Kate Bush: Traumtanz für Psycho-Tramps


Exakt zwei Jahre ist es her, daß wir über Kate Bush berichteten. Sie selbst hat sich in dieser Zeit kaum verändert aber ihre Songs werden immer komplizierter.

In London ist es brütend heiß und stickig, der Himmel vom Dunst eher grau als blau. Im Hotel ist es angenehm, Aircondition. Kurz vor 10 Uhr morgens war Kate hereinspaziert, ich bin auch pünktlich. Doch in der dritten Etage herrscht noch helle Aufregung. Da die Londoner Hotels dieser Luxuskategorie meistens ebenso schlecht organisiert sind wie teuer, war die gebuchte Suite natürlich noch nicht fertig. Das bedeutete allgemeine Panik, denn Kate hatte sich in den Kopf gesetzt, an zwei Tagen ein Pensum von 20 Interviews zu absolvieren. So ist der Terminplan schon im Eimer, ehe die erste Frage gestellt ist.

Kate ist jedoch dabei liebenswürdig wie immer. Mir wird erst später bewußt, daß sie trotz der Bruthitze Schnürstiefeletten trägt, überhaupt sieht sie aus wie ein weiblicher Spielmann. Ein Interview mit Kate ist für mich wie ein Teekränzchen schwärmerisch veranlagter Backfische. Sie ist so romantisch, ihre Fantasie ist absolut positiv, wobei sie eine feine Antenne für alles Obskure hat. Es sind genau zwei Jahre nach unserer letzten Begegnung vergangen, aber sie hat sich kaum verändert. Sie kann noch immer voller Hingabe alles mögliche sooo saaad oder sooo beautiful finden. Frappierend ist dabei, daß sie gerade in traurigen Dingen immer etwas faszinierend Schönes entdeckt.

Für die neue LP, THE DREAMING, verbrachte Kate mit ihren Musikern ein geschlagenes Jahr im Studio, nur an den Wochenenden war frei. Ihr Perfektionsdrang hatte sich diesmal eindeutig lähmend ausgewirkt. „Ich wußte zwar genau, was ich hören wollte, aber nicht, wie ich dahinkomme.“ Zusammen mit den Musikern arbeitete sie sich in mühevoller Kleinarbeit schließlich Schritt für Schritt voran, ein zäher und frustierender Prozeß.

„Manchmal dauerte es zwei oder drei Tage, bis sich so eine Idee manifestiert hatte. Bei dieser Produktion habe ich für alles mehr Zeit investiert als je zuvor. Ich hatte wirklich gute Ideen, aber dann paßten die wieder nicht zur Musik, zum Sound Oder sie lenkten von anderen Dingen ab. Obwohl ich unheimlich viele Instrumente eingesetzt habe, wollte ich die Songs trotzdem noch so offen wie möglich halten. Und wir wollten schließlich auch nur Akzente setzen, die vom Feeling her stimmten.“

Völlig deprimiert saß Kate Bush irgendwann mittendrin, total erschöpft, aber unter dem Druck, „daß alles noch ungeheuer verbessert werden muß.“

So entstanden, ist THE DREAMING natürlich weit entfernt vom frischen Zauber ihres faszinierenden Debüts und ebenso vom kommerziellen „Babooshka“ vom Vorgänger NEVER FOR EVER. Die vierte Kate-Bush-LP geriet geradezu zum Dschungelwerk. Zwischen ungewohnter Aggressivität auf der einen und ethnischen Akzenten auf der anderen Seite macht sich nicht selten ein jenseitiger Vollrausch breit. Bis auf das ekstatische „Sat In Your Lap“ ist es schwer, auf Anhieb einzelne Songs in den Griff zu bekommen, denn es sind oft nur eingeschobene Sequenzen, die sich als eingängige Oasen bemerkbar machen.

„Ich wollte schon seit dem ersten Album in diese Richtung gehen,“ erklärt Kate. „Aber ich bin jetzt erst langsam so weit, daß ich das auch kontrollieren kann. Auf der vorigen LP hatte sich das zwar schon angedeutet, aber diesmal entwickelte sich eine deutlichere traditionelle, ethnische Form. Bei meinen ersten beiden Platten hatte ich noch das Gefühl, ungeheuer weit entfernt zu sein von dem, was mir tatsächlich vorschwebt. Aber ich fühle, daß ich näherrückte. Der Energieaufwand wird allerdings immer extremer.“

Das Reizvollste an Kate Bush sind für mich eigentlich immer die Geschichten hinter den Songs. Und es verblüfft mich auch diesmal wieder, wieviele Inspirationen sie tatsächlich aus der Röhre bezieht. Das kann natürlich daran liegen, daß die Sendungen im britischen TV einfach anregender sind. (Hierzulande werden die interessanten Beiträge ja immer kurz vor Sendung geklaut.) „Pull Out The Pin“ zum Beispiel basiert auf einer TV-Dokumentation über den täglichen Überlebenskampf der Vietnamesen, ihren Einzelaktionen gegen die Amerikaner, die, Kate: „… wirklich wie dicke fette Elefanten durch diese wunderschönen Landstriche gestiefelt sind. Die Vietnamesen wehren sich, indem sie Handgranaten auf einzeln versteckte Amerikaner warfen, so auch der Freund dieses Kameramannes, der eines Tages dabei offensichtlich verletzt wurde. Und der Kameramann filmte einfach weiter. Später erklärte er, daß er in diesem Moment wirklich nicht mehr wußte, ob er weiterdrehen sollte, denn schließlich war es ein Freund von ihm, der da vor seinen Augen starb. Aber der sah ihn durch die Kamera hindurch an und sprach mit ihm, und da war ihm klar, daß dieser Vietnamese nur versuchte, seine letzten Worte auf den Film zu bekommen.

