Kate Bush: Kate Bush im Interview


Seit ihrer letzten LP sind vier Jahre vergangen, seit ihrer ersten (und letzten) Tournee gar zehn. Nur wenige haben es geschafft, sich diesen Freiraum von der Industrie zu strotzen noch weniger waren in der Lage, gleichzeitig nicht unter der Lawine immer neuer Trends und Eintagsfliegen verschütt zu gehen. Pop und doch Kunst? Erfolg trotz Integrität? Ein Dickkopf dank weiblicher Intuition? Anläßlich ihrer neuen LP THE SENSUAL WORLD sprach ME/Sounds-Korrespondentin Sylvie Simmons mit einer unmöglichen Frau.

ME/SOUNDS: Machst du Platten nach einer Art inneren Uhr, die klingelt, sobald ein genügend hoher Kreativitätspegel erreicht ist? Oder eher auf Druck von außen, wenn Leute sagen, nach vier Jahren wird es mal wieder Zeit für ein neues Kate-Bush-Album?

BUSH: „Ganz klar nach der inneren Uhr, und die kann ich nicht kontrollieren – sonst würde ich ein Album in acht Wochen statt in zwei Jahren machen. Es macht nicht besonders viel Spaß, so lange an etwas zu arbeiten, aber ich kann nichts dagegen tun – es muß sich einfach einwickeln.“

ME/SOUNDS: An welchem Punkt geht es los? Wachst du eines Morgens auf und hast das ganze AIbum von A bis Z vor dir?

BUSH: „Nein, ich wünschte, es gäbe eine solche Vision, dann wäre wenigstens die Richtung vorgegeben. Normalerweise kommt der Punkt, an dem ich genügend Luft für ein neues Album habe, wenn ich die Promotion und all den Kram eine Zeitlang hinter mir habe. In diesem Fall fing ich an, Songs zu schreiben – ein paar davon sehr schnell – und dann dachte ich: Nein, die taugen nichts. An dem Punkt ging es los: Als ich nämlich merkte, daß ich nicht das schrieb, was ich eigentlich sagen wollte.

Herauszufinden, was ich wirklich sagen wollte, war sehr schwer, lange Zeit brachte ich nichts zustande. Also fing ich an, mit Ideen herumzuexperimentieren, irgendwann entstanden daraus Songs, die geändert und wieder geändert wurden. Eine ganz schöne Fieselei.“

ME/SOUNDS: Also kein durchgehender Prozeß, bei dem jedes Album an das vorhergehende anschließt?

BUSH: „Nein, deshalb ist es auch so schwer, mit einem neuen Album anzufangen – man will ja irgendwie Distanz zu der letzten Platte schaffen, sonst hat man am Ende nichts weiter als ein einziges langes Album, und so etwas ist nicht meine Sache. Für mich ist der Prozeß des Entdeckens wichtig, ich möchte in neue und ein bißchen andere Bereiche vordringen.“

ME/SOUNDS: Himmelhochjauchzend oder zu Tode betrübt – was weckt deine Kreativität eher?

BUSH: „Glück, auf jeden Fall. Ich kenne zwar eine Menge Leute, die sagen, Schmerz wirke sehr inspirierend, aber für mich trifft das mehr auf das Glücklichsein nach der Überwindung von Schmerz zu. Wenn ich wirklich glücklich bin, inspiriert mich das viel mehr.“

ME/SOUNDS: Glück hat in deiner Musik immer etwas Hysterisches, Dunkles, Bedrohendes, wie Gelächter, das jeden Moment in Tränen umschlagen kann.

BUSH: „Glück und Traurigkeit sind für mich eine faszinierende Einheit, die Verbindung zweier Gegensätze, und das versuche ich in meiner Musik wiederzugeben. Meine Lieblingsbücher und -filme sind alle irgendwie glücklich-traurig. Komik ist oft schrecklich traurig, obwohl sie auf sehr lustige Weise präsentiert wird. Ich denke, das ist es, was ich zu erreichen versuche: diese Verbindung aus Überschwang und Traurigkeit herzustellen, diese Mischung zweier sehr verschiedenartiger Energien. Glück ohne Traurigkeit – und umgekehrt – gibt es nicht, du kannst das eine nicht ohne das andere haben, sie bedingen sich gegenseitig. Auseinandersetzung und Harmonie. Davon lebt jede Art von Kunst, glaube ich.“

ME/SOUNDS: Wieviel von deinem wahren Ich enthüllst du in deinen Songs und Videos? Oder andersherum: In welchem Maße wird dabei nur eine Kunstfigur „Kate Bush“ präsentiert?

