J. J. Cale: Cool Cowboy


Interviews waren für ihn eine Tortur, Fotosessions völlig undenkbar. Und als ihn gar Eric Clapton und Mark Knopfler als ihr Vorbild priesen, zog sich J.J. Cale vollends in sein Schneckenhaus zurück. Was den "Schweiger von Tuba" nun dazu bewog, die selbstgewählte Klausur zu beenden, erzählte er ME/Sounds-Mitarbeiter Mark Cooper bei einem Lokaltermin im kalifornischen Hinterland.

J. J. Cale lehnt sich zurück und greift nach der Rechnung für das gerade beendete Mittagessen. Die protestierenden Gäste sehen sich mit völlig Cale-untypischer Hartnäckigkeit konfrontiert. „Wird Zeit, daß ich von der ganzen Clapton-Kohle mal was ausgebe“, gluckst er in sich hinein. Auf dieses Stichwort hat sein alter Freund und Schlagzeuger Jimmy Karstein nur gewartet: „Yessir“, kichert er, „Eric nimmt wahrscheinlich gerade die fünfzehnte Version von ‚After Midnight‘ auf…“ Die beiden rücken kopfschüttelnd die Stühle zurück. J. J. kratzt sich den Kopf, als habe er Schwierigkeiten, sein absonderliches Schicksal zu begreifen.

Draußen vor dem Restaurant in der domestizierten Wildnis von Südkalifornien knallt die Nachmittagssonne auf uns herab; die trockene Hitze nimmt einem beinahe den Atem. Cale hat vor kurzem ein, zwei Meilen von hier ein Haus gekauft, von dem aus er die Waldbrände auf den Bergketten, der natürlichen Grenze zwischen Wüste und Küstenebene, beobachten kann. Der 51jährige aus Tulsa/Oklahoma hat sich vom Winter endgültig verabschiedet.

J. J. schlendert über die Straße zum örtlichen Kramladen; in seinen Jeans und der Baseballkappe wäre er hier auch vor 50 Jahren nicht weiter aufgefallen. Mit seinem Drei-Tage-Bart und den tiefblauen Augen könnte man ihn für einen wettergegerbten Cousin von Paul Newman halten, einen Cousin, der sein Leben auf einer Ranch oder auf dem Meer verbracht hat.

Tatsächlich ist Cale, von ein paar Teenager-Jobs mal abgesehen, seit mehr als 30 Jahren Profi-Musiker. Sein erstes Solo-Album, NATURALLY, das er 1971 im reifen Alter von 32 Jahren aufnahm, war auf den Erfolg von Claptons Cover-Version seiner 1965 veröffentlichten Single „After Midnight“ zurückzuführen und brachte ihm in Amerika einen bescheidenen Hit ein („Crazy Mama“). Es folgten fünf weitere Alben für dasselbe Label, Shelter, sowie zwei für Polygram – alle von Cales Manager Audie Ashworth produziert und in oder in der Nähe von Nashville aufgenommen. Danach hüllte sich Cale erstmal in Schweigen und reduzierte seine Aktivitäten auf eine US-Tour pro Jahr – trotz der Tatsache, daß er in Europa schon immer populärer war als in Amerika. Selbstverordnete Anonymität (Fotos des Meisters auf dem Plattencover sind seit NATURALLY tabu) und träge-flusternder Gesangsstil verbreiteten um Cale schon früh eine Aura des Geheimnisvollen, der längere Schaffenspausen nur zuträglich sein konnten.

Während Cales eigene Karriere ihren Höhepunkt 1976 mit dem Album TROUBADOUR und der darauffolgenden Europa-Tournee erreichte, die seinen Ruf als amerikanisches Original vom Range eines Lowell George oder Ry Cooder festigten, legten seine Songs und sein Stil das Fundament für den späteren Erfolg solcher Mainstream-Koryphäen wie Eric Clapton und den Dire Straits. Clapton tat sich nach seinem Rückzug aus den psychedelischen Jam-Sessions der Cream-Ära mit ein paar Musikern aus Cales Heimatstadt Tulsa zusammen, hatte mit „After Midnight“ seinen ersten Solo-Hit und bastelte sich einen eigenen Stil zusammen, der sich deutlich an den relaxten Grooves auf J. J. Cales Solo-Alben orientierte. Er machte zwei weitere Cale-Songs bekannt, „Cocaine“ und „I’ll Make Love To You Anytime“, und verwendete „After Midnight“ erst kürzlich in einem Werbespot für Michelob-Bier. „Ich war heilfroh, noch am Leben zu sein, und hatte die Nase voll von dieser Gitarren-Gymnastik“, kommentierte Clapton vor kurzem seine Wiedergeburt in den Siebzigern. „Ich fing an, mich mit Gleichgesinnten wie J. J. Cale zu identifizieren. Was mich an seinen Platten beeindruckt, ist diese ungeheure Subtilität – das, was nicht gespielt wird.“

