren zum Live-Repertoire gehören. Abend für Abend schrubbst du sie runter. Wenn du dann endlich ’nen Deal kriegst, nimmst du praktisch alte Kamellen auf. Für die zweite LP schreibst du dann neue Songs. Songs, die neue Erfahrungen beinhalten, die alte Fehler ausmerzen, die viel frischer und knackiger sind. Die auch eine Entwicklung aufzeigen.“

Treffender kann Mike Girard den Unterschied zwischen den zwei Fools-Werken sicher nicht beschreiben. Ob diese neue Frische auch live spürbar ist, einem wie eine stürmische Wind-Bö durch’s Ohr pfeift, den Beweis haben die Fools bei uns noch anzutreten. Wenn s klappt, können wir uns im September davon überzeugen. Dann geht’s live ont the road durch good old Germany.

Doch auch ohne Live-Genuß sind The Fools eine der vielversprechendsten Rock-Bands für die Ungewissen 80er Jahre. Noch stecken sie nicht im Glitter und Glanz der amerikanischen Chart-Liga. Noch bombardieren sie uns nicht mit Dollar-bringenden Doppelalben. Noch haben sie ihre Vergangenheit nicht begraben. Noch veranstalten sie keinen eigenen Ausverkauf. Noch haben sie Elan und machen erfrischenden Rock. Und eines ist (noch) gewiß: It’s not All Fools‘ Day!