BUSH: „Ich glaube nicht, daß ich eine solche Figur erfunden habe. In meinen Songs erzähle ich Geschichten, an denen ich zwar beteiligt bin, aber nicht unbedingt als Ich. Das Ich wird hinter einer anderen Figur oder Situation versteckt, es dient nur als Vehikel; auf diese Weise laßt es sich besser erforschen. Das ist es, denke ich, was Künstler tun: die Situation anderer Menschen über das eigene Ich erfahren lernen.“

ME/SOUNDS: In anderen Kunstformen – Malerei, Literatur – sind Künstler und Werk allerdings physisch getrennt. In der Popmusik tritt man dagegen ab Person auf, ist direkt beteiligt.

BUSH: „Richtig, aber ich sehe das oft eher als Nachteil an. Es wäre schön, wenn Sänger und Musik für sich selbst wirken könnten, ohne daß man eine ,Pop-Personality‘ sein muß. Denn diese Person kennt keiner, die Leute interpretieren sie nur durch das, was sie lesen oder hören oder für sie fühlen. Ich denke, es ist ganz gut, wenn Musik gesichtslos ist. Das ist ein ziemlich modernes Phänomen, dieses dominierende ,Ich‘ in der Kunst…“

ME/SOUNDS: Ich habe eine kleine Umfrage durchgeführt – Was sehen Sie in Kate Bush? – und das Ergebnis reichte, besonders bei Männern, von der kleinen Schwester, auf die man unterdrückte inzestuöse Gefühle profitiert, über die reine Jungfrau, die wie Dornröschen darauf wartet, wachgeküßt zu werden, bis zur perfekten Frau.

BUSH (Lacht nervös): „Das ist sehr schmeichelhaft!“

ME/SOUNDS: Wirklich? Willst du das sein, die schlafende Schönheit, die perfekte Frau?

BUSH: „Nein. Das bin ich nur in der Vorstellung anderer, oder? Ich weiß, daß ich nicht perfekt bin und nie sein werde. Das ist also deren Problem, wenn du so willst, und nicht meines. Ich verstehe es als Kompliment, aber das bin nicht ich.

Auf meinen Alben sehe ich mich nicht so sehr als Ausführender, als Akteur. Das ist nur jemand, der aufstehen und sein Ding in der Öffentlichkeit durchziehen kann. Ich fühle mich eher als Songschreiber. Wenn ich Videos mache, spiele ich Rollen, die ich so weit wie möglich zu variieren versuche, weil die Leute so stark auf das Äußerliche fixiert sind. Deshalb ist es wichtig, visuell immer wieder anders aufzutreten, um möglichst nicht auf die Vorstellung der Leute festgenagelt und damit eingeengt zu werden. Ich arbeite sehr gern an Videos, Film fasziniert. Für mich ist Film wie eine Parallele zur Musik; Bänder und Bilder. Ich stehe allerdings viel lieber hinter der Kamera als davor.

Im Moment finde ich aber auch den Gedanken wieder interessant, mich erneut der Live-Situation auszusetzen. Interessant deswegen, weil ich ja nicht damit angefangen habe, mit einer Band in Clubs zu spielen, sondern zu Hause am Piano Songs geschrieben habe, und erst später, hin und wieder zumindest, auf die Bühne gegangen bin. Das ist etwas, womit ich mich gerne mehr beschäftigen möchte, aber es ist nicht unbedingt etwas, womit ich mich wohl fühle.“

ME/SOUNDS: Ich habe gehört, daß du die letzten zehn Jahre nicht auf Tour warst, weil du zu scheu bist, um einem Live-Publikum gegenüberzutreten.

BUSH: „Diverse Leute meinen wohl, mir hatte die Tour damals keinen Spaß gemacht, aber das stimmt überhaupt nicht. Aber ich wollte einfach nicht mehr. Ich wollte Platten machen und Songs schreiben, nicht auftreten. Es hat Spaß gemacht, aber zum Schluß hatte ich das Gefühl, zuviel von mir preiszugeben. Ich hatte keinen Bezug mehr zum Schreiben, und dabei ist es ohnehin schon ein unaufhörlicher Kampf, auf der kreativen Seite zu bleiben.

Und ich wollte die Teile von mir wieder zurückhaben, die man mir genommen hatte. Das war der Preis dieser Selbstentblößung: Ich hatte das Gefühl, Teile von mir waren an diese öffentliche Kate Bush verlorengegangen, und die private Kate wurde immer ängstlicher und einsamer. Das ist wohl generell ein Problem bei kreativen Leuten, die in der Öffentlichkeit stehen.

Kreativität und Sensibilität gehen für mich Hand in Hand, man muß sehr, sehr stark sein. Ich finde es überhaupt nicht überraschend, wenn solche Leute verrückt oder von irgendwelchen Sachen völlig abhängig werden. Ich hatte großes Glück, stark genug zu sein, um auszusteigen und mir wieder Zeit zum Schreiben zu nehmen. Ich bin sehr froh, daß ich das gemacht habe, ich glaube, es hat meiner Persönlichkeit unendlich gut getan. Viel von diesem Album ist zuhause entstanden. Das gab mir mehr Sicherheit.“

ME/SOUNDS: Hat das auch etwas damit zu tun, daß du jetzt über Dreißig, also endgültig „erwachsen“ bist?