In dem Moment, als Cales eigener Karriere etwas die Luft ausging, tauchten Mark Knopfler und seine Dire Straits auf und verwandelten Cales Markenzeichen – kristallklares Guitar-Picking, brummelnde Vocals und mythisch-idealisiertes Amerikabild – in Platin-Platten. Während Clapton und die Straits ihre Vormachtstellung in den Achtzigern jedoch durch harte Arbeit behaupten mußten, hat sich Cale während der letzten zehn Jahre hauptsächlich damit beschäftigt, zu der Art relaxten Lebensstils zurückzukehren, der er auf NATURALLY so ausführlich huldigte.

„Ich war mein Leben lang mehr oder weniger Pensionär“, lacht Cale in der Küche des vor fünf Monaten gekauften Hauses. Trotz einer Vorliebe für Wohnwagen – Allzweckmittel, um der Beengtheit der Bars und Studios, in denen er sein Leben lang gearbeitet hat, zu entkommen – hat sich Cale erstmals in einem Haus seßhaft niedergelassen. Während rund um Cales Anwesen größtenteils ungezähmte Wildnis wuchert (ein paar Klapperschlangen inbegriffen), ist „das Haus modern, großzügig und, abgesehen von seiner Gitarrensammlung, die auf diese Weise das erste Mal ihrem Lagerraum-Schicksal entkommen ist, völlig leer. „Ich hatte genug von dem ganzen Gerumpel und dachte, ich lasse es erstmal so“, meint Cale und deutet auf die jungfräulich weißen Wände und die unberührte Weite des Teppichbodens, die nur von einem Sofa, einem Vorleger und einem Klavier unterbrochen wird.

Zwischen neuem Heim und neuer Platte gibt es Parallelen: Ebenso wie sich Cale ein Hintertürchen aus der ungewohnten Häuslichkeit in Gestalt des vor dem Haus geparkten Wohnwagens offengelassen hat, hat er das neue Opus (endlich) fertiggestellt, ohne sich durch einen langfristigen Vertrag an die Leine legen zu lassen. TRAVEL-LOG wurde zur Abwechslung von Cale selbst produziert, in Los Angeles aufgenommen und auf dem englischen Label Silvertone veröffentlicht, tanzt aber trotzdem – zum Glück – nicht aus der Reihe der anderen Cale-Werke. Die Songs bauen auf dem altbewährten Blues-Schema auf und kreisen um Grooves, die schon nach Sekunden völlig vertraut klingen und dennoch einprägsam genug sind, um nach dem Fade-Out noch lange weiterzuschwingen.

Obwohl Cale an seiner Plattenkarriere nie wirklich gearbeitet hat, ist die fünfjährige Funkstille selbst für seine Maßstäbe etwas extrem. „Als meine Songs anfingen, ein bißchen Tantiemen abzuwerfen, dachte ich, wozu die ganze Zeit arbeiten“, erklärt er. „Ich finde, man sollte überhaupt nicht arbeiten, wenn man sich ’s leisten kann. Als ich bei Polygram war, hatten sie -275 Künstler im Katalog, da hörtßr mich der Spaß auf. Polygram ist riesig, Mann, du mußt l00.000 Platten verkaufen, bevor die Gewinn machen, also muß die Platte auch dementsprechend sein. Wer immer für meinen Vertrag verantwortlich ist, muß es wirklich gut mit mir gemeint haben, weil ich eine Menge Kohle machte, obwohl sich die Platten gar nicht gut verkauften. Zum Schluß kam ich mir so blöd vor, daß ich sie hat, mich aus dem Vertrag rauszulassen. Finanziell gesehen war das eine hirnrissige Entscheidung, aber mir war es peinlich, dieses Geld anzunehmen …“

TRAVEL-LOG und die alljährliche Amerika-Tour beweisen, daß Cale immer noch eerne Musik macht, auch wenn ihn die Tretmühle einer Rock ’n‘ Roll-Karriere schon des öfteren zur Verzweiflung getrieben hat. Als NATURALLY erschien, reagierte er auf den ungewohnten Erfolg geradezu panisch. Kaum verwunderlich, sind seine Songs doch immer die Antithese zu der Hektik des urbanen Rock gewesen; die federnden Rhythmen, Cales träge Stimme und silbrige Gitarren-Lines lassen ein verschlafenes Amerika Wiederaufleben, das im Strudel der Sechziger untergegangen zu sein schien. Neben Alben wie Grateful Deads AMERICAN BEAUTY und Van Morrisons TUPELO HONEY war Cales Mixtur amerikanischer Musikrichtungen Ausdruck des Rückzugs aus Exzess und Aufruhr der späten Sechziger und der Sehnsucht nach einer heiteren, bekifften Ruhe. Das Stimmungsbarometer mag inzwischen wieder umgeschlagen sein, aber Cale hat die Abneigung gegen Erfolg oder harte Arbeit und die Fähigkeit, mit minimalen Mitteln eine schläfrige, erotische Entspanntheit zu verbreiten, nie verloren.

