Jeff Healey


Ein blinder, kanadischer Gitarrist, gerade 22 Jahre alt, tritt aus dem Schatten seiner Idole. Schon mit seiner Debüt-LP SEE THE LIGHT rüttelt Healey ungeniert am Sockel von Denkmälern wie Hendrix, Clapton, Beck oder Stevie Ray Vaughn. ME/ Sounds-Mitarbeiter Steve Lake stellte sich dem Wunderknaben.

Wenn man den Klatschspalten der Gitarren-Magazine glauben darf, wird das legendäre Trio Cream in diesem Jahr für einige Konzerte wieder aus der Gruft steigen. Der Zeitpunkt könnte schlechter nicht gewählt sein, denn mit Jeff Healey gibt es einen Konkurrenten, der das klassische Power-Trio zu neuen Höhen geführt hat. Die Vorstellung, eine kleine Bar-Band aus Toronto spiele „White Room“ besser als Cream selbst, erscheint grotesk, entspricht aber der Wahrheit. Healeys Fähigkeiten als Gitarrist versetzen amerikanische Bands in Angst und Schrecken. Ohne böse Absichten eröffnete er die Shows all seiner Idole – und spielte sie in Grund und Boden. Wenn Healey sich aufrichtet, um auf der Bühne herumzutorkeln oder gar ins Publikum zu springen, sind die Reaktionen verständlicherweise völlig ungläubig: Wie konnte dieser pummelige blinde Junge eine derartige Unbekümmertheit entwickeln?

Healey hat seine Blindheit von Kindheit an einem Tumor an beiden Augen zu verdanken, doch seine Behinderung ist keineswegs – wie Zyniker behaupten – der Grund für die gigantische Aufmerksamkeit der Medien.

Im Gespräch ist er ein äußerst sympathischer Zeitgenosse. Ernst, intelligent, mit einem angenehmen Zug sarkastischen Humors. Sicher, er spielt harten Rhythm’n’Blues, aber wenn er zu Hause ist, hört er deshalb noch lang nicht nur Rock-Musik. Seine Virtuosität hat ihre Wurzeln in zwei anderen Musiktraditionen – Jazz und Country. In der Wiege hörte er sowohl die Platten von Count Basie und Louis Armstrong als auch die Country-Hits des Jahres 1966. (Ein seltsamer Zufall, daß seine Geburt und die Gründung von Cream in das selbe Jahr fallen.) Armstrong aber blieb seine größte Leidenschaft, die späten Aufnahmen des Trompeters der Schwerpunkt von Healeys 10000 Platten umfassender Sammlung der 20er und 30er Jahre. Armstrong, der als erster Jazzer improvisierte und seinem Instrument Töne entlockte, die niemand zuvor gespielt hatte, dieser Armstrong ist Healey in vielen Aspekten nicht unähnlich.

Als er mit drei Jahren zum ersten Mal eine Gitarre auf seinen Schoß zerrte, hatte er nie jemanden spielen gesehen. Zwangsläufig entwickelte er eine eigene Technik. Noch immer erscheint ihm die Position auf den Knien als optimal. Er zupft die Saiten mit seinem Daumen und benützt alle fünf Finger seiner linken Hand, um am Hals seiner Gitarre auf- und abzufahren, als sei sie ein Keyboard. Er ist in jeder Hinsicht ein revolutionärer Musiker.

Da ist es umso bedauerlicher, daß die Debüt-LP SEE THE LIGHT, von Greg Ladanyi (Jackson Browne, Warren Zevon u.a.) produziert, uns nur die Andeutung der enormen Live-Power vermittelt. Wollten sie bewußt eine LP aufnehmen, die bequem ihren Platz auch im US-Radio finden würde? „Du meinst: ,Haben wir bei der erstbesten Möglichkeit unsere Seele verkauft‘?“, donnert Jeff los. „Es war so: Wir hatten einfach Glück, als wir gefragt wurden, ob wir diesen Film machen wollen …“ (Der Film heißt „Road House“. Healey, Bassist Joe Rockman und Schlagzeuger Tom Stephen agieren darin als Schauspieler und Musiker.) ….. Wir mimen eine Bar-Band, die unbekümmert drauflos spielt, während die Leute sich betrinken und zusammenschlagen. Wie dem auch sei: Wir arbeiten also an dem Soundtrack für den Film, als Jimmy Iovine uns plötzlich verlassen mußte, um am U2-Album weiterzuarbeiten. Das bedeutete: ein Studio für uns allein und endlos viel Zeit. Es wäre verrückt gewesen, diese Chance nicht zu nutzen. Zu diesem Zeitpunkt wußten wir nicht, ob wir die Gelegenheit überhaupt nochmal bekommen würden …“

Ladanvi war verfügbar und stieß zu ihnen.

„Ich wollte das Studio als Studio benutzen, die technischen Möglichkeilen ausnutzen. Live können wir uns jederzeit aufnehmen.“

Hoffen wir also, daß sie es bald tun werden. Denn es gibt einiges, was dokumentiert werden sollte. Healey wiederholt seine Solis nie: seine Partner müssen ständig lauern, um auf seine Stimmungsumschwünge, die flammenden Überraschungs-Attacken einzugehen. Bevor ich’s vergesse: Jeff ist gerade 22 geworden. Die Geschichte, die er schreiben wird, ist gerade erst im Entstehen. ME/Sounds präsentiert Ende April bis Mitte Mai seine erste große Deutschland-Tour.