BUSH: „Auf jeden Fall. Jemand hat mal gesagt, als Teenager befindet man sich in der körperlichen Pubertät, und in den Jahren zwischen 28 und 32 läuft die geistige Pubertät ab. Ich fühle mich jetzt wirklich viel erwachsener.“

ME/SOUNDS: Trotzdem läßt sich dein Erfolg auch heute noch zum Teil auf diesen kindlichen Zug in deiner Persönlichkeit zurückfuhren. Ich denke da besonders an „The Fog“ auf deinem neuen Album, auf dem dein Vater dir erzählt, daß du jetzt „ganz erwachsen“ bist.

BUSH: „Ich nehme an, in mir steckt immer noch ein bißchen das kleine Mädchen. Vielleicht auch deswegen, weil ich ja tatsächlich klein bin … Aber Dinge mit den Augen eines Kindes zu sehen, ist eine schöne, interessante Perspektive.“

ME/SOUNDS: Ein Song wie „The Sensual World“ ist dagegen in seinen sexuellen Anspielungen sehr direkt und weiblich; er hüllt sich nicht in pubertäre Unschuld wie einige der älteren Stücke.

BUSH: „Ich mache mir ein bißchen Sorgen, daß der sexuelle Aspekt vielleicht zu sehr betont werden könnte. Aber es stimmt, es gibt sicherlich solche Elemente, auch im Original. (Der Song basiert auf dem Monolog der Molly Bloom aus „Ulysses“ von James Joyce. Kate Bush bat um Erlaubnis, die betreffenden Passagen vertonen zu dürfen; da sie diese nicht erhielt, schrieb sie ihre eigene Version.) Ich würde es lieber als sinnlich bezeichnen, aber es gibt auch eindeutig sexuelle Untertöne.“

ME/SOUNDS: Du hast gesagt, dieses Album sei dein bisher persönlichstes und weiblichstes ….

BUSH: „Was das Persönliche betrifft – ich glaube, daß hat eine Menge mit meiner jetzigen Arbeitssituation zu tun. Ich habe das Glück, mein eigenes Studio zu haben, und die Zusammenarbeit mit Del (ihr langjähriger Freund Del Palmer, der bei dem neuen Album am Schaltpult saß und Baß spielte) klappt reibungslos, wir kennen uns in- und auswendig. Mittlerweile geht die Musik, die ich im Kopf habe, mehr oder weniger direkt aufs Band, ohne daß ich einem Haufen Leute erklären muß. was ich mir vorstelle. Ich brauche keine Dolmetscher mehr, das macht es viel persönlicher. Es gibt mir ein Gefühl von Ehrlichkeit, anders kann ich es nicht beschreiben.

Und weiblich – ja, in mehrerer Hinsicht. Auf dem letzten Album sollte ,Hounds Of Love‘ einen sehr kraftvollen Sound bekommen, und der einzige Maßstab, den ich damals hatte, war, wie Männer das machen. Ich glaube, dieses Mal spürte ich, vielleicht unbewußt, daß die ,männliche‘ Art, an Dinge heranzugehen, die man mir beigebracht hatte, nicht nötig war; ich versuchte statt dessen, eine etwas femininere Richtung einzuschlagen.

Es ist schwer, darüber zu sprechen, es war mehr ein Gefühl. Die unterschiedlichen Reaktionen weiblicher und männlicher Freunde auf dieses Album waren sehr interessant. Frauen schien es ein bißchen mehr zu berühren. Vielleicht sind auch einige der Songs in einem eher weiblichen Teil von mir entstanden. Moderne Musik wird in so starkem Maße von Männern dominiert – das meine ich nicht negativ, vieles davon ist wirklich fantastisch – ich wollte da aber mehr als Frau rangehen. Und wenn du das Trio Bulgarka auf dem Album hörst, das ist so kraftvoll und intensiv, so eindeutig weibliche Energie – das Ganze lebt also von einer ganz starken weiblichen Kraft.“

ME/SOUNDS: Du bist nach Bulgarien gefahren, um sie zu treffen. Was war das für eine Erfahrung?