Die Gefühle, die in dir aufsteigen, wenn du siehst, wie so ein Mensch auf die Kamera zurennt und stirbt, sind schon …äh… eigentümlich. Die Vietnamesen taten das alles für Buddha, deshalb tragen sie auch immer diese kleine silberne Buddha-Figur um den Hals. Im Kampf stecken sie sie in den Mund, so daß sie Buddha auf den Lippen haben, wenn sie sterben.“ Das Ganze, meint Kate, habe sie fast zerrissen „, aber irgendwie sei das auch schon wieder „so beautiful“ gewesen …

Ein typisches Kate-Bush-Thema dann „Houdini“. Der Hintergrund: Dieser berühmte Entfesselungskünstler starb bekanntlich in einem Wassertank nach einem unglücklichen Unfall.

Eine wichtige Rolle spielte bei seinen Tricks Houdinis Frau, die ihn vor jeder Aktion küßte. Dabei nämlich schob sie ihm einen kleinen Schlüssel in den Mund, mit dem er sich von den Fesseln befreien konnte. Der Song nun erzählt davon, wie es Mrs. Houdini nach Jahren gelingt, in einer spiritistischen Sitzung Kontakt zu ihm aufzunehmen.

Kate: „Houdini war zu Lebzeiten geradezu besessen vom Spiritismus. Und nach dem Tode seiner Mutter hatte er vergeblich versucht, über ein Medium zu ihr zu gelangen und kam schließlich dahinter, daß viele Leute einfach nur mit unglaublichem Schwindel versuchten, aus dem Leid anderer Kapital zu schlagen. Und um seiner Frau diese schmerzvolle Erfahrung zu ersparen, vereinbarte er mit ihr ein geheimes Codewort, so daß sie merken würde, wenn das Medium sie betrügt.

Ich habe mir Zeitungsberichte aus den 20er Jahren besorgt mit den Berichten darüber. Sie hatte dort die offizielle Erklärung abgegeben, daß sie tatsächlich bei einer Seance mit ihm in Kontakt getreten sei. Ich glaube eigentlich nicht, daß sie es nur des Geldes wegen getan hat. Natürlich weiß ich es nicht. Aber in dem Bewußtsein, daß sie immer nur so entsetzlich enttäuscht wurde, weil er nie mit dem Codewort zu ihr kam, wäre ich auch gar nicht im Stande gewesen, dieses Lied zu schreiben.“

Positive Energie. Eine ganze Welle derartiger Schwingungen hatte Kate Bush beim Stevie-Wonder-Konzert im Londoner Wembley Pool vom Erdboden abgehoben. „Das war das erste Konzert, bei dem ich erlebte, daß wirklich jeder im Publikum mitgerissen war. Daß wirklich alle im Publikum auf einem Level waren. Denn meistens gibt es ja doch irgendwelche Konflikte unter den Zuschauern … ich habe dieses Feeling wirklich tief im Inneren gespürt und ich hatte das Bedürfnis, einen Song zu schreiben, der dies auch genauso wiedergibt… a real buzz … Da spürte man ganz intensiv, was es mit Soulmusik auf sich hat – auf spiritueller Ebene, verstehst du, was ich meine? Es macht dich einfach glücklich!“

Kate war zu jener Zeit gerade damit beschäftigt, Demos für das neue Album vorzubereiten.. „Ich hatte da zwar so ein Piano-Riff, konnte aber noch immer keinen Song daraus machen. Aber als ich es mir nach diesem Konzert im Studio nochmal vornahm, kombinierte ich es mit einem funky Rhythmus und plötzlich wurde ein Song daraus – innerhalb von zehn Minuten!“

Eigenartig nur der Text zu dieser aufmüpfigen Musik zu „Sat In Your Lap“. Da man ihn (was übrigens diesmal auf fast alle Titel zutrifft) kaum versteht und den Gesang nur als zusätzliche Soundfarbe im Ohr hat, ist man innerlich auf eine eher körperliche Aussage gefaßt. Aber: hier geht es um Übergeordnetes… um die rastlose Suche nach Lebensinhalten, die meistens in der Erkenntnis der totalen Unwissenheit endet, nämlich! – Psycho-Tramps dieser Gesellschaft, Ihr dürft Euch angesprochen fühlen. Und „Suspended In Gaffa“ geht sogar noch einen Schritt darüber hinaus; für Fortgeschrittene sozusagen, denen einmal vergönnt war, einen kurzen Einblick in die große Wahrheit zu gewinnen und die jetzt rastlos in der ernüchternden Realität umherwandern.

Schwer zu sagen, ob Kate Bush vielleicht sogar selbst dazu zahlt.

Eine Woche vor diesem Interview hatte Kate Bush übrigens wieder mit dem Tanztraining begonnen. Aber das bedeutet nicht, daß sie übermorgen auf Tournee geht. Erst muß das Album promotet werden, dann stehen umfangreiche Proben an … „Ich meine, also, ich habe wirklich die Absicht auf Tournee zu gehen …“

Irgendwann, nächstes Jahr … (wenn überhaupt) … soll es soweit sein. Und all ihre Fans werden mit leuchtenden Augen auf die Bühne starren und darauf warten, daß sie endlich „Wuthering Heights“ singt – oder wenigstens „Babooshka“…