„Als der Erfolg kam“, erinnert er sich, „hatte ich auf einmal keine Zeit mehr, fischen zu gehen. Stall dessen kriegte ich die ganze Zeit zu hören: Warum kannst du morgen nicht in Cleveland spielen? Oder: Warum hast du die Songs für das neue Album noch nicht geschrieben? An den Stücken auf dem ersten Album hatte ich ungefähr 32 Jahre gearbeitet. Diese Suchen waren das beste von dem, was übrigbleibt, wenn man all die schlechten Ideen aussiebt. Deshalb klang es so frisch, und als es sich verkaufte, wollte die Plattenfirma nach sechs Monaten schon wieder eins.

Wenn du Erfolg hast, kommt Geld ins Haus, als nächstes mußt du dir einen Steuerberater zulegen, früh aufstehen – und schon hast du einen ganz normalen Job. Ein erfolgreicher Musiker ist so ziemlich dasselbe wie ein Bankier. Mir machte das Leben jedenfalls keinen Spaß mehr – ich arbeitete ja bloß noch. „

j. J. Cale hat sein „Lehrgeld“ schon lange vor der Veröffentlichung von NATURALLY bezahlt. Die ersten Band-Erfahrungen sammelte er Mitte der Fünfziger in Tulsa, fing mit Country- und Western-Swing an und wurde bald vom Rockabilly und dem Aufstieg Elvis Presleys beeinflußt. Während er in Bands wie Johnnie Cale And The Valentines spielte, hörte Cale auf dem Nashvüle-Radiosender WLCA Rhythm ’n“ Blues und entdeckte seine Liebe zur Jazz- und Blues-Gitarre. Schon in diesen Jahren hatte er keine Hemmungen, musikahsche Stile zu mischen. Tulsa, so meint er, war dafür der geeignete Ort, „weil er so zwischen allem liegt.“ Ebenso wie andere Kollegen aus der Tulsa-Szene, darunter auch Leon Russell, mußte Cale seine Heimatstadt bald verlassen, um als Musiker überleben zu können. Nach erfolglosen Trips nach Nashville – „ich versuchte, meine Songs an den Mann zu bringen, aber die Stars spielten im Hinterzimmer Poker und kamen nicht mal an die Tür“ – machte er sich 1964 auf den Weg nach LA. arbeitete als Toningenieur, nahm zwei Solo-Singles und mit einer Studioband namens Leather-Coated Minds sogar das psychedelische Album A TRIP DOWN SUNSET STRIP auf. Ende 1967, „als es nicht mal mehr fürs Essen reichte“, kehrte er nach Tulsa zurück. Ein paar Jahre später weckte ihn ein Freund, der Saxophonist Bobby Keys, mitten in der Nacht auf, um ihm zu erzählen, daß Eric Clapton soeben „After Midnight“ gecovert hätte. „Ich sagte: OK, Bobby, wie du weißt, haben wir hier drei Uhr morgens, also ruf mich später wieder an … Ich glaubte ihm erst, als ich das Stück ein halbes Jahr später im Radio hörte. Das war, als ob man eine Ölquelle im Garten findet. “ Auch über seinen Ruf als Einsiedler kann Cale nur den Kopf schütteln: „Was ich tue, ist so verdammt normal und uninteressant, daß sie sich wirklich etwas einfallen lassen müssen, um daraus Showbusiness zu machen. Also sagen sie: J. J. ist ein Geheimniskrämer – oder: J. J. ist ein Einsiedler.

Als ich 1976 nach Neuseeland kam, hatte der Promoter reichlich Mühe, Tickets zu verkaufen, weil dort noch keine einzige Platte von mir erschienen war. Als ich in Auckland ankam, schob er mich in die Garderobe und sagte: J. J., das Problem ist, du bist ein Langeweiler, und ich muß diese 2000 Plätze vollkriegen. Also dachte er sich eine Geschichte aus, erzählte der Presse, ich hätte Arthritis und wäre nach Neuseeland gekommen, um diese Wurzel zu finden, die mich heilen kann. Alle Zeitungen erschienen mit Schlagzeilen wie: J. J. Cale sucht Heilung in Neuseeland – und erwähnten in Klammern, daß ich auch ein paar Konzerte gebe.

Die Shows verkauften sich danach ganz gut, aber als nach dem Konzert diese alte Frau zu mir kam und mir sagte, sie würde für mich beten, hatte ich nicht das Herz, ihr die Wahrheit zu sagen.“