K.O. – O.K.


Ariadne von Schirach war bei einem lauten Boxkampf in Thailand.

Sweet deams are made of this. Es riecht nach gebratenem Hähnchen und Kokosnuss. Everybody is looking for something. Dos reicht mir eine Dose Singha-Bier, und wir beobachten, wie die ersten beiden Kämpfer sich fertig machen. Aus den Boxen schallen die besten Hits der letzten 30 Jahre. Eurythmics, Madonna, Kanye West. Radio Global. Es ist mein erster Thai-Boxkampf, hier, in Koh Tao, der Tauchinsel, die voll ist mit Bananenbäumen und Palmen und großen samtflügeligen Schmetterlingen. Travel the world and the seven seas. Das Stadion ist klein und liegt etwas außerhalb der Touristenzone Sairee Beach – einem dieser globalbunten Unorte; nur Fressen, Saufen und billiges Gefunkel, durchquert von Stoßtrupps junger Touristen. Auch das Stadion ist voller weißer Gesichter, aber nur halb voll, und vor uns stehen zwei gut gelaunte Thaimädchen und bieten Wetten an, 100 Baht, circa 2,50 Euro, auf Rot oder Blau, die Farben der Ecken. Die ersten Kontrahenten sind fast noch Kinder, höchstens 15 Jahre alt. Der Blaue hat mehr Muskeln und geht mit einer gespielten Lässigkeit die Ecken ab, der Rote ist kleiner und konzentrierter. Er verbeugt sich inbrünstig vor den vier Pfeilern und begibt sich dann in die Mitte, um ein paar Übungen zu machen, geschmeidig und versunken, den schmalen harten Oberkörper mit gelben Blumen geschmückt. „Ich setze auf den Roten“, sagt Dos, und ich nicke, wahrscheinlich hat er recht, obwohl der Blaue wirklich ein ganzes Stück größer ist. Aber der Rote hat mehr Wut. Entschlossenheit. Und Ruhe. Es geht los. Musik ertönt, ein rhythmisches Fiedeln und Scharren, roar, roar, wilde Weisen rufen zum Kampf. Die erste Runde geht klar an den Roten. In der Pause werden die Muskeln massiert, Thai Style, Arme, Ärsche und verkrampfte Waden. Die Oberkörper der Kämpfer glänzen vom Öl, und schon ertönt der Gong und werden die Plastikstühle wieder hinausgehoben aus dem Kampfplatz und der Fight beginnt von neuem. Beine versuchen gegen Oberkörper, Nieren und Hälse zu treten, Fäuste suchen das Gesicht des Gegners, hua, hua, und am Ende stehen beide in einer festen Umklammerung. Nach fünf Runden hat der Rote gewonnen, nach Punkten. Der zweite Kampf spielt ebenfalls zwischen Jünglingen, wieder holt so ein stummer Roter den Sieg und die Thaimädchen lachen und tanzen vor meiner Nase und wedeln mit den Baht der Touristen, die sich von Muskeln und Körpergröße haben täuschen lassen. Im dritten Kampf tritt ein Farang an, ein Ausländer, sein Gegner ist kleiner und wirkt brutal. Der Kampf ist langweilig, weil der Weiße keine Chance hat; man kann seine Wut spüren, aber sie ist nur in seinem Kopf, nicht im Herzen und schon gar nicht in den Fäusten. Der vierte Kampf ist ausgewogen und technisch perfekt, und der fünfte, ebenfalls zwischen erwachsenen Kämpfern, belohnt uns mit einem K.O. in der dritten Runde. Dazu immer diese Musik, ein uraltes aufpeitschendes Wirbeln, fremdartig und erregend. Boxmusik, Brandungsrauschen, Bootsgeschnatter. Die Klänge Thailands: Tiere schreien in tropischer Nacht. Mönche singen vor einem heiligen Buddha. Red Hot Chili Peppers und Bob Marley in schlechten und besseren Beach Bars. Örtliche Teenager, die ein blinkendes Auto ans Ende von Chaloklums Pier fahren und krasse Diskomucke abspielen. Prodigy, Sisters Of Mercy und Britney Spears gleichgemacht und verwurstet von einer gigantischen Bassline. Hippietrance und Glowing Goa im niedergetrampelten Dschungel. Das scheppernde Röhren der Longtail-Boats, deren uralter Motor so klimafreundlich ist wie Haarspray aus den Achtzigern. Das Geräusch, wenn eine scharfe Klinge sich den Weg bahnt durch eine frische Wasserkokosnuss. Das leise Wusch, Wusch des feinhaarigen Besens, der den Sand aus dem Bungalow fegt. Thailand ist ein melodisches Land. Es wird dem Reisenden selbst Musik, wie alle Fremde; eine schräge Symphonie aus unbekannten Riten, Gebräuchen und geografischen Gegebenheiten. Ich habe meinen iPod kaum benutzt auf dieser Reise. Stattdessen höre ich: Radio Thailand.

Ariadne von Schirach lebt als freie Autorin in Berlin. In der nächsten Ausgabe schreibt an dieser Stelle: Harriet Köhler.