BUSH: „Wunderbar. Ich kenne nur zwei bulgarische Wörter – das eine bedeutet ,wunderbar, das andere .Toilette‘. Das ist alles. Und die einzige englische Vokabel, die sie kennen, ist ,tea‘. Aber das machte gar nichts. Es war wirklich eine der aufregendsten musikalischen Erfahrungen meines Lebens. Sie waren so herzlich – wie die Iren, sogar noch ein bißchen mehr, vielleicht, weil das Leben dort so hart ist. Wir waren gerade fünf Minuten da, und sie nahmen uns mit nach Hause, gaben uns zu essen und zu trinken. Wir saßen uns gegenüber, jemand sagte: ,Singt uns ein Lied!‘, und sie nahmen das Telefon, stimmten sich auf das Freizeichen ein und fingen an zu singen.

Und ich fing an zu weinen! Es war so schön. Wir hatten einen Übersetzer dabei, aber die Kommunikation lief oft einfach über Gefühle – eine ganz ursprüngliche Art der Verständigung, zusammen lachen, singen – und es schien wunderbar zu funktionieren.“

ME/SOUNDS: Warum lassen sich immer mehr Musiker von ethnischer Musik, Weltmusik, inspirieren?

BUSH: „Ich glaube, weil wir sonst so wenig gute Musik zu hören kriegen. Die Lieblingsfarbe der Musikindustrie in den letzten fünf Jahren war schwarz, und ich sehe das als Symbol für Trauer, Trauer um die Musik. Und wenn du etwas so Starkes und Altes wie bulgarische Musik hörst, berührt das einen Teil von dir, der heute nicht mehr häufig angesprochen wird. Das ist eine vollkommene Sprache.“

ME/SOUNDS: Auf deinem Album spielen auch irische Musiker. Was reizte dich an irischer Tradition?

BUSH: „Meine Mutter kommt aus Irland, und ich finde die Iren sowieso sehr warmherzig und scharfsinnig. Ihre sehr präzise Sprache hängt eng mit der Musik zusammen, die für mich sehr lyrisch, emotional und intensiv ist – sehr fröhlich, aber gleichzeitig auch sehr traurig. Meine Mutter spielte immer diese Musik, und so wuchs ich mit Fiedeln und Akkordeon auf.“

ME /SOUNDS: Viele Leute siedeln deine Musik eher in den 60ern als in den 80ern an, nicht, weil sie so anders ist als heutige Popmusik, sondern wegen ihrer geheimnisrollen, visionären, fast drogengeschwängerten Atmosphäre…

BUSH: ….. warum finden sie, daß meine Musik so klingt, wo man doch im Moment eine Menge wirklich psychedelischer Hippie-Musik hören kann?“

ME/SOUNDS: Immerhin spielt auch David Gilmour von Pink Flovd mit…

BUSH: „Das geht unter die Gürtellinie! Ich finde es unfair, daß alles, was mit positiver Energie zu tun hat, automatisch als Spinngewebe aus den 60ern abqualifiziert wird. Heutzutage haben die Leute eine unglaublich negative Einstellung zu dieser Zeit, obwohl damals eine Menge guter Sachen liefen. Das hat richtig propagandistische Ausmaße angenommen – dauernd heißt es, ,Buuuh, alte Hippies!‘ Dabei vergessen sie, daß die Leute damals eine sehr positive Kraft hatten. Viel positiver als beispielsweise in der Punk-Ära. Ich bin in den 60ern aufgewachsen, war also zu jung, um unmittelbar beteiligt zu sein, aber ich beobachtete es, natürlich hat es mich beeinflußt. Trotzdem glaube ich nicht, daß meine Musik aus den 60ern stammt. Ich hoffe doch sehr, daß sie aus der Zeit kommt, in der ich sie gemacht habe.“

ME/SOUNDS: Hast du manchmal das Gefühl, in die falsche Zeit hineingeboren worden zu sein?

BUSH: „Ich glaube, heute unterliegen Künstler einem gewaltigen kreativen Druck: Besonders Künstler, die eigentlich nicht visuell orientiert sind, werden gezwungen, sich mit dem Medium Film auseinanderzusetzen. Aber trotzdem – ich glaube, dies ist genau die richtige Zeit für mich. Ich möchte in keiner anderen Zeit leben.“

ME/SOUNDS: Du hast dieses Album auch als „einen Versuch der Selbsttherapie“ bezeichnet, einen Weg zur Selbsterkenntnis und Selbstheilung. Hast du etwas erkennen oder gar heilen können?

BUSH: „Der Sinn von Arbeit – und, falls es sich bei der Arbeit um Kunst handelt, der Sinn von Kunst liegt darin, etwas über sich selbst zu lernen. Wenn du gelernt hast, dich mit dem Leben auseinanderzusetzen, kommst du auch mit allem anderen zurecht. Ich habe ein paar Dinge aufgegeben, und das ist gut so. Ich bin längst nicht mehr so verbissen wie früher. Ich war immer besessen von meiner Arbeit, heute bin ich es nicht mehr, und das ist, finde ich. viel besser. Schließlich ist es ja nur ein Album, oder?“