Keine Angst mehr vor dem Tod


Gerard Way von My Chemical Romance hatmit THE Black parade sein persönliches Kindheitstrauma überwunden.

Die gehetzten Messebesucher, die mit ihren Rollköfferchen zur Berliner Verkehrstechnik-Messe „InnoTrans“ eilen, werfen misstrauische Blicke auf den Pulk von schwarz gekleideten Teenagern, der sich an diesem sonnigen Mittwochmittag vor der Deutschlandhalle eingefunden hat. Die Ingenieure und Elektrotechniker wissen nichts von einem Pre-Listening von the black parade, das viele der Jugendlichen dazu veranlasst hat, die Schule zu schwänzen, sie kennen auch My Chemical Romance nicht. Mit einer Mischung aus Neugier und Sorge betrachten sie die Piercings, die schwarzen Spitzenkleider und die mit Waffen und blutenden Madonnen bedruckten Kapuzenpullis. So fremd ist ihnen diese Welt, dass vielleicht auch sie anfällig wären für die erschreckend hirn- und verantwortungslose Angstmache der englischen Zeitung „Daily Mail“, die sich kürzlich berufen fühlte, in einem großen Artikel vor dem „gefährlichen Teenage-Kult-Emo zu warnen: Die Fans von Bands wie My Chemical Romance zelebrieren Selbstverletzung, war darin zu lesen, und „prahlen auf ihren Teenage-Websites über die Narben an ihren Handgelenken „.

Die 60 Fans, die es geschafft haben, auf die Gästeliste zu kommen, sind zum Glück auf die Einfühlsamkeit von Boulevardjournalisten nicht angewiesen.

Sie empfangen Gerard Way mit stehenden Ovationen, hören gespannt die neuen Songs und stellen anschließend kluge und respektvolle Fragen. „Als Musiker haben wir die Aufgabe, die Kids zu inspirieren“, sagt der neuerdings weißblonde Sänger ein paar Stunden später in einem Hotelzimmer. „Die Musiksoll ihnen Kraft geben und sie trösten – so hab ich das selbst auch erlebt. Billy Corgan war einer meiner großen Helden. Dass es ihn gab und dass er diese Musik gemacht hat, war enorm wichtig für mich.“

Gerard Way hat sich seit dem Durchbruch mit THREE CHEERS FOR SWEET REVENGE verändert. Obwohl er „früher davon nichts wissen wollte“, akzeptiert er heute, dass seine Position auf gewisse Weise Verantwortung mit sich bringt. Das letzte Album hat er noch „daueralkoholisiert und auf Drogen “ geschrieben (weshalb er sich inzwischen für einige der sinnfreien Textpassagen schämt), nun ist er clean. Freunde, die ihn auf diesem Weg nicht begleiten wollten, hat er hinter sich gelassen – wie Insider berichten, ist ein Resultat davon das im Netz viel diskutierte Zerwürfnis mit Robert McCracken von The Used. Auch die Band hat einen Prozess durchschritten: THE BLACK parade ist zwar nicht durchgehend brillant, musikalisch aber in jedem Fall deutlich vielfältiger als die Vorgängerwerke.

Gerard Way nennt Pink Floyds the wall als wichtigste Inspirationsquelle, und man hört es dem Album von dem „In The Flesh?“-artigen Opener „The End“ über das theatralische „Momma“ (feat. Liza Minnelli) bis hin zu dem an „The Trial“ erinnernden Hidden Track tatsächlich an. Und dass the BLACK PARADE ein Konzeptalbum über den Tod ist, ist keine Bestätigung der Hobbypsychologen der englischen Regenbogenpresse – es ist Ausdruck einer ernsthaften und im Ergebnis kathartischen Aufarbeitung eines Kindheitstraumas: „Ich musste mich diesem Thema stellen“, sagt Gerard Way. „Meine Familie stammt aus Italien und Schottland – ich wurde sehr katholisch erzogen, weshalb ich als Kind panische Angst hatte zu sterben, in die Hölle zu kommen, überhaupt nur den Mund aufzumachen. Soganzbin ich dem nie entkommen. Aber ich war irgendwann der Ansicht, dass ich das nur lösen kann, wenn ich mich intensiv damit befasse. Zum Einen fasziniert mich bis heute die christliche Symbolik-sie ist sehr stark. Zum Anderen wollte ich wissen, warum man mir so viel Angst eingejagt hat. Dieses Album hat mir geholfen, das alles zu überwinden. Ich bin viel erwachsener geworden. Ich habe keine Angst mehr vor dem Tod.“